Glatzen sind populär und in ihrer Bedeutung als (sub-)kulturelles Zeichen umkämpft. Es gibt die Hiphop- und die Technoglatze, die Intellektuellenglatze (Foucault), die Künstlerglatze (Picasso) und es gibt die Glatze des Neonazis. Im deutschen Kulturraum, anders als zum Beispiel in den USA, wo die Glatze auf selbstverständlichere Art Teil von Popkultur wurde, ist die bedrohliche Signalwirkung des Neonazilook jedoch so dominierend, dass es hier schwierig wird, nicht bei jeder Glatze unter 40 im schreckhaften Reflex "Nazi" zu assoziieren.
Diese Annahme erscheint noch zwangsläufiger, aber auch verwirrender, beim Blick auf die Schwulenszene. Denn seit den frühen Neunzigern zeigen sich Homos massenhaft in diesem Look, inklusive Bomberjacke, Armyhosen und Combatboots. Was bedeutet, ausgerechnet, der schwule Skin, - wenn er nicht das bedeutet, wonach er aussieht? Was bedeutet der schwule Skin, der kein Neonazi ist? Was bedeutet es also, dass der Neonazilook des Skins zum Fetisch der Schwulenszene geworden ist?
Einer der Wünsche vom heterosexuellen Publikum an Schwule ist es, siehe deutsches Kino oder Fernsehen, "weiblich" zu sein. Wobei diese Weiblichkeit der "Traumschiff Surprise"-Tunten nicht als "weiblich" erscheint, sondern viel mehr als ein "komisches" Verfehlen von Männlichkeit. Heterosexuelle Kultur und ihre Ideologie können sich Schwulsein bis heute nur schwer als Mannsein, schon gar nicht als Liebe unter Männern vorstellen.
Mechanismus der Kastration
Es ist das Verhältnis von Identität und Begehren, das hier auf dem Spiel steht. Während bei Heterosexuellen der Trieb quasi-natürlich aus der Identität folgen soll - eine gesicherte Geschlechtsidentität garantiert das Interesse fürs andere Geschlecht - wird der Zusammenhang von Identität und Begehren innerhalb dieser Logik für Homosexuelle genau umgekehrt konstruiert. Aus dem sexuellen Interesse für Männer wird eine verfehlte männliche Identität abgeleitet. Wer Männer liebt, kann kein Mann sein. Denn einer paranoiden und zwangsheterosexuellen Mehrheit gelingt es nicht, Begehren schwul zu denken (als Liebe zum Gleichen zum Beispiel). Mit der Annahme eines zwangsläufig (oder zwanghaft) immer heterosexuellen Triebes wird Schwulen ihr Geschlecht abgesprochen.
Das Bild des Homoskins stellt sich diesem Mechanismus der Kastration schwuler Männer entgegen. Denn zunächst ist der kahle Kopf genau das: ein schlichtes Symbol von (schlichter) Männlichkeit. Die phallische Form des nackten Schädels ist ein Gegenentwurf zum von der Perücke gerahmten Gesicht der geschminkten Transe.
Die Strategie, Bilder von Männlichkeit für schwule Zwecke zu besetzen, ist nicht neu. Seit der Schwulenbewegung der siebziger Jahre kommen vor allem solche Entwürfe zum Einsatz, die den Wert von Trivialmythen haben. Ein Spektrum von Männertypen, Varianten des schwulen Klons, wurde zum Beispiel von den Village People auf die Bühne gebracht: Cowboy, Policeman und so weiter. Einerseits können sie als Folie zur unkomplizierten Identifizierung dienen, dementsprechend wurde auch ihre schwule Aneignung in der Disco euphorisch gefeiert. Andererseits erlaubt gerade die Eindimensionalität des Bildmaterials - eigentlich handelt es sich um Cartoon-Charaktere - jederzeit eine ironische Distanz und eröffnet so die Spiele von Männlichkeit als Maske. Das war 1979. Der Skin war damals nicht dabei.
Während die frühen Achtziger popkulturell eine Androgynität zurückbrachten (Boy George), die aus der Zeit des Glamour-Rock der frühen Siebziger bekannt war (David Bowie), tritt Anfang der Neunziger ein anderer Männerkörper auf, der die Idee des siebziger-Jahre-Klons unter neuen Vorzeichen wieder aufnimmt. Die Neunziger waren das Jahrzehnt, in dem Body-Building zum schwulen Massenphänomen wurde. Was die Klone der Siebziger von denen der Neunziger trennt, ist die Aids-Epidemie. Die Muscle-Boys post Aids folgten derselben Strategie, wie die bebilderten Aids-Aufklärungskampagnen: der Propagierung des gesunden, homosexuellen Männerkörpers. Insofern ist der Gym-Body tatsächlich eine Folge von Aids.
Aus der Perspektive der jüngsten Schwulengeschichte betrachtet, ist der Homoskin also das populärste Männerideal der Post-Aids Ära. Man kann ihn in eine Logik der Überbietung einordnen, männlich, männlicher, am männlichsten, die angesichts der drohenden Auslöschung einer in den Achtzigern zum Abschuss frei gegeben Minderheit zum Einsatz kam.
Der Authentizitätseffekt
Doch der Homoskin ist nicht nur eine neue Variante innerhalb der Abfolge verschiedener Männerbilder, die dem Gesetz der Steigerung folgen. Er ist eine Figur, die sich gegen den Mechanismus, der hier am Werk ist, sperrt. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Homoskin und anderen, fetischisierten Männerbildern, ist daran zu sehen, dass sich seine Figur nicht problemlos ins popkulturelle Universum überführen lässt. Während die Männlichkeit des Ledermanns und des Bodybuilders gerade in ihrer "Männlichkeit" noch als Parodie gelesen werden können, kann das beim Skin nicht passieren. Der Homoskin ist parodieresistent. Mit ihm gibt es so etwas wie einen Authentizitätseffekt.
Für Schwule ist der Skin damit eine Identifikationsfigur, die weder in seiner Lächerlichkeit preisgegeben, noch dem Mainstream modisch einverleibt oder von der liberalen Kritik gelobt werden kann. Mit dem Homoskin hört der Spaß auf. Die politische Unkorrektheit macht ihn zu einer Figur (der einzigen?), die Schwule vor Spott schützt, was von Didier Eribon "Insult" genannt wird und von Judith Butler "Hate Speech". Die Popularität dieser Figur für Schwule in einer mehrheitlich nichtschwulen Gesellschaft ist ein Zeichen dafür, dass ihnen der Zugang zur "Männlichkeit" immer noch verweigert wird und dass Assimilationsangebote für Schwule unter dem Vorzeichen von Homophobie funktionieren. Der Homoskin ist an dieser Stelle die Markierung einer Grenze. Er ist die Figur der schwulen Anti-Assimilation, eine schwule Protestfigur.
Das Potenzial des Homoskins als Figur des Widerstands gegen Homophobie liegt nun aber gerade in seiner politisch verstandenen "Gefährlichkeit". Man kann zwar den Einsatz des Homoskin-Bildes auch aus der Schwulengeschichte der letzten 30 Jahre erklären, seinen Sinn gewinnt es aber offensichtlich in Bezug auf politische Geschichte. Die Bedeutung des Homoskins für Schwule basiert auf seiner politisch identifizierbaren Ikonographie. Der Homoskin ist kein Nazi aber zitiert den Neonazi, der den Nazi zitiert. Auch wenn es für die Überzahl der Homos, die als Skins herumlaufen, hier nicht um eine politisch motivierte Kontinuität geht, sondern um ein fetischistisches Interesse für bestimmte Zeichen von Männlichkeit, liegt in dieser Verweiskette, beabsichtigt oder nicht, die Referenz auf den Nazi. Es ist die Gefährlichkeit des Skinlooks, die ihn für Homos attraktiv macht.
Spiel mit dem Tabu
Die Figur des Homoskins inszeniert sich damit im Raum des Verbotenen, wo jedes Zeichen unter Verdacht steht. Gerade der Verdacht, viel mehr als die Eindeutigkeit von Bedeutung, erlaubt die Erotisierung des Homoskins und damit des "Nazis". Einfach "Nazi" - das wäre bloß dumm und bleibt als Reiz tatsächlich einer kleinen Minderheit unter Schwulen genauso wie unter Nichtschwulen vorbehalten. Die populäre Erotisierung der Skinfigur funktioniert vielmehr auch auf die Weise, dass die Bedeutung "Nazi" selbst in ihrer Eindeutigkeit verschleiert werden muss.
In diesem Verweisspiel der Zeichen besetzt der Signifikant "Nazi" den Ort des Tabus. Unter der Bedingung, dass der Signifikant sich selbst nicht direkt zu erkennen gibt, wird er heimlich reproduziert, und damit wird die erotische Kraft des Verdächtigen und Verbotenen aufrecht erhalten. Die "sexiness" ebenso wie das gesellschaftliche Protestpotenzial der Figur sind nur zu dem Preis einer Drohgebärde zu haben, die ihre Bedeutung aus der Referenz auf den Nazi bekommt. Diese Referenz mag indirekt und undeutlich sein, sie wird im Tabu aber auch immer wieder heimlich reaktiviert.
Man könnte in dieser Fetischisierung verdächtiger und verbotener Zeichen eine bestimmte Variante der Konstruktion von Minderheitenidentität sehen nach der Formel "Sleeping with the enemy". Sie besteht in der widersprüchlichen Erotisierung des Feindbildes, entweder aus Gründen des Masochismus oder zum Beispiel der Trauma-Bewältigung. Doch im Fall des schwulen Skins geht es um mehr.
Die These vom homosexuellen Faschismus
Die Skin-Inszenierung als Strategie schwulen Widerstands fällt zusammen mit einem der Mythen, die die homophobe Gesellschaft über Schwule erfand. Mit dem Skinoutfit als Zeichen des politisch identifizierbaren Bösen bedienen sich Homos gerade eines Bildes, das ihnen von anderer Seite bereits angehängt worden ist. Denn eine Variante, den Homosexuellen zu diskreditieren, ist, nicht ihn in seiner fehlenden, sondern gerade in seiner "übertriebenen" Männlichkeit zu denunzieren. Dass das schwule Monster als Verkörperung des Bösen historisch gesprochen der Nazi ist, kann man nicht nur im Hollywood-Kino der fünfziger und sechziger Jahre lernen. Totalitarismus und Homosexualität gehören zusammen, heißt es ohne weitere Erklärung in einem der Aphorismen aus Theodor Adornos Minima Moralia.
Mindestens eine Generation von Linken glaubte vorbehaltlos dem Adorno-Wort, obwohl zum Beispiel Klaus Mann schon Mitte der Dreißiger darauf hinwies, dass empirisch betrachtet in Bezug auf den deutschen Faschismus die Schwulen als Opfer gesehen werden müssen, was in der Bundesrepublik bis heute schwer fällt, obwohl in keinem Land der Welt so viele Homosexuelle verfolgt und ermordet worden sind, wie in Deutschland. Oft ist versucht worden, durch Beispiele wie den schwulen SA-Chef Ernst Röhm und den von Hans Blüher entwickelten faschistoiden Männerkult zu Beginn des 20. Jahrhunderts, einen intimen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Faschismus zu belegen.
Aber weil es auch schwule Nazis gab, heißt das noch nicht, ihr Nazisein sei aus ihrem Schwulsein abzuleiten oder umgekehrt. Die hysterische Aufmerksamkeit für einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen Nazi und Homo zeigt zunächst eine homophobe Strategie. Für eine patriarchale Gesellschaft ist Begehren bedrohlich, wenn es nicht das Begehren eines heterosexuellen Mannes ist. Ein Mann, der einen Mann als Mann liebt (was immer das heißt), ist dann zwar nicht länger in seiner Geschlechtszugehörigkeit ambivalent, wird dafür aber politisch verdächtig, wenn die Forderung, dass auch bei Homos das Begehren noch heterosexuell sein soll, verletzt wird. In diesem Diskurs von Adorno und der Linken, die ihm folgten, erfüllt der Homosexuelle die Funktion, heterosexuellen Männern die Frage nach der politischen Verdächtigkeit ihrer Geschlechtsidentität - denn der Fascho ist ein Mann - zu ersparen: der faschistische Mann ist der Homo, und nicht die Hete. Eine Perversion erklärt die andere.
Heißt das, dass jede Beziehung zwischen Schwulsein und Fascho-Sein zufällig ist? Gibt denn nicht das Bild des Homoskins Adornos Äußerung nachträglich Recht? Mit dem schwulen Skin stellt sich eine scheinbare Evidenz ein, die den Interpretationsspielraum verengt. Die Identifizierung von schwul und fascho ist allzu verführerisch. Um hier differenzieren zu können, muss man noch einmal die Frage stellen, wie sich Politik und Sexualität im Selbstbild und Begehren des Homoskins verschränken.
Ästhetik versus Sinnlichkeit
Der amerikanische Germanist und Queer Studies Theoretiker Andrew Hewitt hat vorgeschlagen, in Bezug auf die Erotisierung faschistischer oder faschistoider Männerbilder zwischen ästhetischer und sinnlicher Bedeutung zu unterscheiden. Hewitt führt diese Unterscheidung am Beispiel Jean Genets vor, der in Pompes funebres für die Paris besetzenden Nazisoldaten schwärmt. In der ästhetischen Distanz der politischen Ikonographie wird der faschistische Körper verherrlicht, während die sinnliche Wahrnehmung durch Intimität dessen potenzielle Allmacht bricht. Das hieße: Wer den Nazisoldaten von Ferne bewundert, ist ein Faschist, wer ihn in den Arsch fickt, oder umgekehrt, wie bei Genet beschrieben, ist keiner.
Folgen wir der Trennung Hewitts, wäre schwuler Sex der Ort, an dem sich eine ästhetische Bewunderung in eine sinnliche, sexuelle Erfahrung verwandeln kann, deren Ergebnis nicht die von Klaus Theweleit beschriebenen gepanzerten Männerkörper der deutschen Freikorpssoldaten sind, sondern eher jene, an die Foucault in San Franciscos Sexclubs dachte; Schauplatz von Experimenten, die einer Vervielfältigung der Lüste dienten, und "Männlichkeit" auf neue Möglichkeiten hin testete, die sich nicht länger auf eine Vorstellung kompletter Maskulinität und ihrer Abwehrmechanismen begrenzen ließe. Auch wenn alternativer Sex nicht zwangsläufig eine politische Haltung bewirkt, besitzen schwule Praktiken gleichwohl ein anderes politisches Potenzial als nichtschwule - dieses Potenzial gilt es zu aktivieren. Schwuler Sex wäre dann auch der Ort, an dem das Bild des schwulen Skins resignifiziert, also mit neuer Bedeutung besetzt werden kann.
Andererseits würde aber die sexuelle Inszenierung ihren Wert verlieren, wenn die Gefährlichkeit der Anspielung nicht weiter bestünde. Wenn man im Skinoutfit den Subtext "Nazi" nicht mehr entziffern könnte, wäre auch das Interesse der Schwulen an diesem Signifikanten ein anderes. Das ist die Grenze für die Umdeutung der Skin-Figur auf der Spielwiese des schwulen Sex.
Die Einsätze, die im Spiel sind, sind hoch. Denn die Möglichkeit der Enttabuisierung gibt es nicht. Genau in diesem Raum zwischen Umdeutung und der Unmöglichkeit, die Bedeutung hinter sich zu lassen, inszeniert sich der Homoskin, über den man weder sagen kann, er sei harmlos lieb, noch er sei durchweg böse.
Peter Rehberg promovierte in Germanistik an der New York University und unterrichtet Queer Studies und Deutsche Literatur an der Universität Bonn. Zuletzt von ihm erschienen ist der Roman Fag Love bei MännerschwarmSkript.
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