Grummeln und Schmachten

Song Contest Der Eurovision Song Contest in Düsseldorf hat vor allem eines bewiesen: dass er sich immer wieder neu erfinden kann. Lena war gut, hatte aber keine Chance auf den Sieg

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Für die Fans stand der Sieger schon Tage vor dem Finale des Eurovision Song Contest (ESC) am Samstag fest. Viele, die aus Großbritannien, Griechenland, Holland, Schweden, Frankreich oder Israel – das waren die größten Fangruppen – nach Düsseldorf gekommen waren, hatten während der Proben und der beiden Halbfinale die Sänger mittlerweile schon mehr als fünfmal auf der Bühne erlebt. Das schärft den Blick dafür, wen man wieder sehen will und von wem man schon genug hat, bevor der entscheidende Abend überhaupt begonnen hat. In den Bars der Düsseldorfer Altstadt lief Jedwards „Lipstick“rauf und runter. Die Wettbüros sahen Frankreich vorne und auch Lena wurden ein Jahr nach ihrem Sieg in Oslo bis zuletzt Chancen für ein sehr gutes Abschneiden eingeräumt. Schließlich fühlten sich die alten Grand Prix Länder vom deutschen Erfolg im letzten Jahr ermutigt und hatten sich diesmal richtig Mühe gegeben: Nach den meist halbherzigen Teilnahmen der letzten Jahre präsentierte Großbritannien die wiedervereinigte Boygroup Blue und Frankreich engagierte Amaury Vassili, ein Tenor, der sich auf der Bühne in Düsseldorf vor Sonnenaufgangskulisse stimmgewaltig wie sonst keiner an diesem Abend zeigte. Wie ein junger Gott, der gerade vom Himmel auf die Erde hinabgestiegen kam.

Jazz statt Teenie-Pop

Doch der ESC ist vor allem ein irdisches Ereignis und wird vom Publikum zuhause in den Wohnzimmern entschieden. Sogar akkreditierte Journalisten und Fans ziehen sich am entscheidenden Abend gerne ins Hotel zurück, um sich in intimer Umgebung vor dem Bildschirm auf das Geschehen zu konzentrieren.

Dass es für Großbritannien und Frankreich schließlich nicht einmal für einen Platz in den Top Ten reichte, und von den sogenannten Big Five, also den Ländern, die als größte Beitragszahler der European Broadcasting Union (EBU), dem Verband der europäischen Fernsehanstalten, direkt für Finale qualifiziert sind, es ausgerechnet Italien war, das mit seinem zweiten Platz blendend abschnitt - damit hatte allerdings niemand gerechnet.

Die jazzige Ballade von Raphale Gualazzi, die auch schon beim San-Remo-Festival im Februar gefeiert wurde, war nach 13 Jahren italienischer Abwesenheit vom ESC eher als ironisches Anti-Eurovisionstatement wahrgenommen worden und nicht als ernstzunehmender Gegner. Ob die Abstimmungen der Jurys, deren Ergebnisse zu 50 Prozent in jede nationale Abstimmung mit einfließen, dafür verantwortlich waren? Die Zahlen dazu sind bisher noch nicht veröffentlicht. Dem jünger werdenden ESC-Publikum vor den Fernsehbildschirmen, das sich im letzten Jahr für Lenas Teenie-Pop entschieden hatte, traute man so viel erwachsenes Understatement wie in dem italienischen Beitrag „Madness of Love“ jedenfalls nicht zu.

Lenas magischer Moment

Und auch für die 35.000 Besucher in der ausverkauften Düsseldorfer Esprit-Arena war das gute Abschneiden Italiens, aber auch die vielen Punkte für die Ukraineauf Platz vier und die Top-Ten-Platzierung der dröhnenden Griechenland-Nummer etwas überraschend. Stattdessen gehörte die Disco-Hymne der Ungarin Kati Wolf zu den Favoriten vor Ort, landete aber schließlich auf Platz 22 von 25. Auch bei den irischen Jedward-Boys drehten die Fans durch – die eineiigen Zwillinge schafften es mit ihrer von Lady-Gaga-inspirierten Performance vor der LED-Leinwand mit Grafiken im Pop-Art-Stil aber auch nur auf Platz acht.

Und Lena? Zumindest in der Halle mit einem mehrheitlich deutschen Publikum wurde ihr Auftritt zu einem magischen Moment. Wie schon im letzten Jahr: Wenn’s drauf ankommt, kann sie’s. Mit großen Augen und offenen Mündern sahen sich die Zuschauer staunend die Zauberei an, die Lena bei „Taken by a stranger“ auf der Bühne veranstaltete: laszive Bewegungen, pointierte Gesten – die Nummer saß. „Die schafft es wieder“ raunten die Gäste auf den Rängen. Ihr Auftritt wurde begeistert gefeiert, als sei der Wiederholungssieg für Lena schon gewiss.

Umso größer die Enttäuschung, als Deutschland diesmal von vielen Ländern null Punkte bekam. „Taken by a Stranger“ polarisierte: Entweder gab es gar nichts oder Lena wurde unter die ersten Fünf gewählt. Zum Schluss reichte es für einen respektablen zehnten Platz. Nach dem wirklich tollen Auftritt hätte sie zwar etwas mehr verdient, aber schließlich war der für Eurovisons-Verhältnisse unkonventionelle Song auch eine gewagte Wahl gewesen, genauso wie die Entscheidung überhaupt zweimal direkt hintereinander dieselbe Künstlerin ins Rennen zu schicken.

Stoff für Verschwörungstheorien

Das Publikum in Düsseldorf ließ sich mit Lenas Abschneiden im oberen Mittelfeld aber nicht so schnell versöhnen, denn schließlich sollte dies ja ein Lena-Abend werden. Das in Deutschland wiedererwachte Eurovisions-Interesse war ja von Anfang an komplett auf die Figur Lena zugeschnitten gewesen. Nicht nur Schwarz-Rot-Gold, sondern Lena-Fähnchen und Lena-T-Shirts waren überall in der Halle zu sehen. Dass es nach dieser kollektiven Anstrengung von allen Beteiligten trotzdem nicht für einen Top-Five-Platz reichte, bot natürlich sofort Stoff für Verschwörungstheorien.

Schon bei der Punktevergabe ging das Grummeln los. Als hätte nicht nur Lena, sondern auch Deutschland als Gastgeber automatisch Anspruch auf eine gute Platzierung. Am Ende wurde offen gebuht, wenn Lena keine Punkte kriegte oder die Fernsehzuschauer auch sonst anders entschieden hatten als die Fans im Saal.

Eine große Show war es trotzdem.

Zwar löste Düsseldorf als Austragungsort bei den eingeschworenen Eurovisionsfans keine Begeisterung aus, lieber hätte man in Berlin oder doch wenigstens in Köln gefeiert. Dorthin mussten dann auch einige der Besucher tatsächlich zum Übernachten ausweichen, denn die bezahlbaren Hotelzimmer waren in Düsseldorf schnell weg gewesen. Sich nach Mitternacht, wenn die Vorstellungen vorbei waren, noch auf den Weg nach Köln zu machen, hieß, dass man nicht vor zwei Uhr im Bett war. „Es ist hier genauso anstrengend wie in Moskau“, stöhnte eine amerikanische Eurovisionsforscherin, die seit Jahren von Contest zu Contest jettet, „ da waren die Hotels im Zentrum auch so teuer, dass wir in die Vororte ausweichen mussten“.

Doch ein Nachmittag bei Sonnenschein am Rheinufer oder eine Nacht im für den Contest eingerichteten „Euroclub“ in der Düsseldorfer Altstadt hat die meisten dann mit dem Austragungsort versöhnt, auch wenn sich manchmal nicht so richtig Eurovisionsstimmung in der Stadt ausbreiten wollte. So hatte auch der deutsche Eurovisions-Fanclub OGAE viele Fragen an die Veranstalter: Warum gab es kein Stände mit ESC-Fanartikeln in der Altstadt? Warum läuft parallel zum ESC eine große Messe in Düsseldorf, so dass es noch schwieriger wurde, an bezahlbare Zimmer zu kommen? Warum hat man überhaupt die Fans nicht mehr in die Planung eingebunden?


Aber jede Kritik an der allzu ökonomisch inspirierten Entscheidung, den ESC in Düsseldorf zu feiern, war vergessen, sobald man in der Halle selber saß. Nach den technischen Pannen beim ersten Halbfinale am Dienstag, als die Leitungen zusammen brachen, klappte es am Samstagabend mit der Technik fehlerfrei. Der Bühnenhintergrund war gigantisch, die Pyrotechnik spektakulär und der Sound gewaltig.

Und auch Stefan Raab, der mit seinem Humor ja gerne mal beleidigend wird, machte seinen Job am Samstagabend vernünftig, und ließ den beiden Damen neben ihm klugerweise viel Spielraum. Hinreißend war vor allem Anke Engelke, die, mal komisch, mal charmant, immer den richtigen Ton traf und damit die Moderation zu einer der bisher besten eines ESC werden ließ. Die vielen Komplimente für die Rolle der perfekten Gastgeberin bei der Punktevergabe hatte sie voll verdient.

Bei der Abstimmung sah es lange so aus, dass Europa sich an diesem Abend mit einer Entscheidung schwer tun würdet. Der Siegerbeitrag, „Running Scared“ von dem Duo Ell und Nikki aus Aserbaidschan war kein eindeutiger Sieg wie der von Alexander Rybak mit „Fairytale“ vor zwei Jahren und auch Lenas Erfolg im vergangenen Jahr war etwas deutlicher ausgefallen. Ein Eurovisions-Evergreen wird „Running Scared“ vermutlich nicht werden, dafür ist das Popstück viel zu vorhersehbar. Die Schmusenummer von Ell und Nikki erscheint eher als der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Europa an diesem Abend einigen konnte.

Die Aufregung über den Siegertitel auf dem Heimweg in der U-Bahn war jedenfalls groß. Während die Fans aus Aserbaidschan sich noch in den Armen lagen, fingen einige an, von der Osteuropa-Mafia zu sprechen, nur weil nach Norwegen und Deutschland mal wieder ein osteuropäisches Land den Contest gewonnen hat. Doch wie für andere Gewinner gilt auch für Aserbaidschan: Es muss Punkte aus ganz Europa erhalten, damit es zum Sieg reicht. Es war übrigens Lena, die im letzten Jahr nicht nur in Skandinavien, sondern vor allem auch in Osteuropa fett gepunktet hatte. Also gönnen wir Aserbaidschan seinen Sieg.

Das Land zwischen kaspischem Meer und Kaukasus, das erst zum vierten Mal am ESC teilnimmt und bisher jedes mal in den Top Ten gelandet ist, hat den Erfolg wirklich verdient. Aserbaidschan setzte in den letzten Jahren alles daran, den Eurovision Song Contest zu gewinnen. Wie Serbien, die Ukraine und andere osteuropäische Länder zuvor will Aserbaidschan den ESC als Schaufenster zu benutzen, um sich Europa anzuempfehlen.

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