Make Love, F*ck War

Präsidentschaftswahlen und Musik Seit einiger Zeit scheint es, als würden Pop und Politik wieder näher zusammenrücken. Doch taugt Pop zum Protestsong?

Born in The USA heißt Bruce Springsteens größter Hit aus den frühen Achtzigern. Ob der Song eine patriotische Hymne ist oder ein Lied, das eine kritische Betrachtung der Situation von Vietnam-Veteranen vorschlägt, ist nicht ganz klar. Für beide Interpretationen des Rock-Klassikers gibt es Argumente, und deshalb fragten sowohl Republikaner als auch Demokraten jetzt bei Mr. Springsteen an, ob der Song, der seine Karriere definierte, als musikalisches Thema für die jeweiligen Kampagnen der Parteien in diesem Wahljahr zur Verfügung stünde. Aber der "Boss", wie er von seinen Fans ehrerbietig genannt wird, lehnte ab. Einem Präsidenten, ob alt oder neu, demokratisch oder republikanisch, will Springsteen nicht zu Diensten sein.

Die Wahl-Kampagnen der Präsidentschaftskandidaten mit Rock- oder Popmusik zu begleiten, hat in den USA Tradition. Fleetwood Macs Don´t Stop versprach einen Optimismus, der Bill Clintons Wahlsiege 1992 und 1996 begleitete. Anders als hier zu Lande, wo man Dichter und Denker zur Unterstützung engagiert, verlässt man sich in den USA bei der Mobilisierung von Wählern lieber nicht auf die moralische Autorität intellektueller Eliten, sondern auf den Massengeschmack.

Worum es beim Bündnis von Politik und Pop oder Rock geht, scheint offensichtlich: die Popularität der Stars für politische Zwecke zu nutzen, der politischen Klasse jenen Glamour zu verleihen, den sie von selbst nicht hat, bis die Grenze zwischen Popstar und Politiker verschwommen ist - wie im Fall von Expräsident Clinton - und schließlich über den Anschluss an die Jugendkultur eine euphorische Stimmung von Aufbruch und Dynamik zu erzeugen. Doch in diesem Wahljahr steht mehr auf dem Spiel, und deshalb nimmt auch die Zusammenarbeit von Pop und Politik andere Formen an.

Zunächst sieht alles aus wie immer: Die Demokraten entschieden sich auch im aktuellen Wahlsommer für die Superstars, nicht von Vorgestern, aber von Gestern. Eminem und 50 Cent will man den Wählern noch nicht zumuten. Wer hingegen den Teen-Pop von Britney Spears, Christina Aguilera oder Justin Timberlake hört, ist noch zu jung. Nein, gefragt werden Bands, deren Popularität in die Jugendzeit der jetzigen Wählergruppen mittleren Alters zurückreicht: Die meinungsbildende Generation, die sich in gesellschaftlichen Machtpositionen befindet oder auf dem Weg dorthin ist.

Entsprechend dem Gesetz, die inzwischen gemäßigte weil schon vergangene Jugendkultur zum Einsatz zu bringen, spielten jetzt beim demokratischen Parteitag vom 25. bis 29. Juli in Boston die Ex-Junkies von den Red Hot Chili Peppers für die Demokraten, R.E.M. oder U2 hätten auch gut gepasst. Es sind Gruppen, die ihre größten Erfolge in den frühen Neunzigern feierten, und sie dürfen mit ihrem Einsatz beim Wahlkampf selbst auf ein Comeback hoffen. Eine schöne Symbiose.

Bei der Koalition von Pop und Politik geht es allerdings nicht um Popularität und Plattenverkäufe allein. Der Zusammenhang zwischen Parteiprogramm und Musikrichtung ist zwar nicht immer im Detail deutlich, trotzdem aber nicht vollkommen arbiträr. Popmusik wird im weitesten Sinne eine Form von Liberalität unterstellt. So begründet sich ihre Liaison mit den in sozialen Fragen aufgeschlosseneren Demokraten, während die Heimatklänge des Country einem konservativen Patriotismus und den damit einhergehenden Rollenmodellen huldigen.

Das musikalische Engagement der Stars beschränkt sich dieses Jahr aber nicht auf einen Auftritt beim Parteitag: Madonna, Beastie Boys, Carlos Santana, Dave Matthews, Mary J. Blidge, John Bon Jovi, Moby, Public Enemy, Bob Dylan, Patti Smith, Rickie Lee Jones und Ani DiFranco, sie alle haben unaufgefordert mit deutlichen Kommentaren gegen die Bush-Regierung von sich Reden gemacht.


Dabei bedeutet Musik-Protest im Moment mehr, als dass Altstars ihre größten Hits hervorkramen, populäre Musiker sich freiwillig politisch zu Wort melden, oder Plattenmillionäre die Tore ihrer Villen für Fundraising-Partys öffnen. Es geht auch um die Wiederbelebung einer guten alten Tradition: Junge Musiker wollen das hippiealte Genre des Protestsongs reanimieren. So initiierte der Punk-Rocker Fat Mike von NoFX beispielsweise ein Plattenprojekt mit dem Titel Rock against Bush, das es bis in die Billboard-Charts schaffte. Der amerikanische Musik-Journalist David Browne hat gezählt, dass in den vergangen 18 Monaten mehr Lieder gegen die Bush-Regierung und den Krieg im Irak produziert worden sind, als zur Zeit des Vietnam-Krieges.

Gibt es ihn also doch noch, den guten, alten Protestsong, wie er sonst nur verstaubt im Plattenregal auf Vinyl zu finden ist? Und wie klingt er dann, der Protestsong von heute?

Im musikalischen Genre des Folk angesiedelt, liegt der Akzent des klassischen Protestsongs auf dem Text, der soziale Missstände angreift und im Kontrast dazu eine Utopie anbietet, die sich schon durch die Klänge des Stücks ankündigt: hier, in der Musik, ist die Utopie bereits Wirklichkeit. Wenigstens, wenn die richtigen Drogen im Spiel sind. Inhalt und Form des Protestsongs gehörten in jedem Fall zusammen.

Doch in den letzen 40 Jahren sind auch neue Formen hinzugekommen, wenn es um musikalisch artikulierten Protest geht. Neben Punk und Independent-Rock (Blink-182, Green Day) vor allem Hip-Hop (Beastie Boys), aber auch Dance-Music. Moby hat zusammen mit Public Enemy einen Song aufgenommen, der Make Love, F*ck War heißt. Die Titelzeile wird mit erschöpfter Stimme über einem angespannten Elektro-Beat als Endlosschleife gesungen. Mit letzter Kraft wird protestiert, fast schon geht es nicht mehr.

Es ist kompliziert mit dem vermeintlich kritischen Potential von Popkultur. Es sieht so aus, als liefe der Verwertungsprozess der Popindustrie in einem Tempo ab, bei dem kaum eine Aussage mehr stabil bleibt, so dass man nicht länger zwischen politischem Statement und Werbeslogan unterscheiden kann. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn Madonna auf ihrer momentanen "Re-Invention"-Tour John Lennons Imagine zur akustischen Gitarre singt? Immerhin ist Lennons Musik schon längst Liedgut der Werbebranche. Madonna bediente sich bei der Werbung, die sich zuvor bei Lennon bedient hatte. Weil sich Popkultur immer überall bedient und umgekehrt, drohen Referenz und Relevanz des Gesagten beziehungsweise Gesungenen im Nu zu verschwinden. Um in diesem Spiel der Referenzen noch aussagefähig zu bleiben, muss man mindestens texten können wie Eminem, dessen Reime der Vereinnahmung der Werbeindustrie widerstehen, weil sie sie voraussetzen - und ihr deshalb voraus sind.

Protest spielt sich allerdings nicht nur auf der Ebene des Textes ab. Seine Energie verdankt sich ebenso dem Körpereinsatz, also der Nähe von Pop und Sex. Die politische Bedeutung von Sex basiert auf dem Akt des Tabubruchs. Wie erschöpft diese Möglichkeit zur Zeit ist, bewies der Anblick von Janet Jacksons nackter Brust zur Halbzeit des Super Bowl im amerikanischen Fernsehen, der einen Skandal auslöste. Diese Medien-Inszenierung war harte Arbeit gewesen, doch beim Skandal, im Unterschied zum Protest, wird der Tabubruch lediglich behauptet und nicht tatsächlich vollzogen. Politisch gesehen ist der Skandal somit eine Schrumpfform des Protestes. Sexualität wird nicht zur Chiffre eines anderen Lebensentwurfes, sondern dient der Selbstvermarktung.

Unter diesen Voraussetzungen, der Inszenierungen von Körper und Sprache in der Popkultur, scheint es historisch keinen großen Spielraum für den Protestsong mehr zu geben. Aber nur weil auf die klassische Verwendung seiner Mittel kein Verlass ist, muss der Protestsong noch nicht unbedingt am Ende sein. Auch wenn er dann so erschöpft klingt wie bei Moby. Es gibt ihn noch. "Make love f*ck war". Hier wird, ähnlich wie bei Eminem, gerade unter der Bedingung der Erschöpfung des Genres weitergearbeitet. Mal sehen was dabei rauskommt. Nicht nur instrumentalisiert der Kapitalismus die Kritik an ihm zu eigenen Zwecken; ebenso bringt er stets unkalkulierbare Formen des Protestes neu hervor.

Und auch auf eine schlichtere Weise kann Popmusik noch politisch sein. Auf Webseiten wie Rockthevote.com oder Punkvoter.com, organisiert unter anderem von den verblieben Nirvana-Mitgliedern, geht es nicht um neue ästhetische Formen, kulturtheoretische Analysen oder die Chancen sozialer Utopien, sondern einfach darum, den jugendlichen Anteil der 50 Prozent Nichtwählern in den USA zur Stimmenabgabe im November zu bewegen. Ani DiFranco wurde noch deutlicher, und nannte ihre Tour: "Vote Dammit!".

Keine großen Hymnen und keine großen Träume also. Politischer Protest findet pragmatisch statt: Geht Wählen, verdammt nochmal! Dem Schulterschluss von Pop und Politik im großen Format sollte man sowieso misstrauen. Nicht nur wegen der Geschmacksunsicherheit von Politikern, sondern auch weil solche Projekte der Propaganda nicht entkommen. Oder gehören schlechter Geschmack und Propaganda einfach zusammen? Das muss man jedenfalls glauben, wenn man hört, welchen Song sich Saddam Hussein für seine letzte Wahlkampagne 2002 im Irak ausgesucht hatte. Man glaubt es kaum, so gut wäre der Witz: Whitney Houstons I will always love you.


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