Über den Teufel und die Welt

Sachbuch Vampire, Zombies, Terroristen: "Das Böse" hat Hochkonjunktur. Warum es als politischer ­Kampfbegriff untauglich ist, sagt Terry Eagelton in seinem Buch zum Thema

„Das Böse? Geil!“ – ruft der kleine Sohn des Literaturwissenschaftlers Terry Eagleton, als dieser ihm erzählt, worum es in seinem neuen Buch geht. Das Böse ist unheimlich attraktiv geworden – nicht nur bei Kindern. Um das zu verstehen, arbeitet Eagleton mit einer Idee des tschechischen Schriftstellers Milan Kundera, der im Buch vom Lachen und Vergessen von den „engelhaften“ und „dämonischen“ Zuständen des Menschen erzählt – ein Vokabular, das dem ehemaligen Klosterschüler Eagleton gut gefällt. Während das Engelhafte als überirdische Abstraktion eine Form des unerreichbaren Idealismus meint, ist das Dämonische die zynische Verneinung jeden Lebenssinns, die alles Irdische einer destruktiven Gleichgültigkeit überlässt. Was dabei jeweils auf der Strecke bleibt, ist das Leben selbst. „Die Bösen sind also diejenigen, denen es an der Kunst zu leben fehlt.“

Die „Kunst zu Leben“ bestehe gerade darin, zwischen diesen beiden Polen zu existieren, die Eagleton jeweils als Orte des Bösen identifiziert: Engel und Teufel. Ja, auch Engel, die auf ihre Art genauso böse sind wie Teufel, weil es unmenschlich ist, was sie den Menschen abverlangen. Das Engelhafte kann sich dabei als kühle Vernunft oder als formverliebte Kunst zeigen, das Teuflische im selbstzerstörerischen Alkoholismus oder exzessivem Sex: „Die Orgie ist die Kehrseite des Oratoriums“.

Der Mensch als Wesen zwischen Engeln und Teufeln – doch die Erlösung wartet eben gerade nicht im Himmelreich. Mit diesem christlichen Materialismus kann Eagleton argumentieren, dass das „Böse“ das Symptom einer aus dem Gleichgewicht geratenen Menschheit ist.

Den Zauber brechen

„Wenn sich die Vernunft von den Sinnen lossagt, hat das für beide katastrophale Folgen. Die Vernunft wird abstrakt und kompliziert und verliert den Kontakt zum kreatürlichen Leben. Sobald die Vernunft zum Rationalismus erstarrt, gerät das Triebverhalten zum Sensualismus.“ Damit spielt Eagleton auch auf die Debatte über das Verhältnis von Hochkultur und Faschismus an, die seit den 1960ern unter anderem von George Steiner geführt wurde: „Das Böse postuliert entweder zuviel oder zuwenig Sinn – oder beides zugleich“ schreibt Eagleton. „Sehr deutlich zeigt sich diese Janusköpfigkeit bei den Nazis.“

Entsprechend der Einteilung der Welt in gut und böse klassifiziert Eagleton aber nicht nur politische Phänomene von Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, sondern nebenbei auch philosophische Traditionen. Er zeigt sich hier der Denktradition des angelsächsischen Realismus’ verbunden. Mit seinem ironisch-respektlosen Stil begibt er sich weder in die Aporien psychoanalytischer Deutungskunst, noch in die spekulativen Höhen der deutschen Philosophie nach Kant. Schon eher interessiert er sich bekannterweise für den Materialisten der politischen Geschichte, für Marx.

In der Gegenwart ist es der langweilige Pragmatismus einer Verwaltungspolitik, der nach Eagleton das Böse geradezu herauf­beschwört. Treibt uns die postdemokratische Fadheit Angela Merkels in die Arme des Bösen? Denn der Glamour des Bösen entsteht im Kontrast zu seiner trostlosen Umwelt. Deswegen sind Vampire, Mumien und Zombies so populär. „Vielleicht ist das Böse die einzige Form der Transzendenz, die in einer postreligiösen Welt noch bleibt.“

An einer Dekonstruktion des Bösen zeigt Eagleton zunächst kein Interesse, obwohl er auch darauf hinweist, dass die Hexen bei Macbeth in ihrer verwirrenden Gendergestalt sozial transgressiv sein können. Eher geht es ihm darum, den Zauber des Bösen in der Gegenwart zu brechen, denn im Grunde sei das Böse selbst oberflächlich und langweilig, insofern es sich gegen die Vielgestalt des Lebens wendet und nichts Neues zu erzählen hat. In seiner Zerstörungswut ist das Böse niemals kreativ. Während diese Diagnose eher auf die Gewaltdarstellungen in der Populärkultur abzielt, geht es Eagleton aber letztlich doch um eine Frage der politischen Kultur.

Erst zum Schluss gibt er zu erkennen, was überhaupt der Anlass gewesen ist, über das Böse nachzudenken. Es ist die Figur des islamistischen Terroristen als „Verkörperung des Bösen“, um die es Eagleton geht, wie er auf den letzten Seiten seines 200-Seiten-Buches verrät.

Politisch sei es nämlich von Bedeutung, eine deutliche Unterscheidung zwischen dem Bösen und dem Schlechten zu treffen. Das Böse ist eine Figur des Absoluten – mit ihr lässt sich nicht argumentieren, auf die von ihr ausgehende irrationale Gewalt kann nur noch Gegengewalt folgen. Aber was im Kampf gegen Hitler richtig war, ist im Umgang mit islamistischen Fundamentalisten falsch. Wenn der Terrorist der Böse ist, hat er nicht nur keine legitimen, sondern überhaupt keine Gründe für sein Verhalten – das Böse wird Teil seiner Essenz.

Mit einer solchen Stilisierung des Terroristen zum Bösen an sich gibt es dann keinen politischen Spielraum mehr, sondern nur noch einen bedingungslosen Vernichtungswillen auf der einen Seite und die tapfere Kampfansage gegen ihn auf der anderen. Das heißt auch, dem Terroristen wird bei aller denkbaren Verurteilung seiner Handlungen kein Recht auf Kritik eingeräumt: Die Annahme des Bösen produziert auf der anderen Seite praktischerweise den Guten gleich mit.

Journalistisches Gespür

Eagletons Essay ist also vor allem eine Kampfschrift gegen die Bush-Blair-Rhetorik der 2000er Jahre im Irak- und Afghanistan-Krieg, die ihre machtvolle Stellung über die Dämonisierung des islamistischen Fundamentalismus als „Bösem“ gewann. So hatte zum Beispiel auch der Philosoph Richard J. Evil in seinem Buch Radical Evil argumentiert, dass die Zerstörung des World Trade Center zum „Inbegriff des Bösen“ in unserer Zeit geworden ist.

So nachvollziebar diese, wenn auch etwas verspätete, Ideologiekritik ist – der Angriff auf das WTC jährt sich dieses Jahr zum zehnten Mal, in Washington regiert längst Obama und Bin Laden wurden vor zwei Monaten vom amerikanischen Geheimdienst in seinem pakistanischen Versteck aufgespürt und erschossen – so umständlich und letztendlich unbefriedigend ist doch Eagletons Weg dorthin.

Eagleton ist ein guter Autor und als Leser und Denker erfahren genug, so dass seine Streifzüge durch den abendländischen Kanon von Paulus’ Römerbrief über Miltons Paradise Lost hin zu Thomas Manns Doktor Faustus immer unterhaltsam und gewinnbringend zu lesen sind. Dennoch schärfen sich bei diesem kulturgeschichtlichen Abriss der letzten 2000 Jahre die Konturen des Phänomens des Bösen nur bedingt. So bringen seine ausführlichen Lektüren von William Goldings Pincher Martin, Flann O’Briens Der dritte Polizist oder Graham Greenes Am Abgrund des Lebens zwar interessante Motive zutage, wie zum Beispiel die zyklischen Zeit des Bösen, die wie im Höllenkreislauf ihre Runden dreht, aber trotzdem gelingt es im literaturkritischen Plauderton eben nicht wirklich sich dem Bösen anzunähern.

Und hier ist es wohl der synkretistische Blick des Kulturwissenschaftlers, der ein methodisches Problem darstellt. Nähern wir uns den Verbrechen des 20. und 21. Jahrhunderts tatsächlich am besten über literarische Analysen? Hitler, Stalin und Mao werden bei Eagleton lediglich zu Stichwortgebern, und auch zu Hannah Ahrendts Eichmann-Buch, an dem keine Analyse des Bösen vorbei kommt, hätte man sich eine ausführlichere Auseinandersetzung gewünscht.

Keine Frage, Eagleton hat ein journalistisches Gespür für gute Themen und die ehrenwerte Absicht, mit seinem populärwissenschaftlichen Stil ein größeres Publikum zu erreichen. Nur wenige Akademiker begeben sich in die prekäre Position des öffentlichen Intellektuellen. Der Preis, den er dafür zahlt, ist allerdings, dass seine Erklärungen meist auf halber Strecke stecken bleiben.

Das BöseTerry Eagelton übersetzt von Hainer Kober Ullstein 2011, 208 S., 18,00

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