Volker Neumann versucht es höflich. "Muss ich Sie als ÂHerr Minister anreden oder kann ich einfach ÂHerr Dr. Jung sagen?" fragt er den Chef der hessischen Staatskanzlei. Jung zeigt sich entgegenkommend: "Natürlich, Herr Vorsitzender!" Der Verzicht auf Titelanrede bleibt faktisch die präziseste Antwort, die der enge Vertraute des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch in seiner fast vierstündigen Befragung an diesem Tag geben will. Eröffnet hat er sie mit dem Satz: "Zu den den Untersuchungsausschuss betreffenden Sachverhalten ist mir persönlich nichts bekannt." Und in den nächsten Stunden werden die Floskeln Legion: "Da bin ich überfragt ..." - "Das weiß ich nicht." - "Das kann ich nicht nach
Ermittler am Rande des Black Out
UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS Blinder Eifer und sparsamer Wahrheitsdrang beherrschen das Gremium - da kann Kohl kommen
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achvollziehen ..." - "Damit hatte ich nichts zu tun."Andere Frager im Untersuchungsausschuss zum CDU-Parteispendenskandal schlagen eine härtere Gangart ein. Rechtsanwalt Peter Danckert, seit dem Schalck-Ausschuss als juristischer Beistand des einstigen DDR-Devisenbeschaffers mit solch einem Gremium vertraut, gibt dann wütend seine Fassungslosigkeit zu Protokoll. "Das sollen wir Ihnen alles glauben?" herrschte er Jung an. "Für wie bescheuert halten Sie uns eigentlich?" Und Hans-Christian Ströbele, ebenfalls Rechtsanwalt und für die Grünen im Ausschuss, kontert schon mal auf Walter Wallmanns emphatische Ehrenerklärung für Manfred Kanther ans Plenum gewendet: "Noch vor einem Jahr hätten doch auch Sie alle ihm das nicht zugetraut. - Ich schon!"Mehr als 20 Sitzungen hat der Ausschuss bereits hinter sich, das Ergebnis ist mager. Seinem eigentlichen Auftrag, die mögliche Beeinflussung politischer Entscheidungen durch Spenden und ihre Geber zu untersuchen, hat er sich noch gar nicht zugewandt. Bislang ging es ausschließlich um die von der Koalition initiierte zusätzliche Recherche, ob die Parteien in den jährlichen Finanzberichten Rechenschaftspflicht über Herkunft und Verwendung ihrer Mittel verletzt haben. Fast alle der bisher gehörten 17 Zeugen - in der CDU-Hierarchie mehr oder minder hoch stehend - litten bei diesem Thema hochgradig an Gedächtnisschwund oder waren in der noch komfortableren Situation, mit einem tatsächlichen oder auch nur drohenden Ermittlungsverfahren im Rücken die Aussage gleich ganz verweigern zu können.Anfangs versuchte der Ausschuss noch, die dadurch entstehende Schweigefront gewaltsam aufzubrechen, indem er Ordnungsgelder oder gar Erzwingungshaft anordnete - zum Beispiel gegen den besonders arrogant auftretenden Kohl-Vertrauten Hans Terlinden. Doch die parlamentarischen Ermittler mussten schnell zur Kenntnis nehmen, wie kurz ihre Arme gegenüber dem "Rechtsstaat" sind - zumal wenn dieser von ganzen Schwadronen hochkarätiger Rechtsbeistände der Zeugen "verteidigt" wird. Zwar äußerten sich der CDU-Kontenverwalter Horst Weyrauch oder Ex-Schatzmeister Walther Leisler Kiep ausführlich in Fernsehen und Zeitungen, doch im Ausschuss beschränkten sich diese Dunkelmänner - wie Weyrauch - oft auf zwei Worte: "Keine Aussage!"Und wenn sie sich doch einmal in die Enge getrieben fühlen, wie Wolfgang Schäuble, dem Ströbele mit respektlosen Fragen nach jener 100.000-Mark-Spende des Rüstungslobbyisten Karlheinz Schreiber zusetzte, die letztlich Schäubles Sturz bewirkte, dann finden sie Trost beim SPD-Ausschussvorsitzenden. "Schützen Sie mich vor den Fragen dieses Abgeordneten", bat Schäuble, und Neumann fand tatsächlich, dass die Antworten ausreichten: Er entzog Ströbele das Wort.Der Untersuchungsausschuss leidet - wie viele seiner Vorgänger - an der ihm verordneten Konstruktion. Er ist eine Art Gericht ohne greifbaren Angeklagten und eigentlich auch ohne Richter - dafür mit um so mehr Anklägern und Verteidigern. Diese sollten zwar in erster Linie Ermittler sein und durch die Befragung der Zeugen einen verdächtigen Sachverhalt aufklären - aber wie im Plenum ist auch in solch einem Gremium die parlamentarische Teilung in Regierung und Opposition nicht aufzuheben. Für Oppositionsparteien war ein Untersuchungsausschuss in der Vergangenheit stets eine gern genutzte Gelegenheit, der Regierung auf die Finger zu sehen und - im günstigsten Falle - ihr Fehlverhalten nachzuweisen, während die jeweils regierende Koalition alles tat, um solche Offenlegung zu verhindern. Schon daraus ergab sich, dass Untersuchungsausschüsse weniger der Wahrheitsfindung als der politischen Auseinandersetzung dienten. Die Geschichte zeigt, dass ihr aufklärerischer Ertrag fast immer im umgekehrten Verhältnis zum begleitenden Getöse stand.Jetzt kommt als Besonderheit hinzu, dass eine Affäre der Opposition Gegenstand der Untersuchung ist und die Regierungsparteien sich anklägerisch gebärden, wobei sie ihre Vorteile - Mehrheit im Ausschuss und den Regierungsapparat hinter sich - auszunutzen versuchen. Schon klagt die Union über die Verletzung der Minderheitenrechte, weil sie weder Anträge der Koalition zu Fall noch eigene durchbringen kann. Sogar der Gang nach Karlsruhe wurde schon angedroht.Dabei versucht sie vergessen zu machen, dass vor allem die eigene renitente Haltung zum Ausschuss seine bisherige Arbeit stark beeinträchtigte. Der Untersuchungsdrang der fünf CDU/CSU-Mitglieder hält sich in engen Grenzen. Sie sehen sich eher als Verteidiger denn als Ermittler, da für die Union das Ergebnis des Ausschusses schon feststeht: Nicht schuldig. Nur selten haben sie einige belanglose Fragen; bei der Vernehmung des Wiesbadener Staatskanzleichefs Franz-Josef Jung verzichteten sie gleich ganz auf 42 Minuten Fragezeit. Dafür werden sie immer dann äußerst aktiv, wenn sie das für sie offensichtlich höchste Rechtsgut der Aussageverweigerung eingeschränkt wähnen. Dann gelingt es ihnen gar, Volker Neumann zu einer solchen Äußerung hinzureißen wie "Ich weiß, dass es in Ihrem Interesse ist, wenn die Zeugen hier nicht aussagen." Was aber nicht mehr als lauten Protest zur Folge hat - und nach der Sitzung ein schadenfrohes Statement des CDU-Obmanns Andreas Schmidt, wenn wieder ein Zeuge sein Schweigen oder seine Unwissenheit durchgehalten hat.Was auf der rechten Seite des U-förmigen Ausschusstisches im Auditorium der Berliner Katholischen Akademie, die mit ihrem Kreuz an der Empore eigentlich zu Demut und Wahrheitsliebe mahnt, Unwillen ist, stellt sich auf der linken Seite überwiegend als Unvermögen dar. Hier sitzen sieben Vertreter der SPD und einer von den Grünen, die oft das Ermitteln mit der Anklage verquicken und - Blinder Eifer schadet nur! - damit ihren gewieften Gegenparts im Zeugenstand bequeme Rückzugsmöglichkeiten eröffnen. Außerdem -so ist zu hören - profilieren sich manche der sozialdemokratischen Ausschussmitglieder auch gegeneinander, gönnen dem Nebenmann den Erfolg nicht und versuchen mit weitschweifigen Fragekonzepten möglichst viel der ohnehin üppigen SPD-Redezeit in Anspruch zu nehmen. Oft ermöglichen sie damit aber dem Zeugen ebenso ausgedehnte Antworten vorbei am Sachverhalt, so dass unter dem Strich kaum etwas Bemerkenswertes übrig bleibt.Auch die Organisation der Sitzungen lässt oftmals zu wünschen übrig. Über das Recht der Zeugen auf Aussageverweigerung hatte man sich vor allem anfangs unzureichend ins Bild gesetzt. Die vertraulichen Akten der staatsanwaltlichen Ermittlungen, inzwischen Tausend Blatt, konnten nur in der Geheimdienststelle des Bundestages eingesehen werden. Zwischen dem Ausschussvorsitzenden, der seine Rolle zwischen neutralem Leiter und Mitglied der SPD-Ermittler noch nicht gefunden hat, und seinen Fraktionskollegen klappte die Abstimmung nicht. CDU und CSU warfen ihm sogar Befangenheit vor, weil er mit Karlheinz Schreiber, der nach Kanada ausharrenden Schlüsselfigur des Spendenskandals, telefoniert hatte. Neumann wiederum sieht mit Groll, dass Ströbele mit flexibler Fragetechnik und seinen griffigen Erklärungen vor den Kameras und Mikrofonen außerhalb des Sitzungssaals oft der SPD und vor allem auch ihm den Rang abläuft. Kürzlich zeigte sich Neumann regelrecht glücklich, weil die Union seinen Rücktritt gefordert hatte und sich nun die Medien um ihn drängten: "Endlich stehe ich auch mal im Mittelpunkt." Bisher waren da immer die Kollegen.SPD-Fraktionschef Peter Struck lud schließlich die eigenen Ausschussmitglieder erbost zum Rapport und verlangte professionellere Arbeit, um die "dilettantische Dummheit", die schon Max Weber bei Untersuchungsausschüssen des Parlaments beobachtete, zu überwinden. Vergangenes Wochenende gingen die Kollegen extra in Klausur; auf das Ergebnis darf man gespannt sein.Wenn der Ausschuss bisher doch nicht ganz ohne Resultat blieb, so verdankt er das vor allem seinen Einzelkämpfern - neben Ströbele Evelyn Kenzler von der PDS und Max Stadler von der FDP. Sie erhielt ihre juristische Ausbildung in der DDR, er war früher Richter an einem bayerischen Oberlandesgericht. Beiden geht die polemische Attitüde der Koalitionsuntersucher ab, was sich mitunter fördernd auf die Erkenntnisfindung auswirkt. So wurde durch präzises Nachfragen Schäubles Version der Spendenübergabe durch Schreiber nachhaltig erschüttert, und Brigitte Baumeister, die schon als Lügnerin abqualifiziert schien, präsentierte ganz nebenbei einen Zeugen für ihre Darstellung, der - was sie nun vielleicht gern verborgen hätte - einer der mit Kiep und Schreiber vielleicht demnächst angeklagten Thyssen-Manager ist. Agnes Hürland-Büning musste weitere Provisionen von Rüstungsfirmen zugeben. Die Vernehmung der hessischen CDU-Spitzen erbrachte zwar keine neuen Erkenntnisse, ließ aber tiefe Einblicke in das Finanzgebaren der Christdemokraten zu, das ihr Zeuge Franz-Josef Reischmann, stilecht mit schwarzer Sonnenbrille und treuherzigen Sprüchen auftretend, wohl am besten auf den Punkt brachte. Auf die Frage, was er denn mit Geld gemacht haben würde, das aus unklaren Quellen auf CDU-Konten auftauchte, zögerte der Hesse nur kurz, um dann wohl ausnahmsweise wahrheitsgetreu zu antworten: "Ausgebbe!"Manches wird vielleicht erst noch seine Wirkung entfalten - als Mosaiksteinchen in einem Bild, das derzeit ohne Konturen ist. Fast 200 Zeugen will der Ausschuss insgesamt vernehmen. Der prominenteste wird Ende Juni Helmut Kohl sein; für ihn sind allein zwei Tage reserviert. An den großen Durchbruch jedoch scheint selbst Ausschussvorsitzender Neumann kaum noch zu glauben. Als ihm kürzlich eine Hellseherin ihre Hilfe anbot, zeigte er sich von der ersten Probe ihres Könnens durchaus beeindruckt: "Sie hat gar nicht erst ein Honorar verlangt, weil sie voraussah, dass wir keins zahlen werden." Weggeschickt hat er sie nicht, sondern an sein Sekretariat verwiesen. Vielleicht wird sie ja am Ende doch noch gebraucht, weil anders den Dunkelmännern das Handwerk nicht zu legen ist.
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