Eigentlich müsste bei der CDU eitel Freude herrschen. Sie eilte im Wochenrhythmus von Wahlsieg zu Wahlsieg und nahm bereits nach einem Jahr der SPD die im September 1998 verlorenen Wählerstimmen wieder ab. Absolute Mehrheiten im Saarland und in Thüringen, in Sachsen gar mit einem nahezu 50-prozentigen Abstand zur Sozialdemokratie, Regierungsbeteiligung in Brandenburg und deutliches kommunales Übergewicht im roten Stammland Nordrhein-Westfalen - Angela Merkel gingen beinahe die Superlativen aus, so geballt traf die Christdemokraten die Wählergunst.
Und dennoch - sie feierten ihre Erfolge eher in Moll, dämpften die Begeisterung der eigenen Basis und gaben unerwartet Nachdenkliches von sich. Eine Partei, die noch vor gut einem Jahr den sich abzeichnenden rot-gr
rot-grünen Wahlerfolg beinahe zur Katastrophe für das Land erklärte, tritt jetzt plötzlich höflich zurück, will die »Chaoten« vier Jahre regieren lassen und erweckt gar den Eindruck, als fühle sie sich zu neuer Inbesitznahme der Regierungsbänke noch nicht recht reif. »Das sind Momentaufnahmen«, kommentierte Wolfgang Schäuble unterkühlt die eigenen Wahlerfolge und warnte: »Nichts von dem, was in den nächsten Jahren sein wird, ist entschieden.«Solch überraschende Zurückhaltung erwächst weniger aus nobler demokratischer Gesinnung, wie Wolfgang Schäuble gern glauben machen möchte. Sie ist eher das Ergebnis eigener Ratlosigkeit. Denn dem scharf denkenden CDU-Vorsitzenden dürfte kaum entgangen sein, dass die Niederlagen - erst jene von Union und FDP am 27. September 1998 und jetzt die Debakelserien der rot-grünen Nachfolger - im Kern die gleichen Ursachen haben: Die Enttäuschung der Bürger über immer weiter um sich greifenden Sozialabbau, über die anhaltende Umverteilung von unten nach oben, über eine Politik, die das Kommando beinahe kampflos einer entfesselten Wirtschaft überlässt.Schon in jenem Papier, das Schäuble vor 16 Monaten auf dem Bremer Parteitag der CDU präsentierte und das - ebenso wie jetzt Schröders Sparpaket - den Titel »Zukunftsprogramm« trug, war im Prinzip vorgezeichnet, was die rot-grüne Regierung derzeit exekutiert. Ein anderes Programm hat die Union bis heute nicht- und deshalb fällt es ihr auch so schwer, auf den Niedergang der Sozialdemokratie und ihres grünen Partners eine überzeugende inhaltliche Antwort zu finden. Jubel über die Ablehnung der weitgehend von ihr übernommenen neoliberalen Konzepte würde Selbstverleugung der eigenen Ansätze bedeuten. Die - eigentlich logische - Unterstützung des Schröder-Kurses jedoch widerspräche nicht nur dem Selbstverständnis einer Oppositionspartei, sondern setzte die Union der Gefahr aus, selbst in den Abwärts-Strudel gerissen zu werden.Manche Siege haben ihre versteckten Pferdefüße. Jeder Wähler, der von der SPD zur CDU wandert, verbindet damit die Hoffnung auf substantielle Korrektur des gegenwärtigen Regierungskurses. Solchen Erwartungen aber kann und will die Union - von einigen Details abgesehen - nicht folgen. Sie kann es nicht, weil ihre hauptsächliche Klientel, die Unternehmerschaft, ganz anderes von ihr erwartet. Schon haben Vertreter der Unternehmerverbände unisono davor gewarnt, mit den Gewerkschaften eine »neue Front gegen die Rentenreform oder die Sparpläne« der Regierung (Mario Ohoven vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft) aufzubauen oder gar zum »Betriebsrat der Nation« (Bundesverband Junger Unternehmer) zu werden. Sie will es aber auch nicht, weil sie trotz allen oppositionellen Geschützdonners im Grundsatz von der Richtigkeit des Schröderschen Weges überzeugt ist. Für Schäuble enthält das Schröder/Blair-Papier »viele richtige Modernisierungserkenntnisse«, es sei nur nicht geeignet, »die Menschen für diese Innovation zu gewinnen«.Noch vermag die Union ihr strategisches Dilemma zu überspielen. Solange die Wahlerfolge anhalten, muss sie nicht aktiv werden, kann sie abwarten, wie ihr weitere reife Früchte in den Schoß fallen. Auch die euphorisierte Partei sieht derzeit noch wenig Anlass zu programmatischen Debatten - was der Führung einerseits hilft, andererseits aber auch Gefahren birgt. Denn das konzeptionelle Vakuum, das wesentlich zur Wahlniederlage des vorigen Herbstes beigetragen hat, besteht fort; nicht zufällig feuert Generalsekretärin Angela Merkel die vor schon bald einem Jahr berufenen Arbeitsgruppen zur konzeptionellen Erneuerung der Partei auf den Gebieten der Familienpolitik, der Bildungspolitik, der Sozialpolitik und der »Verschlankung« des Staates zu intensiverer Arbeit an. Und die nächsten Wahlkämpfer - Volker Rühe in Schleswig-Holstein und Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen - zerren bereits nervös im Geschirr.Spätestens wenn die Erfolgsserie der Union zu Ende geht, Demoskopen signalisieren zum Beispiel erste Anzeichen eines Trendwechsels, werden die ungeklärten Fragen innerhalb der Parteien mit dem großen C neu aufbrechen und dann nicht mehr mit wohlfeilen Worten zu überdecken sein. Dann ist damit zu rechnen, dass nicht nur die zuletzt kaum noch wahrnehmbare christlich-demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), sondern auch ein Jürgen Rüttgers, der im sozialdemokratischen Stammland an Rhein und Ruhr im nächsten Mai die Landtagswahlen gewinnen will, sich plötzlich seines sozialen Gewissens besinnt. Schon hat letzterer faktisch ausgeschlossen, dass eine künftige CDU-geführte Regierung die von Rot-Grün anfangs aufgehobenen unsozialen Regelungen, »also auch die Gesetze, die bei der Bundestagswahl mit zur Abwahl geführt haben«, wieder in Kraft setzt und kritisiert, dass die Standortdebatte zur reinen Kostensenkungsdebatte verkommen sei.Schäuble erkennt die Gefahr solcher Diskussionen und wohl mehr noch jene, dass bei einem frühzeitigen Scheitern der SPD und der Grünen die Union selbst wieder in die Lage kommen könnte, »das, was sie jetzt nicht mitträgt, dann als Last selbst zu bewältigen hätte« - wie ihr Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, unverblümt in Aussicht stellt. Ihm geht es darum, Rot-Grün gewissermaßen die »Schmutzarbeit« machen zu lassen und die Glaubwürdigkeit der eigenen Partei bei der Wirtschaft zu erhalten.Die immer offeneren Angebote der Union an die rot-grüne Regierung zu begrenzter Zusammenarbeit im Bundesrat haben hier ihren Hintergrund. Sie ersetzen jedoch keine eigenständige Politik und schon gar nicht ein Konzept, wie angesichts einer immer weniger kalkulierbaren Wählerschaft nicht nur die Macht zurückerrungen, sondern längerfristig gesichert werden kann. Wenn kommenden Montag die Spitzen von CDU und CSU in Berlin zu einem Strategiegipfel zusammenkommen, wartet auf sie eine Aufgabe, die der Quadratur des Kreises gleicht.
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