Marx-Begriffe: Arbeit Arbeit ist Austausch des Menschen mit und in der Natur - das wird auch heute niemand bestreiten. Nur einen kleinen Einwand müsste Marx sich gefallen lassen: Baumeister sind doch Bienen
Zu Marxschen Grundkonzepten, die - nach dem und wegen des Zusammenbruchs der politischen Herrschaft des zwischen Elbe und Pazifik russisch dominierten europäischen Kommunismus - zu problematisieren sind, gehört das zugehörige Arbeitskonzept wohl weniger. Es ist ja als Fortbildung der in der klassischen deutschen Philosophie hervorgebrachten Erkenntnis zu verstehen, auf die Marx in seinen Ökonomisch-philosophischen Manuskripten 1844 selbst hinweist: "Das Grosse an der Hegelschen Phänomenologie ... ist, daß Hegel das Wesen der Arbeit faßt und den Menschen, als Resultat seiner eignen Arbeit begreift." Marx urteilt zusätzlich: "Hegel steht auf dem Standpunkt der modernen Nationalökonomen. Er erfaßt die Arbeit als das Wesen, als das sich bew
ch bewährende Wesen d[es] Menschen." Marx schränkt ein: Hegel "sieht nur die positive Seite der Arbeit, nicht ihre negative. Die Arbeit ist das Fürsichwerden d[es] Menschen innerhalb der Entäusserung oder als entäusserter Mensch. Die Arbeit, welche Hegel allein kennt und anerkennt ist die abstrakt geistige." Ob das eine zutreffende Feststellung ist, sei dahingestellt. Jedenfalls ist klar, dass Marx sein Arbeitskonzept im Anschluss an die philosophische deutsche Klassik (bei deutlicher Erinnerung an Fichte) gewinnt - und mit der zunächst in französischer Sprache erfolgten Rezeption der englischen Nationalökonomie zur Entfaltung seiner eigenen Gedanken übergeht. Die Analyse der von Marx unterstellten "Entäußerung" macht diesen Ansatz aus. Er steht unter dem Programm einer "Kritik der Nationalökonomie", das zuerst von Friedrich Engels konzipiert wurde.Arbeit in und an der Natur1867, als Marx den ersten Band seines Kapitals publiziert, ist jenes Programm durch die Absicht, nach englischem Vorbild On the Principles of Political Economy zu publizieren, ersetzt. Dies unterstellt, ist zu sagen, dass Marx´ Ansichten zur Arbeit in und an der Natur wohl als quasi-axiomatische Voraussetzungen aller humanwissenschaftlichen Erkenntnis nach wie vor gelten können - und sollten: "Die Arbeit ist ... ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit." Ich vermag keine seriöse Erwägung zu erkennen, die diese Beschreibung sinnvoll in Frage stellen könnte.Eher ist zu notieren, dass Marx die Arbeit hier klarerweise nicht als Stoffwechsel des Menschen mit der Natur außer ihm bestimmt, sondern als Vermittlung, Regelung und Kontrolle desselben. Der menschliche Stoffwechsel mit der umgebenden Natur, den jeder zu seinen Mahlzeiten im Verzehr von Lebensmitteln mit anschließender Ausscheidung der unverdaulichen Restbestände betreibt, ist - wie das Schwitzen und andere Stoffwechselarten - nicht Arbeit, sondern einer ihrer Gegenstände. Die Kuriosität, die Arbeit als Stoffwechsel zu denken, hat mit Marx nur dies zu tun, dass sein Text Gegenstand für Interpreten im Kommando bolschewisierter Parteien geworden ist.In einer Reflexion der Marxschen Grundkonzepte ist ohnehin zu bedenken, dass Marx´ Theorie sowie Ansichten und der "Marxismus" im Sinne seiner Grundlegung in Engels´ Anti-Dühring durchaus zu unterscheiden sind. Und keineswegs meint das Wort Marxismus einen einheitlichen und konsistenten Korpus von Auffassungen.Mit Blick wiederum allein auf Marx´ Sicht kann auch gegen die Feststellung: "Die einfachen Momente des Arbeitsprozesses sind die zweckmäßige Tätigkeit oder die Arbeit selbst, ihr Gegenstand und ihr Mittel", kaum etwas eingewendet werden. So könnte man weiter fortfahren zu sammeln, was aus dem Werk von Marx die Zeiten überdauern wird, wenn auch Konjunkturen der Rezeption unterworfen. Dann wird sich vielleicht ergeben, dass die Bezeichnung "Marxist" in der Ökonomie, Soziologie, Politologie und anderen Humanwissenschaften nicht mehr Schrecken erregt als die in der Biologie geläufige Bezeichnung "Darwinist". Allerdings ist dafür die kritische Reflexion der Marxschen Konzepte unabweisbar, die - versteht sich - unter Ausschluss jedes Parteikommandos erfolgen muss. Denn sobald ein Vorstand, ein Zentralkomitee oder welche Vereinsspitze immer mit einschneidenden Folgen für Interessierte beschließen kann, was "marxistisch" sei, endet die wissenschaftliche Erkenntnis.Die Lokomotive: Idee und Tat Die kritische Reflexion, die zum Schluss mit Bezug auf ein Problem wenigstens angedeutet sei, betrifft die berühmte Darstellung des Arbeitsprozesses im Kapital, in der Marx die Unterscheidung des schlechtesten Baumeisters von der besten Biene vornimmt und behauptet, dass der (menschliche) Baumeister "die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut". Das mag für gegebene Produktarten zutreffen, stimmt aber gewiss nicht für Neuerungen, für die eine wechselseitige Korrektur von Idee und Tat angenommen werden muss.Man kann zur Bestätigung dieser Sicht die Technikgeschichte thematisieren: Die ersten Automobile zum Beispiel hatten durchweg die Gestalt der alt bekannten Pferdewagen. Kein Zeitgenosse hätte die Anfang des 20. Jahrhunderts gewonnene Grundgestalt der uns bekannten Kraftfahrzeuge angeben können. Man vergleiche die Lokomotive eines ICE mit der, die 1825 erstmals in England einen Zug in Bewegung setzte, und frage sich, ob die Idee der Lokomotive von 1814 (als sie zur Ersetzung des Pferdes mit Hilfe einer fahrbaren Dampfmaschine technisch wirklich konzipiert war) die tatsächlichen Lokomotiven, die wir nach einer fast 200-jährigen Geschichte des fraglichen Arbeitsprodukts kennen, antizipiert habe.Wer das bezweifelt, wird auch zugeben, dass Arbeit nicht einfach als Ideenrealisation zu denken ist, sondern als ein Vorgang, in dem Ideen ihn ebenso leiten wie durch ihn (Erfahrung gründend) korrigiert oder aufgegeben werden. Aber das ist ein Einwand, den Marx en passant akzeptiert hätte.Peter Ruben arbeitet als Philosoph in Berlin. Er ist beteiligt an der Zeitschrift Berliner Debatte Initial. Von ihm erschien zuletzt ein Beitrag in Anfänge der DDR-Philosophie (hg. von Volker Gerhardt, Ch. Links Verlag, Berlin 2001).
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