Letztlich hängt doch alles am Geld. Da können die Vorzüge der neuen Technologie, der Gewinn an Zeit und Komfort für die Fahrgäste, der Zuwachs an Arbeitsplätzen der beteiligten Firmen in den schönsten Farben geschildert werden: Wenn am Ende die Kasse nicht stimmt, war alles umsonst. In der Diskussion um die Magnetschwebebahn Transrapid, für die einen eine Jahrhundertrevolution der Verkehrstechnik, für die anderen Milliardengrab und potenzielle Industrieruine, treffen sich wie in einem Brennglas alle Pros und Kontras, die üblicherweise bei der Einführung jeglicher bahnbrechenden neuen Technologie vorgebracht werden. Dabei gewinnt im vorliegenden Fall die Vokabel "bahnbrechend" eine ganz unmittelbare Bedeutung, geht es doch auch um die Brechung des Monopols der Eisenbahn bei spurgebundenen Verkehren.
Faszinierend ist die Magnetschwebebahn allemal. Der Wunderzug Transrapid, dessen achte Version vor kurzem feierlich von der Kasseler Produktionsstätte zur Versuchsstrecke ins Emsland transportiert wurde, fliegt, ohne zu fliegen, und fährt, ohne zu fahren. Das heißt, er fährt ohne Räder und fliegt, ohne an Bodenhaftung zu verlieren. Ermöglicht wird das durch ein den Fahrweg entlang wanderndes Magnetfeld, das den Zug nach vorn zieht, und durch Magnete am Fahrzeug, die den Fahrweg kufenförmig umgreifen und dafür sorgen, dass das Fahrzeug zugleich angezogen und abgestoßen und so stets in einem Abstand von zehn bis 15 Zentimeter zum Fahrweg gehalten wird. 40.000 Besucher nutzen jährlich die Chance, auf der aufgeständerten Teststrecke im Emsland völlig berührungsfrei mit Tempo 420 über die Landschaft zu huschen. Selbst eine so entschiedene Gegnerin des Transrapid wie die grüne Verkehrsexpertin Gila Altmann äußert nach einer Fahrt Verständnis dafür, "dass Männerherzen höher schlagen, wenn sie den Zug sehen".
Nun hat eine Reihe von Expertisen die überschäumende Technikbegeisterung etwas gebremst. Beachtung verdient etwa die vor zwei Jahren vorgelegte Arbeit eines Teams um den Architekten Frei Otto, das in Zusammenarbeit mit einem britischen Expertenteam zum Ergebnis kam, der Fahrweg, der allen bisherigen Transrapid-Planungen zugrundelag, sei "unökologisch, unästhetisch und bautechnisch unzulänglich" und "daher nicht für reale Strecken anwendbar". Ungelöste Probleme seien etwa witterungsbedingte Verformungen des Fahrwegs (durch Hitze, Flugeis, Hartschnee), die zu Berührungen des schwebenden Fahrzeugs mit dem Fahrweg und damit "bei hohen Geschwindigkeiten zu Katastrophen führen" können. Eine von Thyssen-Henschel in Auftrag gegebene Studie aus der Universität Gesamthochschule Kassel bescheinigt dem Transrapid einen systembedingten ökologischen Vorsprung vor anderen Hochgeschwindigkeitssystemen (zum Beispiel dem ICE), allerdings nur bis zu einer Geschwindigkeit von 350 Stundenkilometern. "Schneller als 350 Kilometer pro Stunde sollte der Transrapid nicht schweben", meinte Projektleiter Heinz Hübner, Lehrstuhlinhaber für Technikwirkung und Innovationsforschung, bei der Präsentation seiner Forschungsergebnisse. Genau für solche höheren Geschwindigkeiten sollte aber der Transrapid gebaut werden!
Dennoch: Die Faszination bleibt. Wohl auch deshalb, weil längst nicht alle Anwendungsbereiche der neuen Technik erschlossen sind. So könnte beispielsweise der Systemvorteil der Magnettechnik, dass Weichen ohne bewegliche Teile gebaut und vollautomatisch gesteuert werden können, Entgleisungen und Zusammenstöße also unmöglich sind, zur Entwicklung eines völlig neuen innerstädtischen Verkehrssystems der Zukunft genutzt werden (Frei Otto träumt von einem "Selbstwähl-Magnetschwebeverkehr"). Vielleicht tut sich der Transrapid, dessen Entwicklung vor 25 Jahren begann, auch deshalb so schwer, weil er mit neuer Technologie ein (Beförderungs-)Problem lösen will, das mit der Rad-Schiene-Technik schon angemessen gelöst ist.
Hinzu kommt, die neue Technik, angewendet auf die in Aussicht genommene Referenzstrecke Hamburg-Berlin, kostet mehr, als die beteiligten Firmen zu zahlen bereit sind und die Bundesregierung in der Lage ist zu zahlen. Die Beträge sind seit langem bekannt: 6,1 Milliarden DM soll der Bund für den Bau des Fahrweges vorstrecken, 3,7 Milliarden DM investiert das Transrapid-Konsortium, bestehend aus Thyssen-Krupp, Siemens und ADtranz, die Bahn-AG soll später nicht nur den Betrieb der Magnetbahn organisieren, sondern jeweils ein Drittel des anfallenden Nutzungsentgelts an den Bund und an das Firmenkonsortium abführen. Für auftretende Verluste müsste die Bahn-AG alleine geradestehen. Allerdings würde auch der Bund auf zurückfließende Mittel verzichten.
Für Finanzminister Eichel, der sich als Kasseler Oberbürgermeister und später als hessischer Ministerpräsident immer für den Transrapid ins Zeug gelegt hat - Systemführer Thyssen produziert in Kassel -, bedeutet das Aus für den Transrapid, ihm würde auf einen Schlag ein Fünftel seines Sparpakets in den Schoß fallen. In Kassel jedenfalls, wo Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Unternehmensverbände pro Transrapid demonstrierten, ließ sich Eichel trotz mehrmaliger Aufforderung nicht blicken.
Der Rückzug der beteiligten Firmen aus dem Projekt hatte sich angekündigt. "Nur Thyssen hält noch die Fahne hoch", titelte die Hessische Allgemeine vor einem Jahr und berichtete von Ausstiegsplänen von Siemens, ADtranz und Bahn-AG, nachdem klar war, dass auch die neue Bundesregierung die vereinbarten Subventionen nicht aufstocken würde. Konsortialpartner AD tranz, ein Gemeinschaftsunternehmen von ABB und DaimlerChrysler, das die Fahrzeuge für den Transrapid in Kassel bauen sollte, schreibt seit Jahren rote Zahlen und hatte ständig mit Problemen seiner Neigetechnik-Züge zu kämpfen. 1998 machte der Konzern, der inzwischen ganz zu Daimler-Chrysler gehört, bei einem Umsatz von 6,4 Milliarden DM mehrere hundert Millionen DM Verlust. Lange wird das die Mutter in Stuttgart nicht mehr mit ansehen wollen, zumal die vor wenigen Tagen beschlossene Großfusion der DaimlerChrysler-Tochter DASA mit dem französischen Luftfahrtriesen Aerospatiale Matra einiges kosten wird. Zu allem Überfluss kommt hinzu, dass das Kasseler Zweigwerk im Konzernverbund dasjenige ist, das sich am preiswertesten schließen ließe, da die Immobilien in Kassel nur gemietet sind und an anderen Standorten genügend freie Fertigungskapazitäten bestehen.
Zweiter Ausstiegskandidat ist Siemens, ein Konzern, der bekannt dafür ist, sich von unrentablen Teilen seines stark diversifizierten Unternehmens rasch und nicht eben zimperlich zu trennen. Die ohnehin verlustreiche Siemens-Bahntechnik könnte sich im Zuge der derzeitigen Konzentrationsbemühungen auf seine "Kernkompetenz" zumindest von jenen Aktivitäten trennen, die auch mittelfristig keine Gewinne abwerfen werden. Das Transrapid-Engagement gehört zweifellos dazu.
Die Bahn-AG wird das Abenteuer Transrapid auch lieber heute als morgen beenden, sie hätte eigentlich nie mitmachen dürfen. Denn erstens werden die geschätzten erwarteten Fahrgastzahlen der Strecke Hamburg-Berlin (etwa sechs Millionen pro Jahr) so niedrig liegen, dass sich der Fahrbetrieb niemals rechnet. Die Bahn soll neben dem "variablen" Nutzungsentgelt (an Bund und Industrie) auch noch an das Industrie-Konsortium ein festes Nutzungsentgelt zahlen, unabhängig davon, ob der Transrapid Gewinne einfährt oder nicht. Dieses Entgelt ist so hoch bemessen, dass die Industrie Zinsen und Tilgung ihrer für den Transrapid aufgenommenen Kredite bezahlen kann. Und zweitens macht sich die Bahn mit dem Transrapid selbst Konkurrenz. Die industriepolitische Hätschelung der Magnetschwebetechnik hätte ihr aber noch aus einem anderen Grund ein Dorn im Auge sein müssen: Nach Berechnungen des Technikfolgenforschers Franz Büllingen, der 1997 ein viel beachtetes Werk über den Werdegang des Transrapid veröffentlichte, wurden von 1969 bis 1995 aus dem Bundeshaushalt in die Magnetbahnentwicklung 1,9 Milliarden DM investiert, in die Eisenbahnentwicklung dagegen knapp ein Drittel (0,6 Milliarden DM).
Das gegenwärtige öffentliche Gerangel um die Zukunft des Transrapid hat viel mit einem Schwarzer-Peter-Spiel zu tun. Keiner der beteiligten Akteure möchte mit der Ausstiegs-Karte erwischt werden, das heißt, die Verantwortung für das Scheitern des Projekts auf sich nehmen. Denn alle haben sie in der Vergangenheit zu hochgestapelt: Da war die Rede davon, dass die Bundesrepublik nicht ihre weltweite Spitzenstellung in der Magnetschwebetechnologie verlieren und zukünftige Exportchancen aufs Spiel setzen dürfe. Dass aus den diversen Bewerbungen des Transrapidkonsortiums nie etwas geworden ist, lag keineswegs an der fehlenden Referenzstrecke in Deutschland, sondern daran, dass die neue Technik mit der jeweils vorhandenen Verkehrsinfrastruktur nicht kompatibel war, oder schlicht an den hohen Investitionskosten. In den vergangenen zwei Jahren produzierte die Transrapid-Gesellschaft publizistische Luftnummern und bewerbungspolitische Bauchlandungen en suite: zum Beispiel die Verbindung Los Angeles - Las Vegas und drei weitere Strecken in anderen US-Staaten, die Strecke von Bangkok in das Touristikzentrum Chian Mai, eine Trans-Alpen-Magnetbahn (anstelle des geplanten Eisenbahn-Tunnels), eine Schnellverbindung zwischen Peking und Shanghai, eine Ringbahn in Holland oder weitere Projekte in Australien und Brasilien. Diese Flops waren absehbar. Denn auch im Ausland wird eine Investition nach ihrem Kosten-Nutzen-Prinzip beurteilt. Und da hat eine Verkehrstechnologie, die in ihrem Ursprungsland - trotz jahrzehntelanger öffentlicher Alimentierung - auch in der Praxisphase nicht ohne staatliche Subventionen auskommt, schlechte Chancen.
Die Verkaufschancen des Transrapid würden also eher noch sinken, wenn die Bundesregierung sich den Forderungen der Industrie beugt und mehr Geld bereitstellt. Einen Ausweg aus diesem Dilemma scheint es nicht zu geben. Ungerecht, dass - vor allem in den betroffenen Standorten, und als Kasseler weiß ich, wovon ich rede - die jetzige Koalition die Prügel für eine lange vorher verbockte Verkehrspolitik allein erhält. Es gibt genügend andere Fehlleistungen, gegen die Arbeiter und Angestellten hierzulande protestieren müssten. Die frei werdenden 6,1 Milliarden des Bundes sollte man dem Finanzminister nämlich nicht einfach zur Haushaltssanierung in den Rachen werfen, sondern sich dafür stark machen, dass dieses Geld beispielsweise zur Finanzierung zusätzlicher Schienenverkehrsprojekte (dem beschleunigten Ausbau der West-Ost-Verbindung Dortmund-Erfurt-Dresden etwa) Verwendung findet.
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