Architektur klingt gut, weckt ästhetische Assoziationen an Le Corbusier oder Schinkel, man denkt an Solidität und Gediegenheit. Daß auch Finanzmärkte einer Architektur bedürfen, ist spätestens seit der Asienkrise wieder ins Bewußtsein gerückt. So plädiert selbst Weltbank-Chef Wolfensohn dafür, »daß die internationale Finanzarchitektur die gegenseitige Abhängigkeit zwischen dem Makroökonomischen und Finanziellen einerseits und den strukturellen und sozialen menschlichen Problemen andererseits widerspiegeln muß.« Weniger diplomatisch formuliert: das bestehende Finanzsystem ist weder sozial noch menschlich. Für eine »Globalisierung mit menschlichem Antlitz« plädiert daher auch die Bundesregierung.
Unter dem Schlagwort »neue Finanzarchitektur« hat eine Diskussion in der internationalen Bankergemeinde über Reformen im internationalen Finanzsystem begonnen. Auf der jüngsten Frühjahrstagung von IWF und Weltbank wurde ein Papier diskutiert, das zahlreiche Instrumente auflistet, mit deren Hilfe man die unbestrittenen Stabilitätsrisiken der internationalen Finanzmärkte vermindern könnte. Vorgeschlagen werden Maßnahmen für mehr Transparenz der Märkte, zur Stärkung nationaler Institutionen der Bankenaufsicht und der Finanzmarktregulierung, selbst nationale Kapitalverkehrskontrollen seien in Ausnahmefällen zulässig. Und: der Privatsektor soll in Krisenvorbeugung und -lösung einbezogen werden. Wer sich verspekuliert hat, könnte demnach nicht mehr ohne weiteres auf Rettungspakete des IWF hoffen und hätte seine Verluste mehr als bisher selbst zu tragen.
Ob aber tatsächlich der Wille zu substantiellen Veränderungen vorhanden ist, kann bezweifelt werden. Außer der sicher nützlichen Erhöhung der Eigenkapitalstandards hat sich bisher nichts getan. Für den G-8-Gipfel ist selbst von politischen Absprachen zur Wechselkurspolitik, von der noch im März die Rede war, nichts mehr zu hören. Über die Einbeziehung des Privatsektors gibt es tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und den Europäern. Themen wie Kapitalverkehrskontrollen oder die Zukunft der Steueroasen und Offshore-Zentren sind erst einmal verschoben worden. Je länger der zeitliche Abstand zur Asien-Krise, um so mehr scheinen sich die Veränderungsabsichten zu verwässern.
Aber selbst wenn der Maßnahmekatalog des IWF beschlossen und umgesetzt würde, wären zwar einige extrem spekulative Geschäfte erschwert, an der prinzipiellen Krisenanfälligkeit des Systems würde sich ebenso wenig ändern wie an der »normalen« Spekulation. Das internationale Finanzsystem entfaltet seine problematische Wirkung nicht erst im spekulativen Großangriff auf eine Währung oder im Crash, sondern gerade wenn es »normal« funktioniert.
So ändert sich nichts am Verlust der Zins- und Wechselkurshoheit der einzelnen Volkswirtschaften, der im Zuge der globalen Liberalisierung und Deregulierung der Kapitalmärkte entstanden ist. Damit verzichten Regierungen auf die Kontrolle über wichtige makroökonomische Steuerungsinstrumente, mit denen Konjunktur- und Arbeitsmarktpolitik betrieben werden könnte. Es ändert sich nichts an dem grundsätzlichen Defekt, daß Kapital eben lieber in den schnellen Dollar auf den Finanzmärkten fließt, weil die Rendite dort doppelt so hoch ist als bei produktiven - und damit beschäftigungswirksamen - Investitionen. Es ändert sich nichts daran, daß eine völlig überzogene Politik der Geldwertstabilität zu einer rigorosen Haushaltspolitik zwingt, mit der jede Reformpolitik unbezahlbar wird.
Notwendig wären dagegen Maßnahmen, mit denen die Macht der Finanzmärkte beschränkt wird. An erster Stelle hätte dabei eine Kontrolle der Wechselkurse zu stehen. Vorschläge zur Wechselkursregulierung, wie sie Anfang des Jahres noch von Lafontaine und dem französischen Finanzminister unterbreitet wurden, sind inzwischen allerdings von der Tagesordnung nicht nur des Kölner Weltwirtschafstgipfels abgesetzt worden.
Wichtig wäre auch eine Spekulationssteuer, wie sie schon Ende der siebziger Jahre von dem Nobelpreisträger James Tobin vorgeschlagen wurde. Die Funktionsweise der sogenannten Tobin Tax ist einfach. Da bei Einsatz großer Geldsummen selbst geringste Schwankungen bei Wertpapieren, Wechselkursen und Zinsen zu einer attraktiven Geldquelle werden, kann schon eine geringfügige Steuer von 0,5 bis 1 Prozent diese Geschäfte unrentabel machen. Die kurzfristigen Transaktionen der »alltäglichen« Spekulation würden verringert, die Finanzströme verlang samt. Langfristige Investitionen und die Absicherung realwirtschaftlicher Geschäfte bei Handel und Investitionen dagegen würden von der Tobin Tax nicht behindert.
Für die Geldbesitzer und ihre Interessenvertreter in den Regierungen ist sie dagegen ein rotes Tuch. Nachdem die UNDP (UN-Entwicklungsprogramm) 1994 die Tobin Tax als Geldquelle für die internationale Finanzierung nachhaltiger Entwicklung in die Debatte geworfen hatte, mußte vor allem auf Druck Washingtons der Begriff aus dem Sprachschatz offizieller UNO-Texte gestrichen werden. Bei den Vorbereitungsverhandlungen für eine große UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung, die in zwei Jahren stattfinden soll, wurde das Thema von der Tagesordnung genommen. Um so notwendiger ist es, daß die Spekulationssteuer auf der politischen Agenda gehalten wird, wenn dem großen Geld nicht völlig das Feld überlassen werden soll. Ermutigend ist, daß sich unlängst das kanadische Parlament für die Tobin Tax ausgesprochen hat, ebenso die neue finnische Regierung. Bei großangelegten, spekulativen Angriffen auf eine Währung, wie bei der Asienkrise geschehen, hilft allerdings auch die begrenzte Lenkungswirkung der Tobin Tax nicht. Das macht sie nicht überflüssig, aber ergänzungsbedürftig durch andere Instrumente, insbesondere nationale Kapitalverkehrskontrollen.
Unklar in der »neuen Finanzarchitektur« ist auch die Rolle der Off-Shore-Zentren und Steuerparadiese, mit denen sich das Kapital politischer Regulierung entziehen kann. Abgesehen davon, daß die meisten dieser Zentren mitten in der Londoner City liegen (Off-Shore heißt hier eigentlich nur, daß sie der nationalen Finanzgesetzgebung und Bankenaufsicht entzogen sind), sind die Cayman Inseln, die Bermudas und Bahamas keine eigenständigen Staaten. Ein Verwaltungsakt des »Mutterlandes« genügt, um das Paradies dicht zu machen. Auch Operettenstaaten vom Schlage Liechtensteins und Monacos dürften sich - politischer Wille bei den großen Industriestaaten vorausgesetzt - einer internationalen Regelung kaum entziehen. Bereits ihre Einbeziehung in eine strengere Bankenaufsicht wäre ein Schritt, mit dem ihre Attraktivität beträchtlich sinken dürfte.
Fazit: Die offiziellen Vorschläge für die »neue Finanzarchitekur« laufen darauf hinaus, in dem alten Bau einen Feuermelder zu installieren und mehr Wasser in den Löschteich zu füllen. Aber das reicht nicht. Gefragt ist strukturelle Brandsicherheit, das heißt die Verwendung von feuerfestem Material und das Verbot von offenen Feuerstellen. Das wäre besser als Feuerwehrleuten zu vertrauen, unter denen sich, wie man weiß, nicht selten verkappte Pyromanen befinden.
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