Das Ende der Taktik

Merkel Erstmals hat sich der Unmut in den eigenen Reihen zielgerichtet gegen Merkel entladen. Das ist der Beginn der Entfremdung zwischen Kanzlerin und ihrer Partei

In der Politik gibt es im allgemeinen zwei Strategien, um von einem Desaster abzulenken. Die eine: Man behauptet, es habe nie eines gegeben. Die andere: Man erklärt, dass die anderen die Schuldigen sind. Beides führt verlässlich dazu, dass das eigentliche Ereignis schnell in den Hintergrund tritt. So verfährt derzeit auch die schwarz-gelbe Koalition. Die Kanzlerin Angela Merkel behauptet, die Wahl von Christian Wulff zum Bundespräsidenten sei ein schöner Erfolg. Unterdessen ist das Fussvolk dabei, die Schuldigen für die Zitterpartie zu finden. Natürlich ohne durchschlagenden Erfolg.
Doch auch wenn der Aufruhr in den Medien und in der CDU in den nächsten Tagen zweifellos wieder abflauen wird: Der Glaube der CDU an Merkels Führungsqualitäten ist nach dieser Bundespräsidentenwahl schwer erschüttert. Auch Gerhard Schröder hatte mit Widerstand und Unzufriedenheit aus den eigenen Reihen zu kämpfen. Was man Schröder aber selbst während der scharfen Debatten um Hartz IV oder Afghanistan nicht vorwerfen konnte, war, dass er keine Vorstellung von dem hatte, was er erreichen wollte. Dem einen gefiel es. Dem anderen nicht. Darüber konnte man streiten, immerhin. An seinen Führungsqualitäten zweifelte indes niemand.
Merkel hat, anders als Schröder, ein taktisches Verhältnis zur Macht. Nicht zuletzt deshalb hat sie Christian Wulff zum Präsidentschaftskandidaten nominiert. Dem einen gefiel dieser Stil. Dem anderen nicht. Aber Streit gab es nicht, zugestimmt wurde in beiden Fällen. Worüber hätte man auch streiten sollen? Wie man sich noch geschickter durchlaviert? Am Mittwoch in der Bundesversammlung ist Merkels Politikstil zum ersten Mal auf Widerstand getroffen. Die Koalitions-Abgeordneten haben nicht mehr, wie bisher bei einigen üblich, mit der Faust in der Hosentasche abgestimmt. Sie haben sich offen gegen Merkels Politikstil gestellt.
Die missglückte Präsidentenwahl ist deshalb für Merkel viel mehr als nur ein „Watschen“, oder ein „Kinnhaken“, wie man promt überall nachlesen kann. Es ist der Beginn der Entfremdung zwischen der Kanzlerin und der sie tragenden Parteien. Die eigenen Leute haben Merkel zwei Mal eine Abfuhr erteilt. Und damit niemand im Zweifel darüber bleiben konnte, dass wirklich nur sie gemeint war, bekam der Kandidat Wulff in der dritten Runde eine – wenn auch knappe – absolute Mehrheit. Die Abgeordneten wollen nicht mehr, dass es so weitergeht.
Es liegt eine feine Ironie darin, dass Merkel in dem Moment, in dem sie innerparteilich so mächtig ist wie nie zuvor, so schwach dasteht. In der CDU jedenfalls hat sie keine mächtigen Gegner mehr. Sie sind alle wurden ausgebootet, sind abgetreten oder wurden weggelobt. Das war Merkels Werk. Eines hat die Kanzlerin dabei allerdings vergessen: Es gibt einen noch gefährlicheren Widersacher als einen konservativen Roland Koch oder einen unheimlich freundlichen Christian Wulff: Die Unzufriedenheit von Abgeordneten, die sich nicht auf konkrete Politik richtet, sondern gegen die Person der Kanzlerin. Bisher war Merkel eine Teflon-Politikerin, zumindest was ihr Ansehen in den eigenen Reihen betraf. Davon kann nach dieser Bundespräsidentenwahl keine Rede mehr sein. Am vergangenen Mittwoch hat sich das allgemeine Gemurre zum ersten Mal zielgerichtet gegen Merkel entladen. An diesem Tag hat die Autorität von Merkel schweren Schaden genommen und es ist nicht ersichtlich, wie sie wiederhergestellt werden könnte. Weit und breit ist kein bedeutendes politisches Projekt zu sehen, mit der die Merkel und ihre Koalition Handlungsfähigkeit demonstrieren und Merkel ihre Autorität wieder herstellen könnte. Die Abgeordneten von CDU/CSU und FDP gehen in zwei Wochen in die Sommerpause. Wenn sie im September zurückkehren, droht der Kanzlerin ein Herbst des Missvergügens.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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