Nach fünf Jahren Krieg in Syrien bietet sich plötzlich die Chance auf einen Waffenstillstand. Anschließend passiert Folgendes: Ein russischer Spitzenpolitiker befürchtet die Rückkehr des Kalten Krieges; ein amerikanischer Spitzenpolitiker sagt, Wladimir Putin benutze die Flüchtlingskrise als Waffe gegen die transatlantische Gemeinschaft; Soldaten des Nato-Landes Türkei schießen Granaten auf Kurden in Syrien, die Verbündete der USA sind; zwei Krankenhäuser werden von Raketen zerstört. Eskalation liegt in der Luft, nicht Deeskalation.
Forscher haben beobachtet, dass ein Bürgerkrieg im Durchschnitt sieben Jahre dauert. Folgt man dieser Berechnung, dann bleibt noch viel Zeit, für den Gebrauch von Waffen – und das Zerreden von diplomatischen Initiativen. Aber so viel Zeit gibt es nicht mehr. Was als Demonstration für Demokratie in einer syrischen Kleinstadt begann, ist zu der größten außenpolitischen Krise der Gegenwart geworden. 250.000 Menschen sind gestorben, elf Millionen sind auf der Flucht: Syrien ist ein Schlachthaus, aus dem es kein Entrinnen gibt. Auch nicht für die Politik.
Eine militärische Lösung für dieses Problem kann es nicht geben, hieß es noch vor einigen Monaten. Dann kam Putin, um den bedrängten Machthaber al-Assad zu stützen. Jetzt heißt es: Russland verändert die militärische Lage in Syrien zu seinen Gunsten. Und man fragt sich: Ja, was denn nun? Konflikte sind immer undurchschaubar, der Nebel des Krieges nimmt einem die Sicht. Man sollte deshalb den einfachen, oft wiederholten Behauptungen misstrauen. Eine davon lautet: Putin ist schuld an der Eskalation in Syrien. Er sei derjenige, der den Westen am Nasenring durch die Manege führt. Derjenige, der keine Skrupel kennt, wenn es um Russlands Interessen geht. Wer dagegen in dem Syrien-Konflikt eine rationale russische Haltung erkennt, wird als „Putinversteher“ abgestempelt. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, ein der Putinversteherei eher unverdächtiger Mann, hat in der vergangenen Woche damit so seine Erfahrungen gemacht. Er musste viel verbale Prügel einstecken für seine Bemerkung, Russlands Präsident habe durch sein Eingreifen überhaupt erst eine Friedenslösung ermöglicht. Kujat hat recht – aber das wollen viele nicht hören –, nicht zuletzt auch deshalb, weil Putin den syrischen Präsidenten Assad und sein menschenverachtendes Regime stützt. Das eine kann wegen des anderen offenbar nicht sein.
Das zeigt: Wir führen hierzulande eine schiefe Debatte über Putins Politik. Der Blick auf Realitäten und die politischen Notwendigkeiten ist verstellt. Nicht zum ersten Mal. In der Ukraine-Krise war die Lage vergleichbar. Aber es ist nun einmal so: Schwarz und Weiß gibt es in Syrien ebenso wenig wie in der Ukraine.
Für die Schwarzweißmalerei tragen allerdings auch diejenigen eine Mitverantwortung, für die Russlands Verhalten nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung ist. Denn richtig ist ja auch: Es ist ein Verstoß gegen internationales Recht, wenn Russland oder sein Verbündeter Assad bewohnte Stadtgebiete beschießen lassen, wenn die Zivilbevölkerung ausgehungert oder vertrieben wird. Leider hört man in diesen Fällen nur wenig Kritik. Oft scheint es gar kein Thema zu sein. Diese dröhnende Stille untergräbt die Glaubwürdigkeit und sie rückt diejenigen ins Zwielicht, die auf der anderen Seite – sehr zu Recht – mit ihrem Protest nicht zögern, wenn es statt um Russland um Militäreinsätze der USA geht. Wer das eine tut, kann das andere nicht lassen.
Ob der geplante Waffenstillstand eine Chance bekommen wird, ist offen. Vieles spricht dafür, dass es länger dauern wird als die Wochenfrist, die für sein Eintreten gesetzt worden ist. Und selbst wenn: Es ist kaum anzunehmen, dass gleich überall die Waffen schweigen werden. Aber ein Anfang ist gemacht. Er war möglich, weil sich die Situation in Syrien in einem Punkt grundlegend geändert hat: Die USA als Anführer der westlichen Allianz und Russland als Verbündeter der syrischen Regierung und der Iran stehen sich auf Augenhöhe gegenüber. Wenn man so will, liegt darin tatsächlich eine Rückkehr zu der Zeit des einstigen Ost-West-Konflikts. Mit Kaltem Krieg hatte der übrigens die meiste Zeit nichts zu tun, eher dagegen mit dem machtpolitischen Antagonismus zweier Supermächte.
Russland hat sich nun nach längerer Abwesenheit als Spieler mit globalen Interessen auf der internationalen Bühne zurückgemeldet. Putin sieht sein Land als Großmacht, trotz Ölpreisverfall und schlechter wirtschaftlicher Lage. Und, wichtiger noch, er verhält sich auch so. Der machtpolitische Antagonismus der achtziger Jahre ist von ihm wiederbelebt worden. Das muss nicht schlecht sein. Klare Gegensätze können auch hilfreich sein, um mit der Gegenseite Interessen abzugleichen.
Als es in den achtziger Jahren mit der Sowjetunion bergab ging, waren die USA so vorausschauend, die wirtschaftlich wankende Weltmacht trotzdem als gleichrangigen Partner zu behandeln. Wichtige Abrüstungsabkommen sind so zustande gekommen. Nun muss der Westen nach einem ähnlichen Muster verfahren. Diplomatie darf nicht die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln sein. Nur dann wird es eine Lösung für Syrien geben.
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