Der Hacker des Präsidenten

Polen/Tschechien Der Rückhalt für Bushs Irak-Politik ist nicht mehr ungebrochen

Für kurze Zeit schien am 19. März die Verwirrung komplett. Auf der Internetseite des polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski war die Erklärung zu lesen: "Ich habe den mit Lügen begründeten Krieg von George Bush unterstützt. Ein ehrlicher Politiker hat die Pflicht, seine Fehler zuzugeben. Polen wird seine Truppen aus dem Irak bis Ende Juni zurückziehen. Ich rufe überdies zur Teilnahme an den Antikriegsdemonstrationen am Wochenende auf."

Nach einer Stunde war die Aufregung vorbei: Die Administratoren der Präsidentenseite hatten das Werk eines begabten Polit-Hackers entfernt. In Wirklichkeit denkt Kwasniewski auch nach den Anschlägen von Madrid nicht ernsthaft daran, die Truppen aus dem Zweistromland abzuziehen. "Ein Rückzug ist ausgeschlossen", bekennt auch Premier Leszek Miller. Und Marek Siwiec, Chef des Nationalen Sicherheitsbüros, rüffelt den designierten spanischen Premier Jose Luis Rodriguez Zapatero: "Spanien gibt sich der trügerischen Hoffnung hin, es könne seine Sicherheit verbessern, wenn es al Qaida aus der Schusslinie geht."

Die Botschaft, die Polens Regierung seinen Bürgern zukommen lässt, scheint unmissverständlich: Wir lassen uns vom islamischen Terror nicht in die Knie zwingen. Nur so ganz ohne Brüche ist diese Haltung nicht mehr. In einem Gespräch mit französischen Journalisten ließ Kwasniewski erstmals öffentlich Zweifel an der Richtigkeit eines bedingungslosen Schulterschlusses mit der US-Politik im Irak anklingen. "Was die Gefährdung durch irakische Massenvernichtungswaffen betrifft, so sind wir getäuscht worden", gab er zu. Das polnische Korps aus dem Irak sofort abziehen, wie ihm das der anonyme Hacker unterstellt, will der Präsident freilich nicht. Immerhin kann er sich inzwischen Anfang 2005 als Termin für einen "Teilrückzug" vorstellen: "Wenn eine Stabilisierung erreicht ist, können wir unser Kontingent reduzieren. Wir werden die militärische Präsenz allmählich in eine nichtmilitärische wandeln."

Eine Abkehr vom US-Krieg im Irak ist das freilich nicht - eine nicht ganz unwesentliche Akzentverschiebung schon, motiviert primär durch innenpolitische Umstände. Bei nur noch neun Prozent liegt in Umfragen derzeit Leszek Millers regierendes Bündnis der Demokratischen Linken (SLD). Kwasniewski, einer der SLD-Gründer, ist bekannt dafür, dass er Miller stets für eine Fehlbesetzung hielt. Seit Wochen schon kursieren in Warschau Gerüchte, wonach unter dem wohlwollendem Blick des Präsidenten ein SLD-interner Putsch gegen Miller vorbereitet wird. Der Hauptvorwurf der Kritiker: Miller habe traditionell linke Politikfelder kampflos den Populisten überlassen - allem voran natürlich die Sozialpolitik, aber auch den Protest gegen das Irak-Engagement.

"Was haben wir im Irak verloren? Welche Interessen haben wir dort? Ihr sagt, die Amerikaner bauen Schulen im Irak. Hitler hätte, wenn er in Polen gewonnen hätte, hier auch Schulen gebaut. In wessen Namen werden im Irak Greise, Frauen, Kinder getötet?", schrie Andrzej Lepper, der Führer der populistischen Samoobrona im Sejm, als gerade die Nachricht vom Tod des ersten polnischen Soldaten im Irak einging. Nun scheint es, dass Kwasniewski einen zaghaften Versuch unternimmt, jene, die Lepper nicht leiden, ihm aber im Stillen Recht gegeben haben, zurückzuholen. Es ist auch höchste Zeit: Laut Umfragen führt jener mit 24 Prozent augenblicklich die zweitstärkste Partei des Landes.

Mit mehr Polizeipräsenz auf Bahnhöfen und vor öffentlichen Gebäuden versuchen Polen und andere osteuropäische US-Alliierte, der Bevölkerung Sicherheit zu suggerieren. Unter medialem Getöse versprach etwa Tschechiens Innenminister Stanislav Gross, an besonders belebten Plätzen Prags würden demnächst Hundestaffeln patrouillieren, um notfalls Sprengstoff aufspüren zu können. Vor dem Gebäude des Flughafens Ruzyni stand für einige Stunden gar ein Panzerwagen. Auch eine restriktive Vergabe von Einreisevisa an Bürger aus "Risikoländern" solle das Land schützen. Dass man nebenbei eine Nachrichtensperre für sämtliche Informationen über die "tschechische Militärmission in Afghanistan" verhängt hat, wird von der Regierung hingegen bagatellisiert.

In Tschechien, das am Hindukusch militärisch präsent ist, am Irak-Krieg aber nur mit Spezialisten für chemische Waffen beteiligt war, ist das Verhältnis zu den USA seit längerem umstritten. Während Außenminister Cyril Swoboda für George Bush Partei ergreift und Premier Vladimir Spidlá versucht, durch Lavieren Kriegsgegner gleichermaßen zu besänftigen wie Kriegsbefürworter, spricht sich Präsident Václav Klaus klar gegen militärische Interventionen aus. Nach den Anschlägen von Madrid grassiert zudem die Befürchtung, die Terrorangst könnte ein Vorwand sein, um die bürgerlichen Rechte einzuschränken. Immerhin haben Tschechiens Bürger laut Umfrage der Zeitung Pravo nicht wirklich etwas dagegen, ein Stück Freiheit für mehr Sicherheit einzutauschen: Fast zwei Drittel wären bereit, im Kampf gegen den Terror auf einen Teil ihrer Bürgerrechte zu verzichten. Für mehr Überwachungskameras in der Öffentlichkeit plädieren gar über 70 Prozent. Immer noch 46 Prozent würden die Polizei autorisieren, private Bankkonten auch ohne richterlichen Beschluss zu durchleuchten.


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