Als Ende November die Brüder Kaczynski das Rennen um das Bürgermeisteramt von Warschau verloren, ging ein freudvolles Raunen durch die Presse. Endlich, hieß es, endlich sind die bösen Zwillinge Lech und Jaroslaw gestoppt: Vielleicht wird ein dumpfer Nationalpopulismus, der es zu einem gewissen osteuropäischen Markenzeichen gebracht hat, bald der Vergangenheit angehören.
Auch in anderen Großstädten unterlagen bei den Kommunalwahlen Bewerber der autoritär-populistischen Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gegen neoliberale, postkommunistische oder unabhängige Kandidaten. Auf dem flachen Land konnte die PiS freilich deutlich zulegen und - was noch schwerer wiegt - Stimmen ihrer Koalitionäre Liga Polnischer Familien (LPR) von Rom
milien (LPR) von Roman Giertych und der Samoobrona von Andrzej Lepper aufsaugen. Dessen rabiater Populismus und die antisemitischen Phobien von Giertych sind damit jedoch nicht aus der Welt. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die polnische Provinz, die solchen Ideen anhängt, diese inzwischen auch von der PiS ausreichend repräsentiert findet. Der Rechtspopulismus in Polen ist somit endgültig kein Phänomen der Ränder mehr, sondern auch des augenblicklichen Zentrums der Macht.Lichtgestalten zuhaufUm keinen Deut besser erscheint das Bild, das andere Länder der Region bieten. Was nützt es, dass der sozialdemokratische Ungarn-Premier Gyurcsány trotz wochenlanger Massenproteste keine Sekunde an Rücktritt denkt? Der tiefe Graben, der sein Land spaltet, bleibt - auf der anderen Seite sitzt, gestärkt wie lange nicht mehr, mit Viktor Orbán ein Ex-Regierungschef, der vom neoliberalen Yuppie zum nationalen Populisten mutiert ist und es nun meisterhaft versteht, Allianzen mit der radikalen Rechten zu schließen.Dass bei den Massenprotesten im Herbst gewaltsüchtige Skinheads die Speerspitze der Proteste gegen Gyurcsány bildeten, war kein Zufall, sondern Produkt wohl überlegter Arbeitsteilung: Die Fidesz-Partei von Orbán rebellierte im Einklang mit dem demokratischen Reglement - die rechtsradikalen Alliierten überschritten diese Grenze und verschafften Orbán die Möglichkeit, Gyurcsány vorzuwerfen, er habe das Land an den Rand eines Bürgerkriegs regiert.Auch beim Nachbarn Slowakei musste der Populismus 2006 über Aufwind nicht klagen. Dort setzt seit drei Monaten der postkommunistisch-sozialdemokratische Kapitalismuskritiker Robert Fico in einem Regierungsboot mit Vladimír Meciar, von dem zwar nicht wirklich sicher ist, ob er nun rechts oder links steht, der aber allzeit unter dem Deckmantel einer "proslowakischen Politik" zu manch autoritärem Ausritt fähig scheint. Zudem sind mit der Slowakischen Nationalpartei (SNP) bei Fico auch noch Scharfmacher dabei, deren Chef Ján Slota slowakische Roma sterilisieren, slowakischen Familien bei der Geburt des ersten Kindes aber ein Haus auf Staatskosten geben will.Schließlich Tschechien: Dort sitzt mit Václav Klaus ein Mann an der Staatsspitze, der über den Vorwurf des Populismus alles andere als erhaben ist, doch geht die Verlotterung der politischen Sitten an der Moldau bereits soweit, dass sich kaum noch jemand darüber aufregt. Seit einem halben Jahr ist das Land ohne Regierung, wofür Klaus entscheidend verantwortlich zeichnet, in den Prager Cafés aber ereifert man sich lieber über die jüngste Folge der TV-Soap Die Klinik im Rosengarten.Eine fantastische WaffePolitikverdrossenheit und populistische Wunderheiler, das ist die Bilanz, mit der Osteuropa das Jahr 2006 beendet. Das Frappierende daran: Die augenscheinliche Armut im Osten führt kaum zu einer linken Alternative. Dabei gäbe es durchaus Bedarf. Dass in der Slowakei Robert Fico mit dem Ruf nach einer "Millionärssteuer" das Amt des Premiers erobert oder in Polen die Brüder Kaczynski nicht nur soziale Rhetorik, sondern auch eine verlangsamte Privatisierung zu ihrem Markenzeichen erkoren haben, zeigt doch: Widerstand gegen den neoliberalen Modernisierungswahn ist durchaus gefragt.Nur wagen es Osteuropas Linke nicht, an Dogma und Diktat des Marktes zu rütteln, folglich wird der Kampf auf Nebenschauplätze verlagert. Dass etwa die Brüder Kaczynski in krankhafter Weise homophob sind, wird beklagt und vergessen, dass in einer von Erwerbslosigkeit geplagten Provinz dieses Thema kaum interessiert. Und noch weniger spricht es sie an, wenn eine Allianz aus Neoliberalen und Postkommunisten den Kaczynskis vorwirft, sie würden gegen die Interessen der Wirtschaft handeln. Das ist auf dem flachen Land fast schon wie eine Wahlempfehlung für diese beiden. Wo die Armut ihre Hochburgen hat, gilt schon lange nicht mehr der (un)sinnige Spruch: Geht´s der Wirtschaft gut, geht´s uns allen gut.Vollends absurd wird es aber, wenn Kritik am rechten Populismus zur ästhetischen Kategorie mutiert und die Kaczynski-Brüder medial angepöbelt werden, weil ihre Anzüge nicht so gut sitzen wie die des neoliberalen Oppositionschefs Donald Tusk oder wenn eine Budapester Zeitung Viktor Orbán ausrichten lässt, er sei früher, als er noch trendige Yuppie-Fashion trug, viel fescher gewesen. Für diejenigen, die sich von den Rechtspopulisten wenigstens ein Minimum an Schutz gegen die Härten des freien Marktes erwarten, sind das Belanglosigkeiten. Dafür kann sich die als liberales Gewissen der Nation firmierende, wohlbestallte Großstadt-Schickeria freuen: Endlich hat es jemand den bösen Anti-Europäern so richtig schön gegeben.Dass gegen die Idee eines moralisch erneuerten, sozial imprägnierten Nationalstaats, mit dem die Ostpopulisten hausieren gehen, keine fundiertere Kritik laut wird, liegt freilich auch am Wesen der Transformation nach 1989. Als es seinerzeit nicht schnell genug gehen konnte, vom grauen Alltag des real nicht mehr existierenden Sozialismus in die weite bunte Welt der freien Marktwirtschaft zu kommen, galt die Bildung einer besitzenden Klasse als Priorität Nr. 1. Pikanterweise hatten die gerade abdankenden Staatssozialisten dabei die besten Karten. Sie kannten das System, das es zu wenden galt, am besten. Natürlich wussten sie auch viel mehr darüber, wie das feine Zusammenspiel zwischen Politik und Big Business funktioniert, und sei es nur in einer staatssozialistischen Variante. Folglich rekrutierten sich die ersten "richtigen" Kapitalisten Osteuropas überwiegend aus der ehemaligen Nomenklatura - siehe Ungarns Premier Gyurcsány. Genau dies legte den Rechtspopulisten eine fantastische Waffe in die Hand, von der sie bis heute Gebrauch machten: Was immer auch schief läuft - der Schuldige kann schnell und problemlos benannt werden, es ist immer der auf unlauteren Wegen zu Geld und Ansehen gelangte Ex- oder Post-Kommunist. Nicht zufällig protestierten im Herbst die Demonstranten in Budapest gegen "alte kommunistische Seilschaften", die angeblich Ungarns Wirtschaftssystem beherrschen und eine gerechte Verteilung des kapitalistischen Wohlstands verhindern. Auf die Idee, dass es vielleicht am System selbst liegen könnte, dass es keinen Wohlstand gerecht zu verteilen gibt, dachten die Protestierenden offenbar nicht. Und ihre populistischen Hintermänner vom Schlage eines Orbáns sagten es ihnen selbstredend auch nicht. Sie wären verrückt, das zu tun: Solange sich das soziale Elend, das sie zu bekämpfen vorgeben, stets auf die dunklen Machenschaften roter Barone zurückführen lässt, ist die propagandistische Absicherung perfekt. An der Staatsspitze angekommen, sehen sich die Populisten weiter - siehe die antikommunistische Hexenjagd der Brüder Kaczynski - als Kämpfer gegen das Böse und für ein besseres Morgen. Das leider nicht möglich werde, so lange nicht der letzte Postkommunist ausgeschaltet sei.
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