Wer erwartet, daß der Kölner Wirtschaftsgipfel in der nächsten Woche als Ereignis in die Geschichte eingehen wird, mit dem alle Welt den Durchbruch bei der Lösung der Schuldenfrage der »Dritten Welt« verbindet, hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Regierungen der sieben führenden kapitalistischen Länder haben sich in einen lähmenden Streit um die Einzelheiten verstrickt. Ursprünglich sollten die offenen Fragen schon auf dem G7-Finanzministertreffen am kommenden Wochenende in Frankfurt gelöst werden. Inzwischen sieht es jedoch so aus, als werde bis zur letzten Minute darum gerungen, wie generös die Schuldenerleichterung für die armen und hochverschuldeten Entwicklungsländer - die sogenannte HIPC-Gruppe - ausfä
28;llt und zu welchen Bedingungen sie gewährt wird.Für die von der Schuldenlast betroffenen Länder verheißt dieses Gerangel nichts Gu tes. Gefeilscht wird schon darum, was den Ländern an Belastungen aus dem Schuldendienst zugemutet werden kann. Nach dem bisherigen Ansatz fallen beispielsweise alle Länder aus der HIPC-Initiatve heraus, bei denen das Verhältnis zwischen Auslandsverschuldung und jährlichen Exporterlösen nicht mindestens 200 Prozent beträgt. Umgekehrt formuliert: Angestrebt wird die Reduzierung des Schuldenstandes auf maximal das Zweifache der Exporterlöse.Dabei ist diese Tragfähigkeitsgrenze der Verschuldung (»debt sustainability«), so argumentieren beispielsweise die Vertreter der Jubilee-2000-Kampagne, die für Köln wie letztes Jahr in Birmingham eine große Menschenkette planen, ohnehin schon untragbar hoch. Schließlich haben die Alliierten der jungen Bundesregierung beim Londoner Schuldenabkommen 1953 eine Absenkung der Schuldenlast auf nur fünf Prozent der Exporterlöse eingeräumt.Einige G7-Regierungen, vor allem Großbritannien und Kanada, wollen die Belastungsgrenze für die Schuldnerländer jetzt auf 150 Prozent absenken, was einen höheren Erlaß und wahrscheinlich auch die Einbeziehung von mehr Ländern in die Entschuldungspolitik zur Folge hätte. Anderen wie Japan ist dagegen eher daran gelegen, die Tragfähigkeitsgrenze noch zu erhöhen, um die Kosten der Initiative nach unten zu drücken. Die deutsche Bundesregierung versucht sich derweil als Vermittler zwischen den Fronten.Auch die Frage, wann ein Land in den Genuß von Schuldenerleichterungen unter HIPC kommen soll, ist alles andere als geklärt. Nach den öffentlichen Verlautbarungen der britischen und auch der deutschen Regierung sollte die Umsetzung der HIPC-Initiative »beschleunigt, vertieft und verbreitert« werden - unter anderem dadurch, daß die Anzahl der Jahre, in denen ein Schuldnerland Strukturanpassungsprogramme nach dem neoliberalen IWF-Modell durchführen muß, um für Schuldenerleichterungen in Frage zu kommen, von derzeit sechs auf drei Jahre halbiert wird. Doch hier blockieren vor allem die USA und Frankreich.Keine der G7-Regierungen denkt derzeit auch nur im entferntesten daran, die Strukturanpassungsauflagen grundlegend zu überdenken. Zwar ist in zunehmendem Maße davon die Rede, daß von den Regierungen der Schuldnerländer im Gegenzug zu Schuldenerleichterungen Beiträge zur »Armutsbekämpfung« oder auch generell eine »solide Amtsführung« (»good governance«) erwartet werden. In der Praxis läuft dies jedoch darauf hinaus, daß auf die bestehende Konditionalität der neoliberalen Strukturanpassung neue Bedingungen einfach draufgesattelt werden, ganz gleich ob sich die verschiedenen Maßnahmepakete widersprechen oder nicht. Einige würden sich sogar am liebsten mit der bloßen Umbenennung der bisherigen Strukturanpassungspolitik in »Strategie zur Armutsbekämpfung« zufrieden geben. Für die Vertreter des deutschen Finanzministeriums ist jedenfalls ausgemacht, daß an der Koppelung von Schuldenerleichterungen an die makroökonomische Einheitsmedizin von IWF und Weltbank festgehalten wird. Noch nie war der neokoloniale Paternalismus so groß wie heute.In diese Atmosphäre paßt auch ein Vorschlag, von dem man hofft, daß er zur schnelleren Umsetzung der HIPC-Initiative führt, ohne die Implementierungsfristen offiziell zu verkürzen. Im Kommuniqué wird jetzt voraussichtlich von einer Art »floatender« Schuldenerleichterung die Rede sein. Wenn ein Schuldnerland die Vorgaben von IWF und Weltbank schneller erfüllt als vorgesehen, dann könnten die Entschuldungsmaßnahmen früher einsetzen, heißt es aus dem Kreis der deutschen Verhandlungsdelegation für Köln.Die USA bevorzugen freilich eher noch eine Verlängerung der offiziellen Fristen und wollen die Zwischenzeit mit sogenannten Interimshilfen durch die Internationalen Finanzinstitutionen überbrücken lassen. Dies, so ihr Kalkül, könnte die Kosten der Initiative insgesamt verbilligen, und bedeutet im End effekt, da ja die Mittel von IWF und Weltbank nicht konditionsfrei gewährt werden, noch mehr und noch schmerzhaftere Roßkuren für die betroffenen Länder.Wieder einmal entpuppt sich die Finanzierung als die entscheidende Frage, an der die Interessen der Beteiligten aufeinanderstoßen. Relativ einfach war noch die Einigung über den Erlaß der Schulden aus der bilateralen Entwicklungshilfe. Dieser soll jetzt auch aus neuen Entwicklungshilfe-Mitteln bezahlt werden können, was vor allem Frankreich, das über hohe Außenstände aus Entwicklungshilfe-Krediten verfügt, die Zustimmung erleichtert hat. Keine Akzeptanz fand bei den G7-Partnern hingegen das von der Bundesregierung vorgeschlagene Ziel, notfalls auch Schulden aus Handelskrediten zu 100 Prozent zu erlassen. Das Thema wird jetzt zwar erwähnt; doch jedes Land kann zukünftig so verfahren, wie es will.Über die Gesamtkosten der (modifizierten) HIPC-Initiative gibt es derzeit keine konkreten Aussagen. Aus nachvollziehbaren Gründen: Denn jede Veränderung der Obergrenzen und der Umsetzungsfristen birgt die »Gefahr« von zusätzlichen Kosten. Seit Weltbank-Präsident Wolffensohn im letzten Frühjahr darauf hingewiesen hat, daß die G7-Staaten kräftig zusätzliche Mittel zuschießen müßten, wenn die Weltbank ihren Finanzierungsaufgaben im Rahmen der Initiative nachkommen solle, hat die HIPC-Euphorie der G7 spürbare Dämpfer bekommen. Ann Pettifor vom britischen Zweig der Jubilee-Kampagne befürchtet sogar: »Trotz blumiger Reden und großer Gesten bieten die G7-Führer den am stärksten verschuldeten Ländern der Welt nur Brotkrumen von Tisch der Reichen an.«Und selbst diese Krumen könnten sich als Fata Morgana erweisen. Vieles spricht dafür, daß die ursprünglichen zentralen Gipfelthemen dadurch in den Hintergrund gedrängt werden, daß die Kölner Veranstaltung zu einer Art Siegesfeier der NATO mutiert, der Wiederaufbaupläne für das Kosovo besser zu Gesicht stehen als ein Schuldenerlaß für die Ärmsten. Es wäre nicht das erste Mal, daß die Aufmerksamkeit und die Finanzen für den Süden des Globus zugunsten eines europäischen Problems geopfert werden.