Programmierer müssen sich mit einer merkwürdigen Inkongruenz ihres Selbstverständnisses und der rechtlichen Bewertung ihrer Tätigkeit abfinden: Sie selbst halten sich meist für Techniker, während das Gesetz ihre Produkte nicht als Technik, sondern als Literatur anerkennt. Das deutsche und das europäische Patentrecht schließen Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche aus dem Bereich des Technischen und damit des Patentierbaren aus. Stattdessen fallen sie unter das eigens dafür erweiterte Urheberrecht. Dies verlangen sowohl eine Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft als auch das Abkommen der Welthandelsorganisation über geistiges Eigentum.
Allerdings gehen diese Bestimmungen nicht so weit, daß sie, wie bei Literatur üblich, gegen eine bescheidene, pauschale Kompensation den Bibliotheken erlauben würden, sie auszuleihen, und den Schulen, sie im Unterricht zu benutzen. Das Urheberrecht bezieht sich nicht auf den Inhalt von Werken. Es erstreckt sich nur auf ihre konkrete Gestalt. Der Gegenstand eines Bildes, das Argument eines Essays oder die Geschichte eines Romans bleiben ebenso frei wie wissenschaftliche Erkenntnisse, Verfahren der geistigen Arbeit sowie die Prinzipien und Lösungsmethoden von Programmen. Ein Patent gewährt dagegen ein Privileg auf die Anwendung der in einer technischen Lehre niederzulegenden Prinzipien einer Erfindung. Davor steht jedoch die Prüfung und Anerkennung durch eine Behörde, während das Urheberrecht mit dem Werk entsteht.
Eine Erfindung muß innovativ und vor allem technisch sein: Allgemeine Ideen, wissenschaftliche Erkenntnisse, Programme für Datenverarbeitungsanlagen, Methoden der intellektuellen Arbeit und Verfahrensweisen für Geschäftstätigkeiten sind deshalb nicht patentierbar. Viele sehen hier eine »Schutzlücke«, wo der Gesetzgeber ganz bewußt den Bereich der intellektuellen Gemeingüter von exklusiven Ansprüchen ausgenommen hat. Sinn der mit dem Patent verliehenen Privilegien ist es schließlich, technische Innovationen zu verbreiten. Sie belohnen Verfahren und Gestaltungsprinzipien, die industriellen Tätigkeiten dienen und geeignet sind, diese zu verbessern durch ein zeitlich befristetes Monopol auf ihre Nutzung. Das intellektuelle Gemeingut braucht solche Vorkehrungen nicht und ist durch sie auch nicht zu fördern. Im Gegenteil: Ein Privileg auf wissenschaftliche Erkenntnisse und intellektuelle Methoden beraubt die Allgemeinheit.
Seit die Automatisierung intellektueller Verfahren zu einem Wirtschaftszweig von wachsendem Gewicht geworden ist, nimmt der Druck zu, dafür patentrechtliche Bestimmungen zu schaffen. In den USA setzte sich schon in den achtziger Jahren die Praxis durch, Grundsätze und Verfahren von Programmen zu patentieren. Japan folgte diesem Vorbild vor zwei Jahren mit einem revidierten Patentrecht. Unter dem Titel »Harmonisierung des europäischen Rechts« betreibt die Generaldirektion XV der Europäischen Kommission ein Vorhaben, das auch Europa auf diese Linie bringen soll. Dabei beruft sie sich in irreführender Weise auf Artikel 100 des EG-Vertrags. Denn das europäische Recht harmoniert bereits in dieser Sache. Der in der Praxis aufgeweichte Artikel 52(2) der Münchner Patentübereinkunft, den die Kommission gerne streichen möchte, verbietet ebenso wie die nationalen Gesetze Patente auf Softwareprinzipien und -verfahren. Dem Begehren der Kommission mit gewissen Vorbehalten folgend, einigten sich die Signaturstaaten der Übereinkunft bei ihrem Treffen am 24./25. Juni in Paris auf eine Agenda, die dieses Vorhaben noch vor 2001 vollenden könnte: ein Richtlinienentwurf, den die Kommission noch in diesem Jahr veröffentlichen möchte. Für nächstes Jahr ist eine große Patentrechtskonferenz geplant.
Freiheit statt Raub
Widerstand gegen diese Pläne kommt bisher nicht aus dem Europäischen Parlament, das sich für die Patentierbarkeit von Software ausgesprochen hat, sondern eher verhalten von der französischen Regierung, die das bisher unterlassene Studium der wirtschaftlichen Konsequenzen eines solchen Schrittes anmahnt. Nachdrücklich protestieren Informatiker: Im Internet liegt unter
ein offener Brief an Wettbewerbskommissar van Miert aus, den europaweit bereits Tausende unterzeichnet haben.
In Deutschland koordiniert der Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur die Kampagne gegen Softwarepatente. Wie aus der Haltung der französischen Regierung ersichtlich, ist die Opposition gegen die Kommissionspläne in Frankreich vor allem dank der Aufklärungsarbeit von Jan-Paul Smets, dessen Initiative unter
auch im Internet präsent ist, schon wesentlich weiter gediehen. Und aus den USA ruft der Pionier der freien Software, Richard Stallman, die Europäer dazu auf, Softwarepatente zu verhindern. Viele der kleineren Softwarehersteller erkennen in einem Patentschutz für Programmideen keinen Vorteil. Patente würden, so ihre auch von den Kritikern aufgenommene Befürchtung, den Wettbewerb noch weiter zugunsten der marktbeherrschenden nordamerikanischen Anbieter verzerren. Die Entwickler von freier Software wie GNU/Linux sehen darin eine Bedrohung ihrer Projekte. Allein IBM und Microsoft haben im letzten Jahr in den USA zusammen über tausend Softwarepatente beantragt. Und die Expertise, auf die sich die Autoren entsprechender Kommissionspapiere stützen, kommt nicht zufälligerweise aus dem Hause IBM.
Die Patentierbarkeit von Softwareverfahren und -prinzipien hätte vor allem das Gegenteil dessen zur Folge, was als übergeordnetes Ziel jeder Gesetzgebung gilt: Sie würde nicht Sicherheit, sondern Unsicherheit schaffen und deshalb vor allem diejenigen bedrohen, die weder über eine große Patent abteilung verfügen noch über ausreichend liquide Mittel, um jahrelange Prozesse durchzustehen. Anders als in seinen herkömmlichen Anwendungsbereichen würde das Patentwesen im Felde der Software keineswegs das Problem lösen, nicht naheliegende Innovationen zu verbreiten, sondern das permanente Problem schaffen, daß naheliegende Lösungen dauernd daraufhin zu überprüfen wären, ob sie bestehende Patente verletzten. Schließlich besteht Softwareentwicklung immer darin, Strukturen und Prozesse in eine Welt von Zeichen zu übersetzen, in der die Abbilder der realen Probleme durch formale, intellektuelle Verfahren lösbar sind. Womit man immer in der Welt des intellektuellen Gemeinguts verbleibt. Doch um die ursprünglichen Probleme zu bewältigen, muß man die symbolische Lösung in die reale Welt zurückübersetzen; und das hat mit den Computerprogrammen und ihren Prinzipien beziehungsweise Verfahren nichts zu tun.
Kunst und Folklore
Die Kunst der Programmierung hat sich in ganz anderer Form entwickelt als die industrielle Technik - und vor allem ohne Institutionen zu ihrem rechtlichen Schutz. Manche sagen, genau deshalb habe sie ein hohes Niveau erreicht. Eine Folge dieser Entstehungsgeschichte ist, daß tatsächlich keine auch nur annähernd vollständige, zusammenfassende Sammlung von Unterlagen den Stand der Kunst dokumentiert. Schlimmer noch: Man kann nicht einmal auf eine einheitliche, hinreichend präzise und allseits akzeptierte Terminologie zurückgreifen. Darüber hinaus gibt es in der Informatik sehr viel Folklore: Anwendungswissen, das nirgendwo formal dokumentiert ist, doch zum selbstverständlichen Bestand der Disziplin gehört. Für ein verläßliches Patentprüfungsverfahren fehlen also schon die informationellen und methodischen Grundlagen, und da von dem Mangel einer verbindlichen Sprache auch die Formulierung der Patentansprüche betroffen ist, gibt es auch keine vertrauenswürdige Antwort auf die Frage, ob ein bestimmtes Programm irgendwelche bereits bestehenden Ansprüche berührt.
Die Erfahrungen aus den USA lassen jedenfalls Schlimmes befürchten: Eines der ersten Softwarepatente, das nächstes Jahr ausläuft, erhielten dort die Wissenschaftler Rivest, Shamir und Adleman für ein kryptographisches Verfahren mit öffentlichen Schlüsseln. Dabei hatten bereits Jahre zuvor andere Experten das Grundprinzip dieser Form der Verschlüsselung beschrieben und der britische Wissenschaftler Cocks ein praktisch identisches Verfahren veröffentlicht. Es basiert auf seit Jahrhunderten wohlbekannten zahlentheoretischen Resultaten von Fermat und Euler. Bei einer bestimmten Konstellation des Problembewußtseins und der technischen Möglichkeiten lag die Lösung für die Fachleute einfach nahe. Das Patent darauf enteignet praktisch die Allgemeinheit und verhindert (neben der obstruktiven Politik der meisten Regierungen) die Verbreitung effektiver Kryptographie, zum Beispiel durch freie Software.
Corel und XML
Der kanadische Softwarehersteller Corel sieht sich seit Mitte Juni mit einer Klage konfrontiert, die ihm vorwirft, ein US-Patent aus dem Jahr 1989 zu verletzen. Es geht darin um die vergleichende Gegenüberstellung zweier Varianten eins Textes in unterschiedlichen Bildschirmbereichen, von der auch ein Corel-Produkt Gebrauch macht. Nun ist die Synopse nicht nur ein uraltes intellektuelles Gemeingut, sondern das Verfahren findet sich auch in älteren Programmen, etwa in Stallmans Emacs-Editor. Solche fälschlich erteilten und nicht selten lächerlichen Patente haben in den USA schon Firmen ruiniert.
Doch schlimmer noch sind Patente auf Standards, die zur Infrastruktur der elektronischen Kommunikation gehören. Sie verhindern freie Software, mit der Graphiken in dem im WWW gebräuchlichen GIF-Format und Tondokumente im MP3-Format erstellt und gelesen werden können. Im letzten Jahr erhielt Microsoft ein Patent auf die Cascading Style Sheets, ein standardisiertes Verfahren, um das Layout von Dokumenten im sogenannten XML-Format zu beschreiben. Eben dieses Format soll die Nachfolge des heute im WWW angewandten HTML antreten. Auch hier handelt es sich um einen Bestandteil der Informatikfolklore und nicht um eine »Erfindung« des Gates-Konzerns. Nach dem weltweiten Protest gegen diese Patententscheidung versprach Microsoft zwar, von seinen Rechten keinen Gebrauch zu machen, doch letzten Endes sollte es um Rechtssicherheit und nicht um Gnade gehen.
Softwarepatente verunsichern die kleinen Hersteller und behindern den technischen Fortschritt. Mit ihrer Patentpolitik wollen die Softwarekonzerne strategische Punkte der informationellen Infrastruktur besetzen, um zunächst unliebsame Konkurrenz vor allem von freien Softwareprojekten zu blockieren, offene Standards in propietäre zu verwandeln und dann die unwiderruflich von ihren Produkten abhängigen Nutzer zur Kasse zu bitten. Durch Indiskretion bekanntgewordene Microsoft-Dokumente bestätigen diese Vermutung in deutlichen Worten.
Der Versuch, intellektuelles Gemeingut in Privateigentum zu verwandeln, ist jedoch mehr als nur Instrument einer Konzernpolitik. Er ist auch ideologischer Ausdruck einer neuen Hemmungslosigkeit: Es soll keine Region mehr geben, wo man nicht seine Claims abstecken könnte. Das Menschheitserbe habe sich der Privatisierung zu öffnen - ganz gleich, ob es sich um Organismen, Gene oder Ideen handelt.
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