In den Fängen einer vernetzten Zukunft

Abpfiff für den verordneten Wettbewerb Die deutsche Regulierungsbehörde hilft den großen Telekom-Anbietern aus einer Liberalisierungsfalle, die sie selbst gestellt hat

Grenzen- und nahezu kostenlose Telekommunikation für alle. Telekommunikation zu jeder Zeit, an jedem Ort, basierend auf einer dichten, hochmodernen Infrastruktur. Alles bei steigenden Kursen für die Aktionäre. Das waren die Versprechen einer Liberalisierungswelle, die - von Nordamerika und den britischen Inseln kommend - Mitte der neunziger Jahre auch die bis dahin weitgehend von staatlichen Monopolen beherrschte Telekommunikationswirtschaft der europäischen Kontinentalstaaten erreichte.

Eigentlich hätte man eine gewisse Nachdenklichkeit erwarten dürfen, als sich in den meisten EU-Staaten die Telekommunikation einer flächendeckenden Liberalisierung zu unterwerfen begann. Nachdenklichkeit, hervorgerufen allein durch die Frage nach der Verträglichkeit zwischen den auf Kunden- und Aktionärsseite geweckten Erwartungen einerseits und den horrenden Investitionen andererseits, die der Marsch in eine totalvernetzte Zukunft erfordern würde. Doch sie unterblieb. Entschloss sich dennoch jemand, ihr Ausdruck zu geben, war schnell der Hinweis auf die Werbung zur Hand - so, als würde die werbende Wirtschaft Hunderte Milliarden spendieren, nur um uns auf neuen, bezüglich ihres Effekts noch ungetesteten Kanälen, ihr altes Lied von Freiheit und Abenteuer, Schönheit und Verführung, noch einmal vorzuspielen.

Wer sich vernetzen wolle, der würde überall zwischen einer Vielzahl hochwertiger Alternativen wählen können, hieß es weiter: Außer dem Festnetzanschluss von der Hand konkurrierender Telekom-Gesellschaften würden auch das ursprünglich fürs kommerzielle Fernsehen verlegte Koaxialkabel sowie boden- und satellitengestützte Funknetze verfügbar sein. Wer sich über die alten Telekom-Anbieter ärgere, dem würden die Betreiber von Richtfunknetzen und Koaxialkabeln hilfreich zur Seite stehen. Systeme mit Dutzenden oder gar Hunderten von Satelliten würden den Zugang zum Netz selbst im hintersten Winkel der Erde garantieren.

Doch um die großen Weltraumpläne ist es nach dem Fiasko, das den Vorreiter Motorola mit seinem Iridium-System heimsuchte, merkwürdig still geworden. Auch auf dem Feld des Netzzugangs per bodengestütztem Richtfunk zieht sich gegenwärtig ein Investor nach dem anderen zurück oder schränkt sein Engagement auf einen Bruchteil ursprünglicher Planungen ein. Und im Kabelgeschäft vollzieht sich in Europa derzeit eine gewaltige Konzentration, an deren Ende wahrscheinlich zwei oder drei Unternehmen übrig bleiben.

Die Deutsche Bank wollte eine besonders schnelle Mark machen und hatte sich auf das Rezept versteift: Einige Regionalanbieter, dazu ein paar Stücke aus dem Telekom-Fundus billig aufkaufen, die Netze aufrüsten und dann mit Profit verscherbeln. Heute muss sie das Scheitern dieses Modells eingestehen.

Eine durchgreifende Modernisierung werden die Kabel, wenn überhaupt, erst nach Konsolidierung der Eigentumsverhältnisse erfahren. Bis dahin wollen die neuen Monopolherren Liberty, Callahan und Co. vor allem mehr Kommerz- und Bezahlfernsehen über ihre Netze schicken und dazu noch die Freiheit gewährt bekommen, auch das eine oder andere öffentlich-rechtliche Programm abknipsen zu dürfen, sofern sich profitablere Alternativen bieten. Alles nach der Devise: Zuerst garantierte Profite, dann vielleicht mehr Leistung.

British Telecom, Deutsche Telekom, France Telecom - jeweils mit 50 bis 60 Milliarden Euro verschuldet

In keiner anderen Branche gibt es zur Zeit so viel buchstäblich »beerdigtes« Kapital, das auf absehbare Zeit keinen Profit produzieren wird. Nirgendwo türmen sich die Schulden so hoch und sind so viele einst hochfliegende Pläne so festgefahren wie in der Telekommunikation. Die Betreiber von Weitverkehrsnetzen bleiben auf Überkapazitäten sitzen, die sie erst kürzlich geschaffen haben. Das trifft besonders für den US-Markt zu, auf dem einstigen Monopolisten wie AT schon lange die Konkurrenten MCI WorldCom und Sprint gegenüber stehen. Dort liegen momentan 95 Prozent der Kapazität brach!

In Europa stellt sich die Lage keineswegs lukrativer dar. Hier sehen sich die Betreiber zu Investitionen von etwa 150 Milliarden Euro für die UMTS-Infrastruktur gezwungen. Dazu kommen die Raten für die Lizenzgebühren, die sich auf einen ähnlichen Betrag summieren. Ob das Ganze ein Erfolg wird, erscheint immer fraglicher. Denn telefonieren - ein Geschäft zumal, das kaum noch Wachstum verspricht (s. Übersicht) - kann man mit UMTS auch nicht besser als mit dem heutigen GSM-Standard. Für die darüber hinaus weisenden technischen Möglichkeiten des neuen Standards (s. neben stehende Information) stehen attraktive Anwendungskonzepte noch aus. Es ist einfach kein Markt in Sicht, auf dem die jetzt fälligen Investitionen in angemessener Frist mit der von den Kapitalgebern erwarteten Rendite wieder herein zu bringen wären (s. Freitag 21/2000).

Dazu kommt, dass sich die UMTS-Erwerber in den Übernahmeschlachten der vergangenen Jahre hoch verschuldeten; wobei der Wert der Akquisitionen oft krass unter den gezahlten Preisen liegt. Die hier fällig werdenden »Goodwill«-Abschreibungen belasten die Bilanzen zusätzlich. Wer sich heute unter Druck von einstigen Erwerbungen trennt, bekommt nur noch einen Bruchteil des ursprünglichen Aufwands zurück.

Seit der Strom billigen Kapitals aus den Aktienmärkten in den High-Tech-Sektor ausgetrocknet ist, sind die dortigen Unternehmen meist auf Fremdfinanzierung über Schuldenpapiere oder Bankkredite angewiesen - eine Möglichkeit, von der die Unternehmen heftigen Gebrauch machen. Die drei Großen in Europa (British Telecom, Deutsche Telekom, France Telecom) sind jeweils (!) mit 50 bis 60 Milliarden Euro verschuldet. Krisenverschärfend wirkt der Teufelskreis: Je höher sich der Schuldenberg türmt, je tiefer der Aktienkurs sinkt und je schlechter die Renditeaussichten sind, desto ungünstiger für die Kreditwürdigkeit, desto höher die Zinsen. Die Finanzwelt geht daher inzwischen davon aus, dass nur wenige gut positionierte Netzbetreiber überleben. Alle anderen werden als Opfer grassierender Schulden und fehlender Kredite untergehen. Offenkundig sind die Finanzmärkte nicht bereit, illustre Phantasien von einer »vernetzten Zukunft« oder auch nur den flächendeckenden Aufbau einer modernen Infrastruktur zu honorieren. Sie nehmen jetzt erst recht übel, dass die Bewerber um die UMTS-Lizenzen zu finanzieller Vernunft mahnende Signale, die es im Vorfeld der Versteigerung gab (Freitag 32/2000), schlicht ignorierten.

Wirtschaftlichen Logik zwingt zur Regulierung der Deregulierung

Unter den geschilderten Bedingungen sehen sich die Netzbetreiber zu einschneidenden Sparmaßnahmen gezwungen: Verkauf von Beteiligungen, Outsourcing von Aktivitäten, Entlassungen, Kürzung bei Forschung und Entwicklung, Verlangsamung des Netzausbaus in der Fläche, vor allem aber - und das scheint ein Sakrileg für die beschworene Liberalisierung - Kooperation mit den Konkurrenten beim Aufbau der UMTS-Infrastruktur.

Wenn die deutsche Regulierungsbehörde solche Kooperationen jetzt nach langem Zaudern genehmigt, gesteht sie dadurch ein, wie wirklichkeitsfremd ihr ursprünglicher Regulierungsansatz war. Wenn Konkurrenten sich die Infrastruktur teilen, fällt der Wettbewerb in den Diensten, der Qualität und den Kosten zwischen ihnen flach und zieht sich auf das Feld des Marketing zurück. Technisch und wirtschaftlich ist die sich jetzt anbahnende Kooperation ausgesprochen sinnvoll. Die ursprüngliche Idee der Regulierungsbehörde, eine neue Technik mit sechs konkurrierenden Netzen einzuführen, wenn doch im ländlichen Raum eines reicht und auch sonst nur ineffiziente Redundanzen entstehen, zeugte von ideologischer Verblendung. Ein krasses Beispiel dafür, wie weit der hinter der Liberalisierung stehende Politikansatz von der technischen und wirtschaftlichen Realität entfernt liegt.

Der Glaube, dass der Markt schon alles richten werde, ist nirgendwo so deplaciert wie hier. Der technische Fortschritt, der die Kapazitäten der Übertragungs- und Vermittlungstechnik um Größenordnungen steigerte, macht die Telekommunikation mehr denn je zu einem natürlichen Monopol, das heißt zu einem Markt, auf dem ein einziger Anbieter Leistungen immer kostengünstiger anbieten kann als mehrere. Ein Regulationsansatz, der diesen Umstand durch verordneten Wettbewerb bereinigen möchte, der am Ende nur noch zum Schein stattfindet zwischen Teilnehmern, die sich hauptsächlich durch ihren Marketingauftritt unterscheiden, ist ökonomisch indiskutabel und behindert den technischen Fortschritt.

Dass privatwirtschaftliche Logik langfristige Investitionen in riskante Technologien und flächendeckende Infrastruktur eher scheut und stattdessen zu Überinvestitionen in das oft nur scheinbar Profitable neigt, ist inzwischen mehr als deutlich geworden. Die elektronische Geschäftsabwicklung übers Internet dümpelt unter anderem deshalb vor sich hin, weil die rivalisierenden Akteure keine Einigung über einheitliche Normen zustande bringen. Die großen funktionierenden Standards (auch des Internet und der Mobiltelefonie) entstammen noch der Ära vor der Liberalisierung. Eine neue Welle positiver Netzökonomie wird wohl erst von der Ära danach zu erwarten sein.

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