Tausend Splitter tief

Deleuziös und guattaresk In ihrem Manifest eines globalisierungsfreundlichen Kommunismus "Empire" mixen Michael Hardt und Antonio Negri einen Theorie-Cocktail, der bestenfalls als Appetizer zu genießen ist

Dass ein Buch, das beansprucht, eine kommunistische Perspektive zu entwerfen, also eine Sicht, die das Ende des Kapitalismus zu implizieren wagt, eine fünfstellige Auflage erreicht, darf angesichts der herrschenden Ansicht, dass der Kommunismus mausetot und der Triumph des Kapitalismus unausweichlich sei, als kleine Sensation gelten. Schon jetzt ist der Text, den Michael Hardt, Literaturwissenschaftler an der Duke University (USA) und der ehemals linksradikal aktive und aktuell (noch) in Italien unter Arrest stehende Antonio Negri vor zwei Jahren auf Englisch und nun auf Deutsch herausgebracht haben, von der Aura des linken Kultbuches umgeben; ein Status, den hier zuletzt Geschichte und Eigensinn von Negt und Kluge inne hatte - womit ein Maßstab zitiert ist, vor dem Empire leider nicht besteht: Vom Materialreichtum und der Detailverliebtheit jenes Werkes ist es weit entfernt.
Empire hebt sich hervor durch den Anspruch, das Ganze nicht nur zu denken, sondern auch zu überschreiten; es setzt Eckpunkte, die es erlauben, einen aus der Mode gekommenen Diskurs wieder aufzunehmen: den über Herrschaft und Befreiung. Dagegen leistet es nichts von dem, was ihm die vielen hymnischen Besprechungen nachsagen: Es ist kein neues Kommunistisches Manifest und noch weniger ein neues Kapital; auch keine originelle, neue Einsichten erschließende Analyse der gegenwärtigen Weltgesellschaft.
Originell dagegen ist die poppige Konstruktionsweise des Textes: Lasst tausend Theoriesplitter sprechen. Dazu eine schillernde, aber auch oft wirre Sprache, die an Gilles Deleuze und Felix Guattari erinnert, jene beiden französischen Philosophen, die im Text immer wieder zitiert werden. Dieser Jargon mag den Erfolg des Textes in den "Cultural Studies" nordamerikanischer Universitäten befördert haben, Klarheit erzeugt er nicht. Rauschende Begriffsétuden, die um die imaginären Aktivitäten dämonisierter Abstrakta wie "Kommunikation", um Phrasen fragwürdiger Bedeutung wie "informationelle Akkumulation" kreisen, lassen den Leser eher ratlos zurück.
Dabei brechen Hardt und Negri mit einem zentralen Anathema der Postmoderne: Was sie bieten, ist eine neue "große Erzählung", die von der Struktur und vom Sinn der Geschichte handelt. Allerdings ist hier weder der Ertrag empirischer Knochenarbeit zu besichtigen noch stringenter Deduktion zu folgen, sondern ein Redefluss zu vernehmen, der um zwei spiegelbildliche, terminologische Platzhalter kreist: "Empire" und "Multitude", letzterer in der deutschen Ausgabe einige Bedeutungsfacetten abschneidend als "Menge" wiedergegeben, ersterer einfach unübersetzt stehen gelassen: "Reich" hätte dann doch zu viele peinliche Konnotationen.
"Empire" steht für die kapitalistische Weltordnung, die sich den Autoren zufolge seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts herausbilde: Empire sei etwas anderes als der Imperialismus der Nationalstaaten und auch mehr als nur das spontane Wechselspiel von Staaten, interstaatlichen Organisationen, Unternehmen und Märkten. Im Empire sehen Hardt und Negri ein neues welthistorisches Subjekt, das mit Legitimität, Souveränität und Durchsetzungsmacht ausgestattet beziehungsweise dabei sei, sich damit zu versorgen. Ein Indiz für die Ankunft des Empire nehmen sie in dem aufkommenden Diskurs über den gerechten Krieg wahr: ein Diskurs, der das Empire präsentiere als die dominierende Macht, die polizeilich interveniere, um die Ordnung und die universellen Werte wieder herzustellen.
Bei der Begriffsentfaltung, die nicht nur zahlreiche Themen aus der Staatstheorie seit Platon zitiert, sondern auch die Konstitution des Empire dartun soll, beschleicht den Leser das Gefühl, dass durch das Rauschen der Begriffe ein Positivismus durchscheint, der letztlich nur die nackte Gewalt anbetet. Genau hier trifft Empire auf entschiedene Kritik: Dass seine Autoren damit lediglich ein modisches Kostüm strickten für die Dekadenzphase des US-Imperialismus. Während für Hardt und Negri Lenins Imperialismustheorie auf die Alternative "kommunistische Weltrevolution oder Empire" hinausläuft, verweist John Bellamy Foster in der US-Zeitschrift Monthly Review auf die andere Alternative, die sie damit verdrängen: "Sozialismus oder Barbarei". Anstatt der Ankunft des Empire als des einen neuen Universalen ereignet sich womöglich nur die Agonie der vielen Partikularen. Die Hegemonie der USA als "Staat des Kapitals" ist jedenfalls mit dem Fortbestehen, wenn nicht der Vertiefung globaler Gegensätze und der Aushöhlung universalistischer Prinzipien gut vereinbar.
Hardt und Negri sehen kein Zurück hinter das erreichte Maß der Globalisierung. Der souveräne Nationalstaat hätte ausgedient. Eine Globalisierungskritik, die auf die räumliche Begrenzung wirtschaftlicher Aktivitäten und die Stärkung nationaler Souveränität zielt, sei reaktionär. Sicher ist eine solche Kritik, die mehr als die Ausbeutungsverhältnisse deren schwindende Borniertheit beklagt, selbst kritikwürdig, doch wirkt vor allem das lineare Fortschrittsmodell von Empire gespenstisch. Für ein Werk, das sich selbst in eine materialistische Tradition stellt, überrascht die Souveränität, mit der es sämtliche, die Selbstbegrenzung menschlichen Handelns nahe legenden Aspekte, die sich aus der Naturabhängigkeit der Gattung ergeben, ebenso ausblendet wie demokratie- und organisationstheoretische Überlegungen, die hochintegrierten, unbegrenzten Gebilden keine großen Chancen zu sprechen.
Die andere Seite des Empire, gewissermaßen das "Empire von unten", wird uns als "Multitude" (Menge) vorgestellt. Dieser postmoderne Nachfolger des Proletariats wachse mit der Bedeutung "immaterieller Arbeit" sowohl für die Produktion als auch für die an Gewicht gewinnende Reproduktion. Im Empire verschwinde die Trennung zwischen den beiden Bereichen, es schreite von der Disziplinierung der Arbeit fort zur Kontrolle des Lebens und nehme die Subjektivität in Dienst; womit es zugleich die Macht entfalte, die es schließlich überwinden werde. In diesem Zusammenhang formulieren Hardt und Negri Forderungen von politischem Gewicht, wie etwa das Weltbürgerrecht ohne Ansehen der Herkunft, durch das die Menschen erst mit dem Kapital gleichzögen; die Existenzsicherung als Lohn für Reproduktionsarbeit; der Schutz der in der Reproduktionssphäre verwurzelten Subjektivität der Arbeit gegenüber fortschreitender Absorption durch das Kapital.
Dennoch fällt das Transformationsmodell, dem Hardt und Negri anzuhängen scheinen, zu schlicht aus: Dass die "postmodernisierte" Produktion durch immaterielle Arbeit quasi zwangsläufig den revolutionären Inhalt artikuliere, der die imperiale Form schließlich nur noch abzustreifen brauche. In dieser voluntaristischen Konstruktion des revolutionären Subjekts äußert sich wie in ihrem schematischen Verständnis der Produktivkräfte ein heimlicher Idealismus. Imaginäre Technik gebiert eine imaginäre Revolutionstheorie.
Hardt und Negri erliegen einem ontologische Missverständnis der Systemwissenschaften: "Netz", "System" und ähnliche Begriffe verweisen nicht auf eine neue Seinsweise, die mit der Postmoderne über uns gekommen wäre, sondern sind, wo sie mehr als Metaphern sein sollen, in ihrer Modellfunktion zu konkretisieren. Alles ist als "System", als "Netz" modellierbar. Anders als die kritiklos dem Netzwerktheoretiker Manuel Castells folgende Argumentation annimmt, sagt die technische Form wenig über den sozialen Inhalt. Ein engmaschiges Netz verhindert keinesfalls eine zentrale Kontrolle, sondern ermöglicht im Gegenteil deren fortgesetzte Funktion. So unhierarchisch, wie die Folklore es will, ist jedoch auch das Internet nicht. Hinter der Arbeit der Symbolmanipulation, deren Umfang und Bedeutung Robert Reich, auf den Hardt und Negri hier bauen, weit überschätzt, steht kein universelles Gemeinwesen neuen Typs, das aus sich heraus über alle Prozesse zu gebieten vermöchte. Dazu kommen die Formeln von der Dezentrierung, Delokalisierung, Deterritorialisierung der Produktion und der Macht: inhaltslose Formeln, die als Reflexe entfremdeten Bewusstseins der Ideologiekritik anheim zu stellen wären.
Fragen wie etwa die ökonomisch nicht ganz unbedeutende nach räumlichen Gegensätzen sind in einem solchen Rahmen nicht einmal mehr formulierbar. Doch Produktion findet immer noch in Raum und Zeit statt, es gibt wachsende Agglomerationen von Menschen, Kapital und Macht. Die Flüsse von Waren, Geld und Information sind nach wie vor hierarchisch organisiert, wenn auch ihre Geographie heute etwas verwickelter ist. Chipfabriken demonstrieren sinnfällig, dass big immer noch beautiful ist, und Halden nicht absetzbarer PKWs in den USA mögen als Indiz dafür gelten, dass die "postmodernisierte" Produktion doch nicht ganz so flexibel ist, wie manche Formel glauben machen möchte. Um zugleich mit dem Neuen der "postmodernisierten" Produktionsweise auch das darin enthaltene, über das Empire hinaus weisende Potenzial darzulegen, verlassen sich Negri und Hardt auf eine schematische Argumentation mit brüchiger begrifflicher und nichtexistenter empirischer Grundlage. Gefordert wären hier erfahrungshaltige Analysen in verlässlichen Begriffen.

Michael Hardt / Antonio Negri. Empire: Die neue Weltordnung, Campus-Verlag, Frankfurt am Main, New York 2002, 461 S., 34,90 EUR

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