Der Osten entsorgt sich selbst

Gastkommentar Babelsberger Hochschule will ohne den Namen "Konrad Wolf" weitermachen

Sonnensucher, Sterne, Der geteilte Himmel, Ich war 19 oder Solo Sunny. Viele, die in der DDR aufwuchsen, kennen diese Filme. Und manch anderer, der kein Ignorant ist, kennt sie auch - Filme über deutsche Schuld und die Verantwortung des Einzelnen, ob sie nun in der Zeit des Faschismus oder in der DDR handeln.

Konrad Wolf, der Regisseur dieser Filme, kam mit der Roten Armee aus dem Exil nach Deutschland, jener Armee, die den größten Anteil daran hatte und die größten Opfer brachte, den deutschen Faschismus zu zerschlagen. Das machte ihn mir sympathischer als so manchen Deutschen, der den Nazis zugejubelt hatte. Als ich 16 war, fragte ich bei der Zeitung Filmspiegel an, warum Wolfs Film Sonnensucher, der im Erzgebirge bei der Wismut spielte, nicht in die Kinos kam. Ich bekam keine Antwort. Damals hatte ich gerade beschlossen, mich für ein Regiestudium an der Babelsberger Hochschule zu bewerben, sie hieß damals noch "Deutsche Hochschule für Filmkunst". Streifen wie Die Kraniche ziehen oder Lissy, auch ein Film von Konrad Wolf, waren ausschlaggebend für meinen Berufswunsch. Als ich 19 war, wurde ich zur Aufnahmeprüfung geladen und schrieb eine Analyse über den Film Sterne. Lange bevor das Wort "Holocaust" geläufig wurde, hatten sich DDR-Künstler mit der Verfolgung und Ermordung der Juden befasst. Konrad Wolf drehte außer Sterne auch Professor Mamlock nach dem Stück seines Vaters Friedrich Wolf.

Vom Studium in Babelsberg war ich anfangs enttäuscht. Wir forderten, dass Konrad Wolf und Frank Beyer als Professoren kämen. Doch die hatten Besseres zu tun: Sie drehten Filme.

Aber dann, als ich 26 war, geriet ich durch Zufall an Konrad Wolf. Er suchte für seinen Film Ich war 19 einen Regieassistenten, der die Filmhochschule absolviert hatte. Mir gefiel seine Ernsthaftigkeit, er war kein Schaumschläger. Er war ein Zweifler. Richtig aus sich heraus ging er nur, wenn er mit den sowjetischen Schauspielern zusammen war, dann wurde russisch gesprochen, Wodka getrunken, sogar gesungen. Ich verstand ihn gut, wie konnte er mit seiner Biografie in seinem tiefsten Inneren den Deutschen trauen.

Doch Wolf war auch der erste Augenzeuge, den ich fragen konnte, was zu Stalins Zeiten in der Sowjetunion geschah. Er war der erste, der mir von der Angst der deutschen Emigranten erzählte, von der absurden Situation, dass Leute, die sich als Kommunisten fühlten, von solchen, die sich Kommunisten nannten, verfolgt wurden. Und dass die Verfolgten trotzdem ihrer Idee treu blieben. Das war schwer zu verstehen.

Künstler in der DDR lebten nicht so abgehoben, dass sie die Realität ihres Landes nicht wahrnahmen. Auch die SED-Führung konnte diese Realität nicht völlig ignorieren, ließ sie von der Stasi auskundschaften oder ernsthaft erforschen, etwa vom Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung. "Ziel der Einrichtung war es, der DDR-Jugendpolitik wissenschaftliche Erkenntnisse über die verschiedenen Lebensbereiche, vorherrschende Einstellungen, Ansprüche und Probleme der DDR-Jugend zu liefern", heißt es bei Wikipedia.

Zuweilen war es der DEFA erlaubt, jene Forscher vor uns Unbefugten über ihre Erkenntnisse referieren zu lassen. Zu jenen, die uns aufklärten, gehörte damals Dieter Wiedemann - heute Präsident der Babelsberger Filmhochschule Konrad Wolf. Gerade hat er mitgeteilt, die Hochschule in "Filmuniversität" umbenennen und auf den Namen Konrad Wolf verzichten zu wollen.

Da den meisten Absolventen, ob Hochschule oder Universität, ohnehin nichts anderes übrig bleiben wird, als ihr Geld mit Fernsehschwachsinn zu verdienen, nehme ich an, Konrad Wolf wird, wie es seine Art war, ein bisschen vor sich hinschnuffeln, sich in seinem Grab auf die andere Seite legen und denken: Der Mann auf dem Sportplatz bleibt nackt, auch wenn man ihm noch so viele neue Kleider überstülpt.

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