Das Preisdiktat aushebeln

Teure Energie Die vier großen Energiekonzerne kontrollieren fast den gesamten deutschen Markt. Doch vielleicht gibt es bald mehr und mehr Eigenstromerzeuger

Bei der Energieversorgung hängt Europa am Tropf. Beim Erdöl sind die 25 EU-Mitgliedsländer heute zu 80 Prozent auf Importe angewiesen, beim Erdgas beträgt die Quote immerhin 50 Prozent. Noch krasser sehen die Zahlen für Deutschland aus: 97 Prozent des verbrauchten Erdöls stammen aus dem Ausland, beim Gas sind es etwa 80 Prozent weisen die Statistiken der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen aus.

Dabei konzentrieren sich Öl- und Gasvorkommen nur auf wenige Länder. Beim schwarzen Gold liegen die größten Reserven an heute noch billig förderbarem Erdöl in der Region am Persischen Golf. Beim Erdgas besitzt Russland allein ein Viertel aller heute bekannten Vorräte. Aus diesem Land deckt Deutschland derzeit rund ein Drittel des benötigten Erdgases. Dabei wird es nicht bleiben: "Mit der geplanten Erdgaspipeline durch die Ostsee wird diese Abhängigkeit weiter steigen", warnte Fatih Birol im vergangenen Jahr. Als der Chefökonom der Internationalen Energieagentur in Paris bei Bekanntwerden der Pläne diese Befürchtung aussprach, war noch keine Rede vom Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine. Dass der Kreml zu Beginn des Jahres dem Nachbarland für einige Tage den Gashahn zudrehte, hat hierzulande die Diskussion um die Sicherheit der Energieversorgung angeheizt.

Auch wenn die großen deutsche Erdgasimporteure Eon Ruhrgas oder das BASF-Tochterunternehmen Wintershall immer wieder betonen, wie verlässlich Russland bei Lieferungen stets war - die Energiepolitik sorgt zurzeit nicht allein über die Frage der Versorgungssicherheit für Diskussionen. Für Zündstoff sorgen steigende Energiepreise, die damit verbundenen Boykottaufrufe, das oligopolistische Gehabe der vier großen Konzerne, die den heimischen Strommarkt beherrschen, und nicht zuletzt die von Wirtschaftsminister Glos (CSU) aufgestellte Forderung von längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke. Während Bundesumweltminister Gabriel (SPD) auf das geltende Atomausstiegsgesetz pocht, toppt er beim Ökostromausbau sogar die Ziele seines Vorgängers Jürgen Trittin. Wind, Solar und Biomasse können nach einer neuen Studie im Jahr 2020 mindestens 25 Prozent des heimischen Strombedarfs decken, was Gabriel auch anstrebt. Der Grüne hatte 20 Prozent zur Zielmarke erklärt. Derweil fahren die Energiekonzerne Eon, Vattenfall, RWE und EnBW beim Betrieb der Atommeiler eine Verzögerungstaktik und hoffen auf eine CDU/FDP-Bundesregierung ab 2009.

Allerdings hat auch Gabriel einige Pfeile im Köcher, um die "großen Vier" zu ärgern. In diesem Frühjahr muss sein Ministerium festlegen, welche Unternehmen wie viele Zertifikate für die zweite Phase des Emissionshandels bekommen. Diese so genannten Verschmutzungsrechte sind ein wichtiges Instrument, mit dem die Ziele des Kyoto-Protokolls erfüllt werden sollen. Bekamen alle Emittenten und auch die großen Stromversorger die Zertifikate in der ersten Handelsphase vom Staat zum Nulltarif, könnte Gabriel die Unternehmen nun zur Kasse bitten. Dass die Energieversorger diese (möglichen) Kosten an die Verbraucher weitergeben, ist absehbar. Schon in der ersten Handelsperiode hatten Eon, RWE Co. die (kostenlosen) Zertifikate "eingepreist" und damit unter anderem ihre gestiegenen Tarife begründet.

Ob und wie schnell die Energiepreise demnächst steigen, darüber wacht teilweise die im vergangenen Sommer gegründete Bundesnetzagentur. Im Stromsektor haben die Mitarbeiter um Präsident Matthias Kurth den Zugriff auf die Netzkosten, die immerhin ein Drittel des gesamten Strompreises ausmachen. Dass bei diesem Posten durchaus Preissenkungen um 20 Prozent und mehr drin sind, darüber besteht bei Verbraucherschützern Einigkeit. Bis Ende April will die Netzagentur die eingereichten Netzkosten geprüft haben. Auf die Bescheide sind nicht nur die Vorstandsetagen der Stromversorger gespannt. Mehr Wettbewerb und damit sinkende Preise verspricht sich Kurth von einer Neuerung im Gasmarkt: Ab 1. Oktober, sofern es bei dem bisherigen Fahrplan bleibt, sollen alle Privathaushalte ihren Gasversorger frei auswählen können. Bis dahin will die Regulierungsbehörde in Bonn den Zugang zu allen Gasrohren vertraglich geregelt haben. Ob dann Stadtwerke ihre angestammten Versorgungsgebiete verlassen oder Newcomer den Wettbewerb im Gassektor eröffnen, wird sich zeigen.

Ein anderes, belebendes (Preis-)Element zeichnet sich auf dem deutschen Strommarkt ab: Vor allem kleinere und mittlere Stadtwerke, aber auch Industriebetriebe entdecken die Eigenstromerzeugung wieder. Endlich, mag so mancher Stromkunde denken. Denn die großen vier Verbundunternehmen kontrollieren rund 90 Prozent des heimischen Kraftwerkparks, wobei allein auf Eon und RWE über 60 Prozent entfallen. Damit diktieren sie automatisch die Preise. Zur Wehr setzt sich jetzt beispielsweise die Trianel-Gruppe aus Aachen, ein Verbund von mehr als zwei Dutzend Kommunalversorgern aus Deutschland, den Niederlanden und Österreich. Schon begonnen hat dieser Verbund mit dem Bau eines 800-MW-Gaskraftwerkes in Hamm, in Planung ist ein weiteres Kohlekraftwerk in ähnlicher Größenordnung. Die Vorteile eines solchen Kraftwerkes in kommunaler Hand beschreibt Bernd Wilmert, Geschäftsführer der Stadtwerke Bochum - einer der vielen Trianel-Gesellschafter: "Wir sind nicht mehr abhängig von extern induzierten Preissteigerungen an der Börse und können unsere Strompreise wieder autonom gestalten." Dabei will er einen Preisvorteil auch an die Kunden weitergeben.

Eine andere Strategie verfolgt die Europa-Abgeordnete Mechtild Rothe: "Wir brauchen eine stärkere europäische Kompetenz in Energiefragen und eine stärkere Verpflichtung zu einer energiepolitischen Zusammenarbeit der 25 Mitgliedsländer." Schwer vorstellbar, dass sie beispielsweise Großbritannien in einen solchen Kanon einreiht. Die SPD-Energieexpertin Rothe will auf Brüsseler Ebene nichts unversucht lassen: "Bei den heute schon dramatischen Abhängigkeiten von den Energieimporten müssen wir gegensteuern, bevor es zu spät ist." Nicht nur sie plädiert für eine verstärkte Nutzung heimischer Energiequellen, für Sparsamkeit und Energieeffizienz. Immerhin ein Vorsatz, der trotz der vielen, offenen energiepolitischen Baustellen im Kabinett völlig unumstritten ist.


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