Es gilt, mit einem Mythos aufzuräumen. Einer Studie in den USA zufolge sind 95 Prozent der Frauen, die eine Abtreibung gemacht haben, davon überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Dennoch gibt es immer wieder Stimmen – nicht nur bei der religiösen Rechten –, die Frauen pauschal absprechen, dass eine Schwangerschaftsunterbrechung für sie an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben die richtige Entscheidung sein kann.
Im Zusammenhang mit meiner Arbeit als Aktivistin für reproduktive Rechte bekomme ich viele Diskussionen mit, die auf Bestrafung, Scham und der Kritik an Frauen beruhen. Es existiert die weitverbreitete Vorstellung, wir Frauen könnten nicht selbst am besten über unsere reproduktive Zukunft entscheiden – angefangen bei der Frage, wo wir unsere Babys zur Welt bringen wollen, bis hin zum Schwangerschaftsabbruch. Nur allzu oft geht das einher mit paternalistischen Vorstellungen, man müsse uns vor falschen Entscheidungen bewahren, weil sie uns für den Rest unseres Lebens traumatisieren würden. Googeln Sie einfach einmal „Ich bereue, abgetrieben zu haben“ und Sie finden ellenlange, pathetische Traktate von Leuten, die versessen darauf sind, die reproduktiven Freiheiten zu kontrollieren und zu beschneiden.
Nicht überraschend
Die Ergebnisse der US-Studie überraschen mich nicht und es freut mich, damit den vielen Unwahrheiten, die verbreitet werden, etwas entgegenhalten zu können. Die Lebenswirklichkeit vieler Frauen scheint nämlich den Erfahrungen von Jennifer sehr ähnlich zu sein. Jennifer habe ich auf Twitter kennengelernt. Sie will nur mit ihrem Vornamen genannt werden. Sie ist jetzt 31. Als sie abtrieb, war sie 19 und ging noch zur Schule. Ein Jahr nach einer schweren Nervenkrise stellte sie fest, dass sie schwanger war. Sie war sich klar darüber, dass sie mit einem Baby nicht zurechtkommen würde – und dass auch eine Adoption für sie nicht in Frage kam. Sie hatte das Gefühl, nur „zwischen Abtreibung und Selbstmord“ wählen zu können.
Nach der Abtreibung sei sie traurig gewesen, dass sie diese Erfahrung machen musste, erzählt sie. „Mein Termin wäre im Dezember gewesen und in den ersten fünf Jahren dachte ich um diese Jahreszeit herum immer: ‚Was wäre, wenn ich es zur Welt gebracht hätte?‘ Dieses Gefühl war aber immer mit Erleichterung darüber verbunden, dass ich die Möglichkeit gehabt hatte, die für mich zweifellos richtige Entscheidung zu treffen. Heute denke ich kaum noch an den Eingriff zurück.“
Doch die Studie bestätigt nicht nur die Erfahrung von Frauen wie Jennifer, sie wirft auch Fragen nach den angemessenen Abtreibungsgesetzen auf. Katherine O’Brien vom British Pregnancy Advisory Service (BPAS) ist zum Beispiel der Auffassung, die Entscheidung zu einer Abtreibung werde in Großbritannien „durch die rechtlichen Rahmenbedingungen unnötig stigmatisiert“. Anders als bei jedem anderen medizinischen Eingriff benötigen Frauen vor einem Schwangerschaftsabbruch hier die Erlaubnis von zwei Ärzten – unabhängig davon, in welchem Monat sie sind.
In Großbritannien dürfen Ärzte eine Abtreibung nicht einfach aus dem Grund genehmigen, weil eine Frau nicht schwanger sein will. Sie dürfen dies nur, wenn sie zu dem Schluss kommen, die Fortsetzung der Schwangerschaft würde ihr psychischen Schaden zufügen. O’Brien macht keinen Hehl daraus, was sie über diese Bestimmungen denkt: „Es ist ziemlich unsinnig, dass wir Frauen im Jahr 2015 die Botschaft vermitteln, sie seien nicht in der Lage, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.“
Schwierig und schmerzhaft
Wenn es darum geht, wie Frauen zu Abtreibungen (wahlweise auch zu Geburt, Sex, Fehlgeburten oder Verhütung) stehen, neigt man leicht dazu, ihre Erfahrungen stark zu vereinfachen. Es geht nicht einfach nur darum, zu bereuen oder nicht zu bereuen. Es geht nicht darum, ob eine Abtreibung gut war oder schlecht. Jeder Mensch durchlebt im Laufe seines Lebens doch eine ganze Bandbreite an Gefühlen. Nur weil eine Entscheidung richtig ist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht auch schwierig oder schmerzhaft sein kann.
Doch unabhängig davon ist die Freiheit, dass Frauen selbstbestimmt entscheiden können, noch immer von größter Bedeutung. Wenig überraschend kommt die US-Studie zu dem Ergebnis, dass bei einigen Frauen auch negative Gefühle auftraten – meist dann, wenn die Abtreibung in einem späten Stadium der Schwangerschaft stattfand oder eine eigentlich geplante Schwangerschaft wegen Missbildungen des Fötus oder dem schlechten Gesundheitszustand der Mutter abgebrochen werden musste. Es ist wichtig, sich diese Gefühle einzugestehen und offen mit ihnen umzugehen. Frauen müssen nach dem Eingriff gut betreut und psychologisch unterstützt werden, wenn sie dies wünschen.
Die europäische Rechtslage
In vielen EU-Staaten kann eine Frau auf Antrag und unter Einhaltung bestimmter Fristen eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen, so etwa in Frankreich. Andere EU-Länder regeln den Schwangerschaftsabbruch über ein Indikationsmodell. Stellt ein Arzt bei einer Schwangeren bestimmte medizinische oder soziale Umstände fest, die das Leben der Frau gefährden, ist eine Abtreibung legal. In Deutschland greift die sogenannte Beratungsregelung. Laut Paragraf 218 StGB sind Schwangerschaftsabbrüche rechtswidrig und strafbar. Eine Abtreibung bleibt aber straflos, wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach Empfängnis durch einen Arzt beendet wird, die Frau den Abbruch fordert und sie im Vorfeld des Abbruchs eine Schwangerschaftskonfliktberatung gemacht hat. Der Abbruch einer Schwangerschaft infolge einer Vergewaltigung oder aus medizinischen Gründen ist nicht rechtswidrig.
Ein sehr restriktives Abtreibungsgesetz hat Irland. Bis 2013 galt ein absolutes Abtreibungsverbot. Erst der Fall einer jungen Migrantin, die infolge einer verweigerten Abtreibung starb, führte vor zwei Jahren zur Abschwächung des strikten Verbots. Heute sind Abtreibungen in dem erzkatholischen Land legal, wenn die Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben der Frau darstellt. Auch in Polen sind Abtreibungen verboten, nur aus medizinischen Gründen oder bei einer Vergewaltigung ist ein Abbruch legal. De facto ist aber auch dann eine Abtreibung fast unmöglich. Vielfach verweigern Ärzte schwangeren Frauen eine Abtreibung und können sich dabei auf eine gesetzliche Gewissensklausel berufen. Demnach können sie bestimmte Behandlungen verweigern, wenn sie ethische Bedenken haben.
Eine der Frauen, die ich als Geburtsbegleiterin betreue – sie will hier nicht mit ihrem Klarnamen genannt werden –, war ebenfalls 19, als sie abtrieb. Auch wenn sie sich sicher ist, dass sie damals „eine furchtbare Mutter gewesen wäre“, beschreibt sie den Abbruch dennoch als die härteste Entscheidung ihres Lebens. „Nicht ein Tag vergeht, an dem ich mich nicht frage, wie er heute wohl wäre.“ Nichtsdestotrotz ist sie froh, dass sie sich für die Abtreibung entschieden hat. Andernfalls, sagt sie, hätte sie „nicht die Möglichkeit gehabt, die Welt zu sehen, meinen wunderbaren Mann zu treffen und die zwei großartigen Jungs zu bekommen, die mir so viel Freude bereiten“.
Es ist wichtig, dass wir Frauen nicht länger vorschreiben, was sie empfinden sollten, und sie dazu nicht dazu bringen, sich für ihre Entscheidungen oder ihre Gefühle zu schämen. Wir sollten uns daran erinnern, wie das wirkliche Leben von Frauen aussieht, und nicht der Propaganda von Abtreibungsgegnern aufsitzen. „Ich glaube nicht, dass ich mich schuldig fühlen sollte, dass ich jung war, verletzlich und nicht in der Lage, die Schwangerschaft fortzusetzen“, sagt Jennifer. Es ist an der Zeit, ihr nicht einfach nur zuzuhören. Es ist an der Zeit, sie auch zu verstehen.
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