Auf dem Bauschild prangt in großen Lettern: „Dein Lebenstraum wird Lebensraum“. Erschwingliche Wohnungen für jedermann sollen hier entstehen. Die modellhaften Darstellungen darüber zeigen schicke weiße Wohnkomplexe, eingerahmt von grünen Bäumen direkt an der Havel. Doch auf die vielversprechende Ankündigung folgt Enttäuschung: Bereits 2014 sollten diese Traumbauten in Berlin-Spandau errichtet werden. Stattdessen befindet sich hinter dem Schild ein riesiges, von Bauzäunen umgebenes brachliegendes Gebiet, das von der Natur zurückerobert wird. Gestrüpp und Schotterhaufen, aus denen hier und da ein Strauch emporwächst. Von einem baldigen Baubeginn ist nichts zu sehen.
Das Areal am Maselakepark ist kein Einzelfall. In den vergangenen Jahren ist der Bestand an brachliegenden Flächen bundesweit deutlich gestiegen und lag 2014 laut Statistischem Bundesamt bereits bei 187.000 Hektar. Städtebaulich relevant und ohne aufwendige Vorarbeiten nutzbar ist davon mindestes ein Drittel, was einer Fläche von mehr als 60.000 Hektar entspricht. 60.000 Hektar, die jederzeit bebaut werden könnten, um der Wohnungsnot und der Verödung der Innenstädte effektiv entgegenzuwirken, liegen brach. Um dagegen vorzugehen, planen Union und SPD die Einführung der sogenannten Grundsteuer C auf baureife, aber unbebaute Grundstücke.
Vor dem Verfassungsgericht
Deren Eigentümer sollen zukünftig tiefer in die Tasche greifen, um die Verfügbarmachung von Grundstücken für Wohnzwecke zu verbessern und Spekulation zu unterbinden. Wird der Plan aufgehen? Der Referent für Siedlungsentwicklung des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) ist skeptisch. Immerhin hat man sich an besagter Steuer bereits in den 60er Jahren versucht – und die Idee nach zwei Jahren wieder verworfen. „Unberücksichtigt blieben teilbebaute Grundstücke, Gewerbe und Grundstücke mit leer stehenden Gebäuden“, sagt Wilke. Erfasst wurden letztlich nur komplett unbebaute Flächen, die vorhandenen Kapazitäten wurden dadurch nicht ausreichend ausgeschöpft. Die erneute Einführung würde einen erheblichen Aufwand für die Kommunen bedeuten und zudem die Frage nach der Reformierung der Grundsteuer B nicht beantworten. Diese Steuer für bebaute und bebaubare Grundstücke und Gebäude wird momentan vom Bundesverfassungsgericht geprüft. Im Januar formulierten die Karlsruher Richter starke Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Grundsteuer B. Grund dafür ist die jetzige Bemessungsgrundlage. Sie richtet sich nach Einheitswerten aus den Jahren 1964 für West- und 1935 für Ostdeutschland und sollte ursprünglich alle sechs Jahre erneuert werden. Da dies jedoch ausblieb und die Werte seitdem nicht mehr festgestellt wurden, basiert die gegenwärtige Steuer auf den damaligen Grundstückswerten. „Grundstücke, die 1964 beispielsweise direkt an der Mauer lagen, sind heutzutage mehr wert als zu der Zeit, was aber nicht berücksichtigt wird“, sagt Wilke. Kein Wunder also, dass der Bundesfinanzhof entschied, dass diese Werte nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vereinbar sind. Dass das Bundesverfassungsgericht die Grundsteuer in dieser Form für verfassungswidrig erklären wird, ist absehbar. Welche Konsequenzen würde das nach sich ziehen?
Im für die Städte und Gemeinden verheerendsten Fall würde die Grundsteuer einfach wegfallen. Damit würde eine der wichtigsten Einnahmequellen der Kommunen versiegen, die jährlich etwa 13 Milliarden Euro einbringt. Selbst bei einer gewährten Übergangsfrist von wenigen Jahren könnte eine Neubewertung der knapp 35 Millionen Grundstücke wahrscheinlich nicht schnell genug erfolgen.
Die Lösung, die Henry Wilke im Rahmen der bundesweiten Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ fordert, lautet: Umgestaltung der Grundsteuer zu einer reinen Bodenwertsteuer. Im Gegensatz zu einem Reformvorschlag der Länder, dem Kostenwertmodell, bei dem sowohl die Geschossfläche des Gebäudes als auch die Herstellungskosten betrachtet werden, bezieht sich die Bodenwertsteuer ausschließlich auf den Wert des Bodens. Dem Umstieg auf dieses Steuermodell steht Wilke zufolge nichts im Wege, es könnte innerhalb kürzester Zeit implementiert werden, da die benötigten Bodenrichtwerte bereits im öffentlich einsehbaren Bodenrichtwertinformationssystem (BORIS) der Bundesländer hinterlegt sind. Er beschreibt den Vorgang der Wertbestimmung folgendermaßen: „Die Gutachterausschüsse der Länder schauen sich alle Grundstückskaufverträge des Vorjahres an und legen anhand der Verkaufspreise die Bodenrichtwerte für ein bestimmtes Gebiet fest. Welche Grundstücke werden zu welchem Preis auf dem Markt gehandelt?“ Das System funktioniert wie eine Art Mietspiegel.
Warten muss teuer werden
Entscheidend für den Wert eines Grundstücks ist dabei nicht nur dessen Größe, sondern auch die Lage und die Anbindung. Entgegen der momentanen Regelung, wonach sowohl Grundstücksfläche als auch Gebäude besteuert werden, wird bei der Bodenwertsteuer auf die Gebäudebesteuerung verzichtet. „Nehmen wir zwei Grundstücke gleicher Größe in gleicher Lage, muss für das bebaute momentan eine höhere Grundsteuer gezahlt werden als für das unbebaute“, sagt Wilke. Der alternative Vorschlag soll das ändern und damit Eigentümer unbebauter Flächen stärker in die Pflicht nehmen und Spekulation dadurch verhindern, dass es sich schlicht nicht mehr lohnt, Grundstücke brachliegen zu lassen, um sie nach einiger Zeit teurer weiterzuverkaufen.
Das kann Mieterinnen und Mietern zugutekommen. Wird mehr gebaut, stehen mehr Wohnungen zur Verfügung, das Angebot steigt bei gleichbleibender Nachfrage. Die Konsequenz ist ein dämpfender Effekt auf die Mietpreise. Hinzu kommt, dass die Steuer auf alle Mietparteien umgelegt wird, die Bewohner eines Mehrfamilienhauses müssten pro Kopf weniger zahlen als Besitzer einer Villa, die auf einem etwa gleich großen Grundstück steht. Mieter, welche die Steuer anteilig für ihre Wohnung zahlen, profitieren demnach finanziell von einer Umgestaltung der Grundsteuer.
Wie aber wirkt sie sich auf ein Grundstück mit Einfamilienhaus aus, das schon seit Jahrzehnten von derselben Person bewohnt wird? Wird sie sich in Zukunft noch ihr Haus leisten können, wenn sich der Wert des Bodens durch Veränderungen der Umgebung in den letzten Jahren gesteigert hat? „Für durchschnittliche Ein- bis Zweifamilienhausgebiete würde sich die Steuer nicht erheblich erhöhen. Mehr bezahlen würden Besitzer von großen Villengrundstücken, wobei sie wahrscheinlich auch zahlungsfähiger sind“, sagt Wilke. Die größten Wertunterschiede werden für die Innenstädte prognostiziert, fernab von Einfamilienhaussiedlungen. Verschiedene Grundsteuermodelle wurden in einer Simulationsanalyse des NABU durchgespielt, die die Zahllastverschiebung ausgehend vom jetzigen Grundsteuermodell in Prozent angibt. Demzufolge würde die Steuer für brachliegende Grundstücke, bezieht sie sich ausschließlich auf den Bodenwert, in einer Großstadt wie Mainz um das vierfache und in einer Kleinstadt um das fünffache ansteigen, während sie für Bewohner von Mehrfamilienhäusern um die Hälfte sinkt. Bei Einfamilienhäusern steigt sie durchschnittlich knapp um die Hälfte, ausgehend vom jetzigen Stand.
Warum also der Deutsche Mieterbund mit hinter der Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ steht, ist klar. Was aber hat der NABU davon? Henry Wilke sagt: „Wenn Flächen in der Stadt nicht genutzt werden oder nicht genutzt werden können, führt das auch dazu, dass vermehrt am Stadtrand und auf der grünen Wiese gebaut wird.“ Es gehe also darum, den gegenwärtig durch die Grundsteuer B verursachten Flächenfraß zu verhindern.
Die „eierlegende Wollmilchsau“ in der Sozialstadtentwicklung sei die Bodenwertsteuer aber nicht. Den Anspruch kann und will sie aber auch gar nicht erfüllen. „Die Stadtentwicklung hat viele Instrumente, die durch die Bodenwertsteuer in ihrer Wirkung unterstützt werden würden“, sagt Wilke. Auf besagte Instrumente müsse natürlich auch zurückgegriffen werden.
Im Zuge der Verhandlungen in Karlsruhe ist bereits der Vorschlag laut geworden, den Bund für die entstehende finanzielle Lücke aufkommen zu lassen, sollte sich die Bundesregierung weiter um eine zeitnah umsetzbare Reform der Grundsteuer B drücken und das Bundesverfassungsgericht die Steuer für verfassungswidrig erklär. Wohnraum entsteht dadurch aber auch nicht am Maselakepark, die Brache würde Brache bleiben.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.