Heute werden wir eine komplette Klonierung vornehmen und genetisches Material neu kombinieren", verkündet der Betreuer. Neun sehr junge Damen und drei sehr junge Herren versuchen cool zu bleiben. Sie sind Abiturienten und durchaus vertraut mit Begriffen wie Nukleinsäure und Basenpaar, Replikation und Polymerase. Sie haben 350 Mark bezahlt und opfern eine Woche ihrer Freizeit für das "Ferienlab des Gläsernen Labors" in Berlin-Buch. Sie kommen aus Berlin und Umgebung, ein Mädchen, Kristina, ist aus Saarlouis angereist.
Im Foyer umgibt sie eine Ausstellung mit Großansichten aus der Mikrowelt: Bakterienhaufen, Zellkerne und im Modell die DNS als hübsch gewundene Schraube. Vor ziemlich genau einem halben Jahrhundert war der junge Amerikaner James Watson von Pasadena aus in die Welt gezogen, um genau diese DNS-Struktur, die Doppelhelix, zu entdecken. In der Ausstellung findet sich sein Zitat: "Früher dachten wir, dass unser Schicksal in den Sternen steht. Heute wissen wir, dass es zum großen Teil in unseren Genen liegt."
Die jungen Leute interessieren sich nicht für die Altväter der Zunft, von der sie nicht einmal genau wissen, ob sie ihr beitreten wollen. Sie haben sich weiße Kittel übergestreift und beginnen, sich mit einem Protein namens Ubiquitin zu befassen. Laut Plan werden sie das dazugehörige Gen in Bakterien einbauen und aktivieren, so dass die Bakterien Ubiquitin produzieren. "Es ist ein Eiweiß, das den Abbau anderer Eiweiße steuert", erklärt Dr. Christian Unger, wissenschaftlicher Betreuer im "Gläsernen Labor". "Was wir hier tun, funktioniert mit jedem anderen Protein auch. Die Methoden sind universell." Als erstes gilt es, identische Kopien des entsprechenden DNS-Abschnitts zu bekommen. Zur Einführung aktiviert Christian Unger in der Ausstellung mit einem Mausklick den Breitwandmonitor.
Das "Gläserne Labor" gehört zum Campus in Berlin-Buch, wo einst die molekulargenetische Forschung ihren Anfang genommen hatte. Nicht zuletzt mit dem Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin (MDC) wurde der Campus wichtiger Austragungsort eines 1999 vom Bundesforschungsministerium und vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft verordneten Dialogs zwischen Forschern und Volk. Wissenschaft darf kein Buch mit sieben Siegeln sein, verkündete einst Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn und forderte "gläserne Labore". Und ein Institutsdirektor auf dem Bucher Campus erklärte: "Wir Wissenschaftler machen Informationen erst dialogfähig - auch für Kritiker." Wie der Dialog ausschaut, zeigten die in mondänem Stile organisierten Veranstaltungen im zurückliegenden "Jahr der Lebenswissenschaften": Forscher erklären die faszinierende Welt, und das Publikum staunt. Das "Gläserne Labor" wird finanziert von EU, Bund und Land. Der Einblick in die Arbeitswelt der Biowissenschaftler helfe, wie es heißt, "Technikängste sowie mangelndes Vertrauen in die Wissenschaft und ihre Vertreter abzubauen".
Das ist bei den zwölf Kursanten dieser Woche vermutlich nicht nötig. Susi war mit der Klasse schon einmal hier und ist begeistert. Sie hat inzwischen einen Ausbildungsplatz als medizinisch-technische Assistentin und will später studieren. Medizin vielleicht. Oder Biologie. Oder auch gar nicht, mal sehen. Maria aus Köpenick hat ihr Abi in Biologie gemacht und interessiert sich für die Forschung. Sie will erfahren, wie es im Labor so zugeht. Robert ist mit 20 der älteste. Er wohnt in Zehlendorf und singt in einer Band. In seinem Studienwunsch schwankt er zwischen Germanistik, Musik und Biologie, er sucht eine Entscheidungshilfe. Zur Zeit neigt er der Biologie zu, "am besten Gentechnik". Warum Gentechnik? "Das hat Zukunft", meint er.
Auf dem Monitor öffnet sich im Videoclip die Doppelhelix zur identischen Replikation. Vor dem Klonieren muss sie an entsprechender Stelle aufgetrennt werden, erläutert Christian Unger. "Wie stellt ihr es an?" fragt er und schaut in die Runde. Er wirkt jungenhaft trotz Titanbrille und sorgfältig frisiertem Igel. Maria bricht das konzentrierte Schweigen. "Mit Helicase", antwortet sie. Ja, sagt Unger, so geht es in der Zelle zu. Für das Labor ist Helicase zu teuer. Wärme tut es auch. "Sie überwindet die Bindungskräfte der Wasserstoffbrücken zwischen den beiden komplementären Strängen."
Eigentlich will sie Biologie studieren, erzählt Maria später beim Mittagstisch. Eigentlich? Auch über ein Lehramt hat sie nachgedacht. Früher wollte sie Wale retten. Dann fing sie an, Schmetterlinge zu fotografieren. Für die Spiegelreflexkamera hatte sie lange gespart.
Von der Ausstellung aus ist das "Gläserne Labor" durch eine Glasscheibe gut einsehbar. Christian Unger schreibt die Ausgangssubstanzen für den Ansatz an die Tafel: Primer, Polymerase, Wasser, Nukleotide, Nährsalze und Zehnfachpuffer. Es sind die Ingredienzien für die Polymerase Kettenreaktion, mit der die DNS-Replikation imitiert wird. Die jungen Leute arbeiten jeweils zu zweit. Sie zirkeln die Substanzen mit Spezialpipetten in Plastikhütchen, immer winzigste Mengen, genau definiert. Am Ende hängt ein Pfützchen von 50 Mikrolitern im Gefäß, das halb so groß ist wie ein Fingerhut. Das Ganze kommt in die Zentrifuge und soll danach in einen Automaten, in dem das Temperaturprogramm zur Vervielfältigung des DNS-Fragments ablaufen wird. Eifer entwickelt sich. "Hat noch jemand eine Probe für die Zentrifuge?" ruft Maria. Das Gerät muss gleichmäßig bestückt werden.
Nach der Kettenreaktion kommen die Proben aus dem Automaten auf ein Gel - zur Isolierung des DNS-Fragments, wie Christian Unger sagt. "Die Molekülstruktur des Gels wirkt wie ein Gitternetz. Unter Spannung wandern die Proben-Bestandteile hindurch." Dabei bleiben die einzelnen Sequenzen im Molekülgitter hängen. "Die gesuchte Sequenz wird, da sie eingangs mit einem Leuchtstoff versehen wurde, gut sichtbar sein. Alles klar?" Linda war nicht ganz bei der Sache. Macht nichts, der Groschen fällt beim Machen, sagt Christian Unger. Nach einer Stunde liegt ein Gel-Stück auf dem Lichttisch. Deutlich schimmern sechs feine Balken, die vervielfältigten DNS-Fragmente.
Die jungen Leute haben sich dunkle Brillen aufgesetzt und mit Skalpellen bewaffnet. Die lichtmarkierten Balken mit den DNS-Stücken müssen aus dem Gel befreit werden. "Soviel Gel wie möglich entfernen, aber den Balken nicht zerstören", lautet die Maßgabe. "Näher konnte ich mit dem Skalpell nicht ran", sagt Maria leise zweifelnd, als sie die Brille abnimmt. Die Arbeit im Labor gefällt ihr. Aber, setzt sie hinzu, es muss nicht unbedingt Gentechnik sein. Sie hat nichts gegen die Gentomate. Auch die pränatale Diagnostik bei besonders schlimmen Erbkrankheiten würde sie noch gelten lassen, selbst die Präimplantationsdiagnostik - "von Fall zu Fall". Dabei fragt sie sich schon, wohin diese Form vorgeburtlicher genetischer Gütekontrolle wohl führen mag. Vor allem hat Maria etwas gegen Versuche, Menschen zu klonen. "Schon der Begriff! Ich finde das einfach abartig."
Natürlich weiß Christian Unger, dass der Begriff des Klonens bei seinen Besuchern meist negativ besetzt ist. In der Laborarbeit wird damit lediglich das Übertragen von DNS zwischen Organismen bezeichnet. Aber es wäre ihm zu "trivial", wie er sagt, Akzeptanz dafür schaffen zu wollen. "Es gehört nicht viel dazu, ein Dutzend junger Leute ins Labor zu schicken und machen zu lassen und am Ende zu fragen: Nun, war´s schlimm?" Unger war zehn Jahre in der Forschung. Er hat sie, versichert er, "bewusst" verlassen. Studiert hat er Biochemie. Zwischenstationen in New York und Cambridge. Diplom und Promotion am Bucher Max-Delbrück-Centrum. Nach der Dissertation bekam er eine Stelle am "Gläsernen Labor" angeboten. Er griff zu.
Inzwischen haben die jungen Leute Flaschen mit Nährmedien für die Anzucht der Bakterien gefüllt. Die sollen zum Sterilisieren ins MDC gebracht werden, einen Steinwurf vom Labor entfernt. Auf dem Weg zum Institut referiert Unger aus der Campus-Geschichte: größte Klinik Europas, Irrenanstalt, Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung mit dem dunklen Kapitel der Euthanasie. Das "Material" für ihre Arbeit hatten die Forscher einst vom KZ-Arzt Josef Mengele per Post erhalten. Im zentral gelegenen Campus-Park bleibt Unger vor einem kleinen Mahnmal stehen, gewidmet den Opfern der Euthanasie. Zu Versuchszwecken wurden ihnen Hirnschnitte entnommen, erklärt er. Die seien 1990 bestattet worden. "Es gibt immer Anlass für einen Forscher darüber nachzudenken, ob das, was er tut, auch mit dem vereinbar ist, was er will und verantworten kann." Einige aus der Gruppe sind mit ihren Flaschen schon vorgegangen.
"Wo liegen die Grenzen heute?", fragt Susi. "Das muss jeder für sich entscheiden", meint Christian Unger. Er will nicht argumentieren, sondern informieren. Am Nachmittag soll das vervielfältigte Ubiquitin-Gen in einen Vektor eingebaut werden, der das Gen in Bakterien schleusen wird. Die jungen Leute lernen Restriktionsenzyme zu benutzen, molekulare Scheren zum Einpassen von beliebigen DNS-Fragmenten in das Erbgut. Am Ende werden die Vektoren zu den Bakterien. Hoffen wir, wünscht Christian Unger den jungen Forschern, "dass die Klonierung funktioniert." "Vielleicht sollte man", sagt Maria, "wenn man im Labor arbeitet, immer schauen, ob das mit den Wünschen und Erwartungen außerhalb des Labors übereinstimmt." "Ja, aber wie sieht es da draußen aus?" entgegnet Susi. "Da schicken Leute ihre Kinder mit Hauptschulempfehlung aufs Gymnasium. Also: Wenn es jemand schafft, genetisch an der Intelligenz zu drehen, dann wird es auch gemacht."
Die wenigen Diskussionen zum Thema laufen auf seltsame Weise ins Leere. Es ist eben kein Ethikseminar, sondern ein Einführungskurs in genetische Laborarbeit. Und deren kritische Aspekte? Gelegentlich werden sie angeschnitten. Gelegentlich gehen die jungen Leute darauf ein. "Draußen", im wirklichen Leben, ringt die Gesellschaft um richtige Entscheidungen in Sachen Stammzellen. Drinnen, im "Gläsernen Labor", suchen zwölf Abiturienten den richtigen Weg in die Gesellschaft.
"Warum hast du aufgehört mit der Forschung?", fragt Maria Christian Unger. Er habe entschieden, dass dies besser für ihn und seine Familie sei als sich im Dreijahresrhythmus immer wieder neu für einen befristeten Vertrag qualifizieren zu müssen. Die geringe Zahl an Stellen schaffe einem enormen Wettbewerbsdruck. Ein Forscher brauche eine ziemlich hohe Frustrationsschwelle. "Ihr hattet Glück, dass eure Klonierung geklappt hat." Nur ein Drittel der Experimente funktioniere im Labor überhaupt. "Ich brauchte einmal vier Wochen, um einen bestimmtes Fragment zu klonieren."
"Forschung", sinniert Kathi aus Fürstenwalde während einer kleinen Session am Nachmittag bei Eis und Cola, "das ist nichts für mich." Sie sucht eine sichere berufliche Perspektive. Auch Maria schwankt. "Hättest du noch einmal die Wahl: Wie würdest du dich heute entscheiden?", wird der Betreuer gefragt. Er würde", versetzt Christian und grinst, wahrscheinlich über eine Banklehre nachdenken. "Du machst uns ja Mut", mault Maria. Am liebsten würde sie nach Afrika, "eine Schmetterlingsart entdecken." Oder doch lieber Wale retten?
Der erste Tag ist vorbei. Die nächsten Tage wird die Gruppe etwas über Gen-Transfersysteme und Genchips erfahren, die Campus-Bibliothek und ein Biotech-Unternehmen besuchen, abends gemeinsam grillen. Zwischendurch werden sie sich im Labor um ihre Ansätze kümmern und am Ende erfolgreich das Protein Ubiquitin ernten.
Der erste Tag war der härteste von allen, wird Christian abschließend sagen, ich wollte wissen, was ihr so aushaltet. Und, werden die jungen Leute selbstbewusst fragen, was meinst du? Ich meine, wird ihr Betreuer antworten und eine kleine Pause machen, ihr schreckt vor nichts zurück. Sie werden zufrieden lachen und sich abschließend zum Gruppenbild vorm Haus versammeln.
Jemand hat das Modell der Doppelhelix aus der Ausstellung geholt, sie nehmen es in ihre Mitte. Und dann lächeln sie freundlich. Die Sonne scheint, am Ende haben es alle eilig. Kristina aus Saarlouis will die letzte Gelegenheit für die Körperwelten-Ausstellung nutzen. Robert muss zur Probe. Und, hat er sich entschieden? Robert winkt ab. Jetzt macht er erst einmal Zivildienst. Was haben sie gelernt? Sie haben gesehen, "wie die Dinge funktionieren", wie sich Leben bis auf seine Moleküle reduzieren lässt. Was das für "das Leben" bedeutet, bleibt zu lernen.
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