Der überraschende Tod Wolfgang Peukers am 9. Mai hat eine der schmerzlichsten Wunden dieses Künstlers ins Gewissen der Öffentlichkeit zurückgerufen. Vor nunmehr 20 Jahren wurde in Leipzig sein bisheriges Hauptwerk, ein monumentales Wandbild für das Neue Gewandhaus, noch vor dessen Vollendung auf staatliche Anweisung überstrichen und zusätzlich verschalt. Zusammen mit der Verweigerung einer Professur durch die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, an der Peuker seit 1977 gelehrt hatte, war dies ein Hauptgrund, die Berufung an die Kunsthochschule Berlin-Weißensee anzunehmen, wo er 1989 die Leitung einer Malklasse übernahm und 1993 zum Professor für Malerei ernannt wurde. Mit der 1994 erfolgten gänzlichen Übersiedlung nach Berlin hatte - nach Volker Stelzmann und Bernhard Heisig - erneut ein Exponent der "Leipziger Schule" der Stadt, die ihn hervorbrachte, den Rücken gekehrt und in den Folgejahren unter veränderten persönlichen und gesellschaftlichen Bedingungen in seinem Werk zu einer Steigerung gefunden.
Wolfgang Peuker, 1945 in Aussig geboren und nach Halle/Saale übersiedelt, hatte von 1965 bis 1970 in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst bei Meistern wie Werner Tübke, Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer eine die Beherrschung des Handwerks voraussetzende, auf die Bewältigung der menschlichen Figur und ein Wirken für die Gesellschaft gerichtete Ausbildung genossen. Bestimmend blieben insbesondere Tübkes Hinweise auf die alten Meister. Noch 1995 schrieb Peuker im Vorwort zum Katalog einer Ausstellung seiner Schüler im Haus am Lützowplatz über sein künstlerisches Wollen und Wirken: "Ich erinnere mich, immer dann überzeugend gewesen zu sein, wenn ich aus meinen Vorlieben keinen Hehl machte. Das betrifft beispielsweise meine Affinität zum italienischen Manierismus oder dem Dunkel des Spaniers Goya. Abgesehen davon, liegen meine Wurzeln eher in der deutsch-protestantischen Kunst. Grünewald, Cranach und Hans Baldung-Grien sind mir in ihrer konsequenten Formenstrenge und deren Expressivität sehr nah. Es ist da eine Inhaltlichkeit, die mich tief berührt und mir meine Existenz im Jetzt sehr bewußt werden läßt."
Der Beginn des Malerlebens von Wolfgang Peuker fiel in eine Zeit, in der in Leipzig die Vertreter einer jungen Künstlergeneration den sozialistischen Alltag, statt ihn wie erwartet zu verherrlichen, in Bildern noch voller Poesie kritisch hinterfragten. Peuker begann mit koloristisch subtilen Stillleben, Landschaften und Milieuporträts, ließ mit eigenwilligen Brigadebildern aufmerken, holte in imaginären Porträts unter anderem von Elvis Presley (Sterbendes Idol, 1977) ein Stück Welt in sein Atelier, verlor sich eine Zeitlang in verklausulierten Mythologien und fand schließlich zu unverhüllt gesellschafts- und sozialkritischen Bildern. Ihres schockierenden Inhalts wegen heftig diskutierte Gemälde wie Wände (erste Fassung 1981), der erbitterte Kampf eines nackten Paares in engem Gehäuse, brachten den Maler, der seit 1978 auch in Funktionen des Künstlerverbandes tätig war, in die vordere Reihe der Künstler der DDR. Museen unter anderem in Berlin, Leipzig, Halle, Altenburg, Frankfurt/Oder erwarben seine Bilder ebenso wie die Sammlung Ludwig in Oberhausen und die Grundkreditbank Berlin.
Als folgenreich erwies sich der 1978 erteilte ehrenvolle Auftrag zu einem großformatigen Wandbild für das neu errichtete Gewandhaus Leipzig. Die zu dessen Vorbereitung mögliche Studienreise nach Spanien brachte die ersehnte Bekanntschaft mit den Werken von Velazquez und Goya. Deutliche Reminiszenzen an den späten Velazquez finden sich in thematischer wie formaler Hinsicht; zu Goyas Wandbildern der Quinta del Sordo bekannte der Künstler 1985: "Ich hatte die Begegnung mit den schwarzen Bildern Goyas. Die waren mir so gegenwärtig, so lebendig, als ob er unter uns wär´."
Die von Anfang an immer wieder zu bemerkende Neigung zu dunklem Kolorit fand hier Bestätigung, vor allem aber löste nun eine entscheidende Wendung zum Existentiellen das bisher noch dominierende Narrative ab. Eindrücklich zeigte sich dieser Reifeprozess in den Arbeiten zu Gustav Mahlers Lied von der Erde für das Gewandhaus. Der Wandfries zeigte überlebensgroße symbolische Akt- und Maskenfiguren vor düster verhangenem Himmel als Verkörperungen der Suche nach dem Sinn des Lebens in einer bedrückten Zeit, darunter eine Maskengruppe, die dem Hut der Obrigkeit die Reverenz verweigert (an eine um 1928 entstandene Komödie von Emil Nolde erinnernd), eine dramatische Adam-und-Eva-Gruppe und eine sich zum Licht emporhebende weibliche Gestalt. Den warmen Erdtönen dieses Frieses sollte sich im dazugehörigen Saalboden (der Entwurf befindet sich im Besitz der ersten Frau des Künstlers) in leuchtenden blau-grünen Tönen eine Vision der Vereinigung von Irdischem und Transzendentem anschließen - Entwürfe von einer seelischen Tiefe und Dichte der existentiellen Aussage, wie sie der Künstler bisher nicht erreicht hatte.
Bereits der zunächst begonnene Wandfries, alles andere als eine festlich-dekorative Zutat zur Architektur, musste auf Intervention des Auftraggebers unvollendet bleiben und sollte dem Vergessen überantwortet werden.
Nicht gewillt, sich entmutigen zu lassen, fasste der Künstler zunächst Schmerz und Zorn über die makabren Umstände des staatlichen Eingriffes in selbstbildnishafte Bilder glückloser Sinnsucher wie Trunkener Rufer und Trauriger Harlekin; in der Folgezeit entwickelte er einzelne Gruppen in Tafelbildern weiter. Vor allem aber baute er auf seiner hier erstmals gefundenen persönlichen Mythologie auf, fasste seine Überlegungen über den Wert des Lebens in sehr persönlich interpretierte Gestalten der antiken und christlichen Mythologie. "die mythischen Bilder wurden durch das Gewandhausbild ausgelöst", betonte er 1985 im Katalog seiner ersten großen Ausstellung im Museum der bildenden Künste zu Leipzig, in dem er auch zu seiner Figur des "Diogenes" sagte: "Es gibt Maler, die ganz spontan und direkt auf die Probleme unserer Zeit reagieren können. Jeder ist täglich damit konfrontiert, wie lange wir es eigentlich noch auf diesem Erdball aushalten können, wann wir ihn auf irgendeine Art in die Luft sprengen oder die Luft, das Wasser und die lebensnotwendige Vegetation peu à peu vernichten. Ich kann darauf nur mit meiner Malerei antworten. Ich versuche es beispielsweise mit einer Figur wie dem Diogenes. Das ist einer, der nach neuen Formen, nach Befreiung sucht. Ich sehe in diesem alternativen Denken einen Ansatz, aus einer bedrohlichen Situation herauszukommen. Das klingt wie eine Utopie, aber diese fast naive Utopie ist vielleicht ein Anfang. Ich möchte doch nicht nur eine Situation beschreiben, sondern möchte etwas von der Anatomie der Gesellschaft wiedergeben." Und in einem Interview des gleichen Jahres für die Leipziger Blätter hieß es selbstbewusst: "Stellt man sich den existentiellen Problemen seiner Zeit, wird jede Antwort - kommt sie aus der Mitte der eigenen Persönlichkeit - Äußerung zu jener Grundfrage sein."
Von Peukers neuerrungener künstlerischer Rigorosität zehren zuerst seine Frauenporträts. Nach den tonigen Bildern, die er von seiner ersten Frau, der Leipziger Malerin Annette Krisper, schuf, entstehen seit 1982 in immer strengerer Silhouettierung und dunklen Tönen Porträts seiner zweiten Frau, der Berlinerin Annette (als Malerin: Paula Kress). Er stellt sie als Kind einer geteilten Stadt und eines geteilten Landes dar, in dem Sehnsucht und Anspruch kaum in Einklang zu bringen sind, vor dem Brandenburger Tor oder imaginären Landschaften, seit Ende der achtziger Jahre auch als moderne Verkörperung der Melancholie. In der Strenge und Luzidität dieser Bilder nähert sich Peuker dem, was Friedrich Hölderlin "heilige Nüchternheit" nannte und was dem Figurenmaler Karl Hofer als höchstes Ziel der Malerei erschien.
Die in den siebziger Jahren begonnene Reihe imaginärer Porträts wächst zu einer markanten Werkgruppe von Ikonen des 20. Jahrhunderts wie Joseph Beuys (1979), Andy Warhol (mehrere Fassungen 1982 bis 1985), James Dean (1986), Salvador Dali (1989), Gustaf Gründgens (1992) oder Hans Mayer (1994), in denen der Maler das Exemplarische und Hintergründige sucht. Gestaltet er in seinen "Idol"-Bildern und 1986 in einem James-Dean-Porträt mit Raumfähre Challenger seine Sicht auf den amerikanischen Traum, so setzt er sich in einer 1990 begonnenen Folge Demagogen mit jenen Ideen auseinander, die ein halbes Jahrhundert lang die Welt beherrschen wollten, und zeichnete anhand von psychologisch aufgefassten Porträts von Lenin, Stalin, Goebbels und Mielke den Weg von utopistischem Streben nach Vollkommenheit über Machtdominanz zu erbärmlicher Kleinbürgerlichkeit nach.
In Hommagen bekennt er sich zu seinen modernen Wahlverwandten: 1992 malt er einen Frauentorso als Gefesselte Aktion für den Bildhauer Aristide Maillol, dessen Frauenbild er bewundert, 1994 betont er in dem Selbstbildnis mit Sektglas Ich seine Ähnlichkeit mit Lovis Corinth, dem er sich nicht nur in der Melancholie überwindenden Sinnenfreude nahe fühlt, sondern ebenso in dem Wahlspruch "Wahrheit war mein Prinzip".
Zu den Höhepunkten seines Schaffens gehören die seit 1989 nebeneinander entstehenden metaphorischen dunkeltonigen Landschaften und Berlin-Bilder mit gleichnishaften Figuren. In kargen gebirgigen oder Waldlandschaften wie Zwielicht und Ruhe auf der Flucht als Stationen ungewisser Lebensreise mit Staffage aus seinem Figurenrepertoire - er selbst als Narr, seine Frau als Melancholie, eine verhüllte Gestalt vielleicht als Verkörperung des Schicksals - fragt er dem Sinn des eigenen Lebens und seiner Identität nach.
Die ebenso persönlichen Berlin-Bilder enthalten geschichtliche Dimension. Für die Teilung Deutschlands, die den Lebenskreis der hinter einer Mauer Zurückgehaltenen empfindlich beschnitten hatte, erschien diese bis zum Zusammenbruch des Sozialismus als leicht fassliches und immer wieder verwendetes Symbol. So zeigt Anatomie einer Stadt - Berlin 1989 zwei voneinander abgewendete Torsi vor einer Mauer über bunkerähnlicher Architektur, getrennt durch eine willkürlich gezogene Linie, unter bedrohtem Himmel als beklemmende Metapher für die Teilung der Stadt und eines Landes. Auf die zunehmende Brüchigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse im Sozialismus reagiert Peuker mit gespenstisch-schemenhaften Figuren unter bleiernem Himmel in der Kulisse des geteilten Berlin. In den 90er Jahren und besonders nach der Übersiedlung nach Groß Glienicke bei Berlin werden die Architekturen von ehemaligem Reichsgericht, Neuer Wache, Pariser Platz und Brandenburger Tor, das nun wieder von beiden Seiten erreichbar ist, zu Metaphern der Hoffnung.
Vor dem Schinkelbau der Neuen Wache, in deren Innerem der Opfer von Gewalt und Terror gedacht wird, lässt der Künstler neben den Figürchen des Alten Fritz und eines Wehrmachtssoldaten sich selbst als Narr, seine Frau und eine der Figuren aus den Meninas des Velazquez agieren - eine sehr persönliche Huldigung an Berlin. Doch nur kurz ist für den Maler die Zeit der nach dem Zusammenbruch des Sozialismus wiederkehrenden warmen Bunttöne und hellen Farben, die an seine Frühzeit erinnern, der heiter sinnenfrohen Figuren wie Drei Grazien mit Minotaurus (1993/94). Die 1995 ausgebrochene Krebserkrankung seiner zweiten Frau musste die im Schaffen des Malers latent stets vorhandenen Gedanken an Bedrohung und Tod wieder verstärken. Er huldigt der nach tapferstem Kampf Verstorbenen 1996 in einer farbig gefassten Büste, seinem ersten plastischen Werk, das ebenso meisterlich wie das ein Jahr nach ihrem Tod geschaffene Gemälde Der Hauch, in dem sich ein dunkler Schemen einer schmalen, durch ihre Nacktheit als ungeschützt charakterisierten Gestalt nähert. Als weiteres plastisches Werk entsteht eine Bronzebüste des bewunderten Dichters Joachim Ringelnatz: So wie sich hinter dessen frecher Schnauze ein leidenschaftlich fühlender, innerlich zerrissener Mensch verborgen hatte, stand auch bei Peuker hinter aller Sinnlichkeit seiner Malerei und dem stiernackigen Auftreten ein schmerzlich Grübelnder, der die klare Schönheit des Klassischen liebte und zu gestalten wusste, aber in seinem tiefsten Grunde dem Chtonischen zuneigte und dessen Werken stets ein Untergrund von Melancholie, Trauer und Wissen um Vergeblichkeit spürbar bleibt.
"Tage von verschiedener Helle, Nächte von verschiedenen Tiefen" hatte der Maler Wolfgang Peuker seinen Freunden zuletzt zum neuen Jahr gewünscht und damit wohl auch sein eigenes erfülltes Leben charakterisiert.
Renate Hartleb, geboren 1939, Kunsthistorikerin in der DDR, veröffentlichte u.a. im Sonntag und in Ausstellungskatalogen zur Leipziger Schule. 1976 erschien im Berliner Henschel-Verlag ihr Band: Künstler in Leipzig.
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