Drei kleine rundliche Polizisten recken ihre uniformierten Bäuche in den Wind und beobachten stumm aus diskreter Entfernung das Geschehen. Sie tragen weder Helm noch Schild, haben nicht einmal eine abschreckende Miene aufgesetzt. Ihre Aufgabe ist es, präsent zu sein. Eine angemeldete Demo wird schützend bewacht, so will es die Demokratie. Zur Blade night im vergangenen Sommer wimmelte es nur so vor begleitenden Staatsdienern. Jetzt sehe ich nur drei. Wahrscheinlich steigt oder fällt die Zahl der Bewacher mit der Masse der Demonstrierenden, eine andere Gewichtung will ich mir nicht vorstellen. Hier, in Berlins historischer Mitte, in der Rosenstraße gilt es, eine Ansammlung von Frauen, überwiegend jedenfalls, zu schützen. Frauen, die um ein steinernes Denkm
nkmal laufen, einzelne, langstielige Blumen und gebundene Sträuße darin ablegen. Frauen, die sich freudig erkennen und begrüßen, die sich duzen und sofort ein Gespräch beginnen, nirgends höre ich gequälten Small talk. Junge, ältere, alte Frauen reden miteinander, herzlich, laut und gewichtig. Keine Ahnung, warum mir gerade jetzt der DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschland) in den Sinn kommt.Die Überparteiliche Fraueninitiative Berlin hat am Holocaust-Gedenktag zum Meeting geladen, es geht um Zivilcourage gestern und, wie Rita Süßmuth an eindringlichen Beispielen belegt, auch in unserer heutigen Gesellschaft. Auf einem winzigen Treppenpodest an einer rückwärtigen Hauswand drängen sich Politikerinnen, Zeitzeuginnen und Ingeborg Hunzinger, die Bildhauerin und Gestalterin des eruptivsteinernen Denkmals, das an den ersten großen öffentlichen Frauenprotest im Nationalsozialismus erinnert. Ihnen zu Füßen dank bester Tontechnik aus dem ehemaligen "Haus der jungen Talente", dem heutigen Podewil, lauschen hundert oder hundertfünfzig Meetingteilnehmerinnen.Ich hatte vermutet, das Thema würde mehr Menschen hinter ihren Zentralheizungen hervor locken. Zivilcourage ist "voll heiß" hätten es wahrscheinlich die beiden Teenies in der S-Bahn formuliert, deren Gespräche ich auf der Fahrt zum Alexanderplatz mit anhören durfte. Allerdings hatten die andere Themen. Wenn etwas nicht "voll stark", "voll süß" oder "voll geil" war, dann hieß es Sven, Henning oder Sebastian. Wahrscheinlich "voll normal" in dem Alter. Und beruhigender als folgende Szene, die eine Freundin mir während des Meetings erzählt: Ein Bettler steigt in die U-Bahn ein, sagt seinen Spruch und setzt sich still auf einen Eckplatz, nach einer Weile schnipsen Jugendliche zwei Groschen in die Mitte des Wagens, der Bettler steht ganz ruhig auf, bückt sich nach den ihm vorgeworfenen Brocken und steigt an der nächsten Haltestelle aus. Die Jungs können sich kaum bremsen vor lachen, die wenigen anderen Mitfahrenden verstecken sich hinter ihren Zeitungen, starren Löcher in die Luft, kramen in der Einkaufstasche und meine Freundin kocht vor Wut, weil ihr keine passende Reaktion einfällt. Das schwächste Glied der Kette als Spaßfaktor, Gewalt braucht nicht einmal Worte.Nachdem die Reden der Frauen vom Podest verklungen sind, löst sich die Versammlung auf. Drei Polizisten sind wieder frei für neue Aufgaben.Einmal in der Gegend, beschließe ich, einen Blick auf den nur fünf Minuten entfernt dahin schlummernden Palast der Republik zu werfen. Der Anblick ist ernüchternd, Erichs Lampenladen scheint endgültig ausgeknipst zu sein. Dabei hatte ich noch am Frühstückstisch so viele gute Worte für ihn gefunden. "Ich bin fürs Schloss", hörte ich B. unvermittelt sagen, während er genüsslich Erdbeermarmelade auf sein Brötchen kleckste. "Der Kanzler auch", erwiderte ich und dachte damit das abwegige Ansinnen bestens pariert zu haben. Wozu man das Gebäude, saniert, dann wirklich zwingend gebrauchen kann, wusste ich allerdings nicht zu beantworten. Dennoch gehört der Palast der Republik irgendwie zu meiner Jugend. Und wenn ich ihn jetzt hier so abgeblättert betrachte, kommen komische Gedanken. Schnell gehe ich weiter zu einer Baugrube und sehe gar nicht tief unter mir, die Fundamente des einstigen Schlosses. Ein Hauch von Geschichte weht mir entgegen und es ist klar: was bedeutet im Anblick der Historie schon das Alter des Einzelnen?Eine 23-köpfige Expertenrunde saß vor ein paar Tagen im Staatsratsgebäude beieinander, um über die Zukunft von Schloss und Palast zu beraten. Der vorsitzende Experte lehnte sich dabei sehr weit aus dem Fenster: "Wir werden nicht nach Hause gehen, ohne dass wir Berlin eine großartige Lösung angeboten haben." Ein bisschen Schloss, ein bisschen Palast? Keine faulen Kompromisse, wenn von allem ein bisschen, dann aber mit eigener Struktur. Aha! So wird also ein fast elfjähriges Problem gelöst. Ende des Jahres will man ein Konzept vorlegen. Ich fahre schon mal nach Hause. Es nieselt in Berlins Mitte.