BERLINER ABENDE Der Teufel versprach Jack, ihn für sieben Jahre zum besten Hufschmied der Welt zu machen. Natürlich hatte die Sache einen Haken, sonst wäre sie nicht ...
Der Teufel versprach Jack, ihn für sieben Jahre zum besten Hufschmied der Welt zu machen. Natürlich hatte die Sache einen Haken, sonst wäre sie nicht teuflisch. Jack musste dem Mann der Finsternis seine Seele verkaufen und das hatte wiederum Folgen: Noch heute irrt der einst siebenjahresbeste Hufschmied mit einer Jack o'Lantern durch die Welt. Das sind diese beleuchteten Pumkins, die neuerdings auch in unseren Breiten immer häufiger gesichtet werden.
Reicht es nicht, bei gelegentlichem Blick aus dem Fenster festzustellen: die Blätter verfärben sich, sie schütteln sich, sie stürzen in die Tiefe, es nieselt, stürmt, es wird frühzeitig dunkel oder gar nicht erst richtig hell? Ja, es ist Herbst, schlimm genug, warum muss es auch noch die Jahresz
ie Jahreszeit der Geister sein, der herumspukenden Seelen. Der 31. Oktober, habe ich irgendwo gelesen, war bei den Kelten und den Angelsachsen der Vorabend des neuen Jahres, der Abend, an dem eines der alten Feuerfeste gefeiert wurde. Und da mit dem November das dunkle und unfruchtbare Halbjahr beginnt, war auch das Herbstfest von düsterer Vorahnung geprägt. Geister, Hexen, Kobolde, Feen und Dämonen aller Art schwirrten im Freien umher.Nun schwirren sie also auch bei uns, drei Tage lang feiert man in Berlin Halloween, ob im Pair-A-Dice, im Bierkeller oder Hardrock Café. Selbst Gruselfilme im Doppelpack sind im Angebot. Warum? Ich weiß es nicht. Wenn ich meine E-mails abrufe und sehe: Hallo webmiler, Halloween steht bevor!!! Verriegeln Sie schnell alle Tueren und Fenster, klicken Sie auf http://www.webmiles.de und schauen Sie beim webmiles Halloween-Special vorbei. Double webmiles zu Halloween! kommt mir so eine Ahnung ...Ich kaufe nichts, und ich brauche kein Halloween, meinen Grusel inszeniere ich mir unfreiwillig allein und auf herumirrende Seelen treffe ich auch so: Entrückte Menschen unter Kopfhörern hasten durch Parks, auf Gehwegen entlang und trippeln vor Ampeln ungeduldig auf der Stelle. Seit ich Zaungast beim Berlin-Marathon war, habe ich Verständnis für sie, und es beschäftigt mich der Gedanke: Schaffe ich das auch? - Laufen beginnt im Kopf. Als ich lange genug darüber nachgedacht hatte, konsultierte ich meine Hausärztin, die lächelte, sprach von Belastungs-EKG und schickte mich zur Kardiologin, die wiederum setzte mich aufs Fahrrad. Zaghaft schilderte ich mein Anliegen, erntete einen schrägen Blick, und noch bevor ich ins Pedal treten durfte war mein Blutdruck außer Rand und Band. Die Kardiologin schüttelte den Kopf, ich bestritt, mit diesen Werten etwas zu tun zu haben, und strampelte los. Zunächst radelte ich munter vor mich hin, immer genau auf die 50 meiner Anzeige achtend und schon fast den Triathlon im Kopf. Das Problem ist nur, ich friere immer so schnell im Wasser. In regelmäßigen Abständen zurrte sich die Bandage an meinem Oberarm zusammen, Druckwerte wurden angezeigt, zackenförmige Linien mit immer wiederkehrendem Muster malten sich auf Papier. Was war das? Die Pedale ließen sich plötzlich ganz schwer durchtreten. Niemals würde ich mir das anmerken lassen, lächelnd fluchte ich in mich hinein und hoffte auf ein baldiges Ende der scheinbar steil ansteigenden Rennstrecke, noch zwei Minuten, nein, Triathlon begann im Kopf und endete sehr schnell in den Waden. Die letzten Minuten waren geschafft. Die Medizinerin betrachtete die Werte und Amplituden, schüttelte wieder den Kopf, meinte, es sei alles ein bisschen an der oberen Grenze, gab mir aber dennoch ihr Okay und die unverlangte Auskunft, dass Laufen ihr Ding nicht wäre und sie so eine lange Strecke auf gar keinen Fall schaffen würde.Auf diese Weise motiviert und inzwischen auch schon mit ordentlichem Schuhwerk ausgerüstet, begann ich auf einer gepflegten Tatarnbahn das Oval eines Fußballfeldes zu umrunden. Musik, die ich freiwillig nicht hören wollte, vibrierte in meinen Kopfhörern, plötzlich höre ich eine Stimme neben mir: »Du läufst zu schnell, das ist ja ein vierer Schnitt.« - »Keine Ahnung, ich laufe noch nicht lange«, entschuldigte ich mich sofort. Nach drei gemeinsamen Runden wusste ich einiges über regenerative Dauerläufe, anaerobe Schwellen, Laktatkurven und es war mir die Übergabe eines Trainingsplans beim nächsten Treffen versprochen.Ich laufe immer noch im selben, meinem Wohlfühl-Tempo, viele, viele Runden, habe die Erfahrung gemacht, dass joggende Männer grüßen, Frauen verbissen gucken. Und ich weiß, männliche Läufer hinterlassen beim Überholen eine Duftmarke ihres Rasierwassers, Frauen riechen gar nicht oder nach Duschbad. Jetzt, wo es so früh dunkel wird, werde ich mich daran orientieren können, es sei denn, die Seele des alten Jack überholt mich, Jack o'Lantern würde sein leuchtender Pumpkin verraten und bei mir ein wohliges Schaudern hervorrufen. Halloween mitten in Berlin.
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