Immer lauter wird in Griechenland über Neuwahlen spekuliert. Einige Minister in Alexis Tsipras Kabinett argumentieren, dass ein erneuter Gang zur Wahlurne auch ein Referendum über den Regierungskurs und die drastischen Sparauflagen der Eurogruppe sei. Warum sollte man diesen Weg nicht gehen, zumal Umfragen besagen, dass Syriza ein solches Votum höher gewinnen könnte als die Parlamentswahl vom 25. Januar? Die anderen Parteien bilden keine geschlossene Front und befinden sich in eher desolatem Zustand.
Opposition ist die Kunst, so geschickt dagegen zu sein, dass man später dafür sein kann. Ein kluger Satz, formuliert von Charles Maurice de Talleyrand, Napoleons Außenminister und Frankreichs Vertreter auf dem Wiener Kongress 1814/15. Eine Sentenz, wie sie auf viele griechische Politiker zutrifft, die auf der Oppositionsbank saßen und später Macht bekamen. Meister in dieser Disziplin ist Antonis Samaras, Ex-Premier und Chef der konservativen Nea Dimokratia (ND). 2012 lehnte er alles ab – Sparpakete und Reformen, dazu eine von der EU verlangte schriftliche Garantie, vereinbarte Maßnahmen einzuhalten –, um dann in Regierungsverantwortung genau das zu unterschreiben.
Samaras lobt sich selbst
Zu stark war der Wille, auf dem Sessel des Ministerpräsidenten platziert zu sein. Seit Januar nun sitzt seine Partei mit 76 Mandaten wieder in den Opposition und ist mit sich selbst beschäftigt. Aufkeimende Debatten um einen Wechsel an der Parteispitze nach dem Wahldebakel konnte Samaras vorerst eindämmen, doch nur um den Preis der Spaltung. Sollte es ein Agreement zwischen den Institutionen (EU-Kommission, EZB, IWF) und der Syriza-Regierung geben, will ein ND-Flügel im Parlament dafür stimmen, während Samaras und seine Gefolgsleute erklären: Was immer vorgelegt wird – wir sind dagegen. Der Ex-Premier wirft Tsipras Realitätsverlust vor und bezichtigt dessen Minister der Wählertäuschung. Das Brückenprogramm – am 25. Februar in Brüssel unterschrieben – ebne in Wirklichkeit den Weg für ein drittes Memorandum.
Als sich Syriza weigerte, den Vertrag zur Einsicht und Abstimmung dem Parlament vorzulegen, veröffentlichte Samaras das Dokument kurzerhand selbst: Das Volk solle die Wahrheit wissen, begründete er diesen ungewöhnlichen Schritt. Samaras scheint davon überzeugt zu sein, keiner könne das Land in dieser kritischen Phase besser führen als er. Seine Parlamentsreden triefen vor Eigenlob. Wie ein starrköpfiges Kind zählt Samaras vermeintliche Erfolge seiner Amtszeit auf: eine leicht erholte Ökonomie, ein Primärüberschuss beim Budget, mehr Stabilität. Dabei wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2014 lediglich um 0,6 Prozent, und die Gesamtverschuldung sank um keinen einzigen Cent.
Die Pasok fristet als Oppositionsfraktion nur ein Schattendasein. Geschrumpft auf 13 Mandate ist keine Rekonvaleszenz in Sicht. Händeringend sucht die Partei nach einer neuen Identität und auf dem anstehenden Kongress nach einem Parteichef. Auch der ehemalige Pasok-Chef Giorgos Papandreou kommt mit seiner erst im Januar formierten Partei Kinima Dimokraton Sosialiston (kurz: KIDISO) nicht vom Fleck. Sie verpasste den Einzug ins Parlament und war seither wie vom Erdboden verschluckt. Im Mai meldete sich Papandreou kurz zurück, die Bürger sollten per Referendum über den Verbleib in der Eurozone entscheiden.
Omnipräsent dagegen ist Stavros Theodorakis, Parteichef der linksliberalen Partei To Potami (17 Sitze). Der stets um Sachlichkeit bemühte Ex-Journalist verlangt, von Syriza zugesagte tiefgreifende Reformen endlich umzusetzen, die nicht mit dem Sozialprogramm für hilfsbedürftige Bürger zu verwechseln sind. Tsipras und sein Kabinett seien leider die Getriebenen des radikal linken Parteiflügels, so Theodorakis. Er zweifle im Übrigen an der proeuropäischen Haltung von Syriza. Man müsse nur an Äußerungen ranghoher Syriza-Mitglieder denken: „Sie wollen uns versklaven. Sie trinken unser Blut.“ Syriza sei in ihrem tiefsten Inneren „nicht europäisch“, glaubt Theodorakis. Dennoch würde er für ein von Syriza ausgehandeltes Abkommen stimmen. „Vorausgesetzt, es ist gut für das Land.“
Klar und schonungslos ist die Polemik der Kommunistischen Partei (KKE). Ihr Chef Dimitris Koutsoumbas lässt kein gutes Haar an der Regierung. Tsipras habe sich mit dem IWF, der EZB und EU-Kommission zu einer „Koalition der Wölfe“ zusammengeschlossen. Man fletsche die Zähne, bleibe aber im Rudel. Die orthodoxe KKE sieht in Syriza eine bürgerliche Partei, die mit dem Bekenntnis zum Euro ihr wahres Gesicht gezeigt habe: „Die Maske ist gefallen.“ Man erlebe, wie eine neue Pasok Schritt für Schritt geformt werde.
Die schärfsten Kritiker von Tsipras’ Verhandlungstaktik sitzen in den eigenen Reihen. Yanis Milios, einst Chefökonom von Syriza, meint, die Regierung hätte von Anfang an die Schuldentilgung einfrieren sollen. „Wir sollten jedem Kompromiss eine Absage erteilen.“ Es sei Zeit für den Bruch.
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