Stell dir vor, Krebs ist heilbar – und keiner zahlt

Therapie Ein bekanntes Mittel kann bösartige Tumore offenbar wirksam bekämpfen. Die nötigen Studien will aber niemand finanzieren

Evangelos Michelakis ist Grieche, und obwohl er seit Jahrzehnten in Kanada lebt und beruflich höchst erfolgreich ist­­, muss er jeden um Geld bitten, der möglicherweise etwas hergeben würde. Denn der Professor an der University of Alberta erforscht eine Substanz, die ein ziemlich gutes Krebsmedikament sein könnte. Um zu testen, ob Dichloressigsäure, kurz DCA, verträglich für Patienten ist, ob sie wirklich wirkt, und wenn ja, bei welchen Krebsarten, wären große Studien mit Patienten nötig. Die kosten viel Geld.

Pharma-Unternehmen investieren normalerweise gerne Multimillionen in ein Kandidatenmedikament mit dem Potenzial von DCA. Aber der einfache chemische Name lässt ahnen, was das Problem ist. Dichloressigsäure ist ein längst bekannter Stoff, er wurde schon vor Jahrzehnten als Medikament gegen Stoffwechselstörungen eingesetzt, alle Patente sind abgelaufen, er ist billig herzustellen, niemand hat ein Monopol. DCA verspricht also keine großen Gewinne. Big Pharma ist nicht interessiert, eher im Gegenteil, und Michelakis muss seine Studien über Spenden finanzieren. Gerade erschien in Science Translational Medicine eine Studie von ihm und seinen Mitarbeitern – finanziert fast komplett von Privatleuten und Stiftungen. Nur fünf Patienten konnten teilnehmen – und an der Mitteilung der Uni hängt schon der nächste Spendenaufruf. Immerhin, es ist die erste klinische DCA-Studie, also an Patienten, nicht an Zellen oder Ratten. Solche Phase-I-Studien sollen eigentlich nur testen, ob das Mittel vertragen wird. Es wurde. Mit der Nebenwirkung, dass bei vier der fünf Patienten der Tumor nicht weiter wuchs, bei dreien sogar schrumpfte. Rein statistisch könnte dieses Ergebnis wegen der kleinen Teilnehmerzahl purer Zufall sein. Aber so ein Zufall ist hier eben nicht wahrscheinlich: Alle fünf Patienten hatten Glioblastome in fortgeschrittenem Stadium. Es ist die Art Hirntumor, an der US-Senator Ted Kennedy starb. Eine der aggressivsten Krebserkrankungen. Die durchschnittliche Lebenserwartung nach der Diagnose beträgt etwa ein Jahr. Ist es möglich, dass in diesem billigen und wohl auch verträglichen Stoff ein größeres Potenzial steckt als in all den einst so viel versprechenden Krebsmitteln, die seit dem Beginn des „War on Cancer“ vor vier Jahrzehnten auf den Markt kamen? Alle wirken irgendwie, aber meist nur kurz. Die Sterbestatistik bleibt ernüchternd. Krebspatienten überleben heute kaum länger als vor 40 Jahren, echte Heilung war und bleibt die Ausnahme.

Reaktivierte Selbsttötung

DCA und ein paar andere Substanzen unterscheiden sich grundsätzlich von den klassischen Chemotherapeutika, die schlicht Zellen vergiften, und von Mitteln, die auf genetische Veränderungen spezieller Tumore zielen: Sie nutzen erstens eine universale Eigenschaft bösartiger Tumore aus, die der deutsche Chemie-Nobelpreisträger Otto Warburg schon vor 80 Jahren als wichtigste Schwäche des Krebses interpretierte, nämlich ihren eigentümlichen Stoffwechsel. Fast alle Tumorzellen gewinnen ihre Energie durch Gärung, und nicht, wie gesunde Zellen, durch Atmung in den Mitochondrien. Nur so entgehen sie dem Schicksal, das entarteten Zellen sonst ereilt: die programmierte Selbsttötung. Ex vivo untersuchtes Tumorgewebe von 49 Patienten stellte unter DCA durchweg wieder auf Atmung um. Prompt wurde das Suizidprogramm der Zellen reaktiviert – wohl deshalb wuchsen auch die Tumore der Patienten nicht weiter oder schrumpften sogar. Der zweite Grund, warum Stoffwechselmedikamente wie DCA mehr versprechen könnten als manches teuer erforschte und teuer verkaufte Mittel, sind die Experten. Und zwar jene, die solche Ansätze eben noch mit Spott oder zumindest scharfer Kritik bedachten. Der Amerikaner Robert Weinberg, ein Pionier der auf Genveränderungen zielenden Krebstherapie, machte Warburgs Thesen in seiner Autobiografie lächerlich. Heute berät er ein Unternehmen, das auf Grundlage dieser Thesen Krebsmedikamente entwickelt. Leonard Lichtenfeld von der Amerikanischen Krebsgesellschaft verlangt mehr Forschung auf dem Gebiet. Vor drei Jahren hatte er jene, die öffentlich Hoffnung in DCA setzten, noch als „verachtenswert“ bezeichnet. Und Science erkannte den Krebsstoffwechsel kürzlich als eines von fünf Forschungsgebieten, auf denen in naher Zukunft echte Durchbrüche zu erwarten seien.

Warum Leute wie Michelakis ihre Forschung trotzdem weiter mit privaten Einzelspenden finanzieren müssen, ist schwer nachvollziehbar. Es ginge zwar auch auf dem traditionellen Weg. Längst gibt es Firmen, die ganz neue, im Krebsstoffwechsel wirkende Substanzen suchen. Die wären ja auch patentierbar und lukrativ. Es wird nur sehr lange dauern, bis das erste dieser Mittel die Mühlen der klinischen Forschung erfolgreich durchlaufen hat. Für die meisten der heute Krebskranken, ist das zu spät. Größere Studien mit DCA könnten dagegen schon bald zeigen, ob das Mittel sein Potenzial bestätigt. Nur müssten diese Studien eben auch finanziert werden. Wer dem Griechen in Kanada Geld überweist, kann sich einigermaßen sicher sein, das es gut angelegt ist.

Online-Spendenformular der Universität von Alberta: http://bit.ly/bsHBbb

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