Seine Haare sind zu schwarz für sein Alter, und die Brille ist zu groß für sein Gesicht. Jiang Zemin ist keine Ehrfurcht einflößende Persönlichkeit. Doch trotz seines Mangels an Charisma kann er sich seit Jahren an der Macht halten. Seit 1989 ist er Generalsekretär der Kommunistischen Partei und seit 1993 Staatschef Chinas, beides durch Deng Xiaopings Gnaden.
Die Zweifel an seiner politischen Haltbarkeit nach Dengs Tod 1997 sind längst verstummt, auch wenn er nach wie vor nicht als starker Führer gilt. Unter Jiang Zemin ist es in der chinesischen Führerschaft ruhig geworden, ruhig bis zur Ereignislosigkeit. Stabilität überall und über alles. Dem Mann ohne Eigenschaften wird eine Fähigkeit zugesprochen: geschicktes Taktier
es Taktieren. Die Fraktionen hält er durch eine kluge Personalpolitik in der Balance und durch seine Bereitschaft, die Macht zu teilen. Ohne nennenswerte Basis in der Parteihierarchie und im Militär stand ihm kein anderer Weg offen.So ordentlich, wie Jiang seine Regentschaft gestaltet, so ordentlich plant er seinen Abgang. Er hat angekündigt, auf dem 16. Parteikongress im Jahr 2002 sein Amt als Generalsekretär abzugeben. Sein Rücktritt ist nur die Spitze des Eisbergs: Rund zwei Drittel aller Kader im Zentralkomitee, im Politbüro sowie im Ständigen Ausschuss des Politbüros werden gehen und einer jüngeren Generation Platz machen.Jiang Zemin, der Nachlassverwalter von Deng Xiaoping, der noch im Alter von 90 Jahren hinter den Kulissen die Fäden zog, vertritt die Ansicht, dass hohe Parteikader in Pension gehen sollten, wenn sie das 70. Lebensjahr erreicht haben. Jiang ist 75. Im Jahr 2003 muss er zudem als Staatspräsident zurücktreten. Den Vorsitz in der mächtigen Zentralen Militärkommission will er jedoch behalten - wie vor ihm schon Deng.Der Nachfolger von Jiang Zemin in Partei und Regierung scheint bereits gesetzt: Hu Jintao, Nummer fünf im Ständigen Ausschuss des Politbüros sowie Vize-Präsident und Vize-Vorsitzender der Zentralen Militärkommission. Der 59-jährige Hu ist ein Vertreter der vierten Generation chinesischer Führer.Hu, der aus einfachen Verhältnissen stammt, wurde mit 17 zum Ingenieur-Studium an der Qinghua-Universität in Peking zugelassen. Dort zeichnete er sich nicht nur durch gute Noten, sondern auch durch sein Engagement in politischen Kampagnen aus. Er wurde zum "politischen Berater", eine mit höchstem Prestige behaftete Funktion in der schon damals als Kaderschmiede geltenden Elite-Universität.Zeitgleich mit seinem Studienabschluss 1965 trat er in die Kommunistische Partei ein. Hu blieb als Lehrbeauftragter und Berater an seiner Alma Mater. Er lebte getreu dem damaligen Qinghua-Leitsatz: Sei gehorsam und produktiv. Die Bahnen für seine Karriere waren gestellt, doch ein Jahr später brach die Kulturrevolution aus, und aus dem Sieger wurde vorübergehend ein Verlierer.1968 schickte man als Arbeiter zum Bau eines Wasserkraftwerkes in die nordwestliche Provinz Gansu. Schnell stieg er zum Techniker, zum Büroangestellten und dann zum Vize-Parteisekretär seiner Arbeitseinheit auf. 1980 traf er Song Ping, den Parteisekretär der Provinz Gansu - und Absolventen der Qinghua-Universität.Diese Begegnung brachte die Wende. Mit Song als Mentor ging Hus Karriere steil nach oben: Er wurde Sekretär des nationalen Kommunistischen Jugendverbandes, Parteisekretär der notorisch armen Provinz Guizhou, Parteisekretär im Krisengebiet Tibet (wo er Unabhängigkeitsbewegungen unterdrückte), Präsident der Parteischule (diese Funktion hat er heute noch inne) und 1992 Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros der KP. Er war im Zentrum der Macht - ein Aufstieg fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Als Parteisekretär der Provinz Guizhou - deren Los sich unter Hu nicht merklich verbesserte -, bemerkte er gegenüber der Presse: "Zu viel Lob für einen jungen Parteisekretär führt nur zu seinem schnellen Untergang."Seine Ansichten sind weitgehend unbekannt. Hingegen lassen sich aus seinen Reden - vor allem seit seiner Berufung zum Vize-Präsidenten 1998 - zwei wiederkehrende Themen herausfiltrieren: Nationalismus und Patriotismus. Dass er sich dieser Ismen bedient, ist indes nicht weiter verwunderlich: Die kommunistische Ideologie hat in China ausgedient. Die Partei kann nur noch die vaterländische Karte spielen.Hus patriotische Haltung entspricht der Stimmung im Volk. Das enthält sich ihm gegenüber jeglicher politischen Witze. Andere designierte Nachfolger wie Hua Guofeng oder auch Jiang Zemin erfuhren eine gegenteilige Behandlung. Jiang wird bis heute nicht verschont. Witze kursieren über seine "Shanghai Clique" (auch Hu stammt aus der gleichen Gegend wie Jiang) oder, volkstümlicher, über das Aussehen seiner Frau. Aber wie sollten sich auch bei Hu, der die Profillosigkeit pflegt, Ansätze für einen Witz finden? Nicht einmal sein smartes Äußeres gibt etwas fürs Zwerchfell her.Hus Kronprinzenrolle scheint in der Führerschaft unangefochten, zumal sein Aufstieg noch mit dem Segen Dengs geschah. Cheng Li, Autor des Buches China´s Leaders: The New Generation, preist Hus Intelligenz, sein Persönlichkeit und sein ausgezeichnetes politisches Netzwerk. Das wird er brauchen. Sollte er es tatsächlich an die Spitze schaffen, wird auch ihm nichts anderes übrig bleiben, als Konsens mit seinen Funktionärskollegen zu suchen.Das aber wird für Hu noch schwieriger als für Jiang. Dessen dritte Führer-Generation hat einen relativ homogenen Hintergrund. Ihr Band sind die kommunistische Revolution und der Aufbau der Volksrepublik. Die Nachfolger der vierten Generation, heute 50- bis 60-jährig, sind im System groß geworden. Ihr einschneidendes Erlebnis war die Kulturrevolution.In jener Zeit haben sie gelernt, wie flüchtig Machtverhältnisse sein können. Die Kulturrevolution war ein Erdbeben, das die politische Tektonik der Volksrepublik verschob. Auf den verschiedenen Platten standen sie sich gegenüber, die Fraktionen der Roten Garden: die einen gemäßigter, die anderen ungezügelt in Ideologie und Gewaltbereitschaft.Wenn es eine kollektive Erfahrung dieser vierten Führer-Generation gibt, dann die der Zersplitterung in Fraktionen. Weil ihnen politische Solidarität fehlt, wird sich auch kaum ein Übervater wie Mao oder Deng aus ihrer Mitte erheben können. Schon Jiang ist es nicht gelungen, in die Fußstapfen von Deng zu treten, obwohl er sie gern ausgefüllt hätte.Was Jiang hingegen richtig erkannt hat, war, die realen Probleme des Landes vor interne Machtkämpfe zu stellen - wissend, dass das Volk die Partei am Gelingen der wirtschaftlichen Reformen misst. Diesem Druck wird die nächste Führergeneration noch viel stärker ausgesetzt sein. Hinzu kommt, dass die Regierung immer vielfältigeren Interessen in der Gesellschaft Rechnung tragen muss. Dass sich dieser Pluralismus jedoch in der staatlichen Machtausübung manifestieren wird, ist eher unwahrscheinlich. Chinas Führung spricht vom notwendigen Aufbau einer "sozialistischen Demokratie". Das meint mehr Transparenz und Verantwortlichkeit gegenüber dem Volk, aber nicht die Zulassung einer politischen Opposition. Daran wird auch Hu Jintao, der elitäre Technokrat und stramme Genosse, nicht rütteln. Vielleicht die fünfte Generation.