Als Deutsche habe ich eine spezielle, als Griechenlandfan meine persönliche Sichtweise auf dieses Land. Nun gut, ich habe Griechenland nicht nur für wenige Badetage besucht, sondern für Wochen und Monate. Ich habe dort mein eigenes Essen zubereitet und dementsprechend eingekauft. Nicht in den Touristen-Shops, sondern auf dem Wochenmarkt. Es ist ein weiter Fußmarsch durch die Stadt, auf dem mir Frauen jeden Alters mit Einkaufswagen begegnen. Wenn man nur nach dem Wochenmarkt oder dem für frisches Obst und Gemüse fragt, wird man sofort als Tourist eingestuft und an den nächstbesten Supermarkt verwiesen. Fragt man nach „Laiki“, erhält man als erstes ein Lächeln, bevor der Weg beschrieben oder sogar die Führung dorthin angeboten wird.
Die griechische Gastfreundschaft ist sprichwörtlich; aber erst im direkten Erfahren der ungezählten Kleinigkeiten, Tag für Tag, entsteht ein Mosaik aus Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und dem Bemühen, einem Gast das Dasein so angenehm wir nur möglich zu machen, das ich in Deutschland so noch nie erlebt habe.
Der Wochenmarkt beeindruckt mich jedes Mal wegen der Fülle an frischem Obst und Gemüse – wie auch durch die Preise. Im Gegensatz zu deutschen Wochenmärkten ist – zumindest auf den beiden größten in Rhodos-Stadt – alles wesentlich preiswerter als in Supermärkten wie „Spanos“ oder „Champion“. Das Olivenöl ist teuer, obwohl es doch von der Insel stammt, aber viel mehr kaufe ich in den Supermärkten nicht.
Zehn Euro für eine Woche
Dem heimischen Winter erfolgreich entflohen, weigere ich mich im März, auf dem Wochenmarkt Kohl zu kaufen und nehme stattdessen Salatsorten und Kräuterbündel, bis die Tüte voll ist, lasse mir eine weitere mit Orangen füllen (Kilopreis ein Euro), bekomme eine Zitrone geschenkt (wer kauft schon nur eine Zitrone?) und am nächsten Stand eine Minigurke aus dem Gewächshaus. Beim dritten Besuch des Wochenmarktes begrüßen mich einzelne Händler schon von weitem – selbst, wenn ich bei ihnen nichts gekauft habe. Und auch die Zitrone bekomme ich wieder geschenkt, an einem anderen Stand eine Handvoll Oliven. Von zehn Euro, sagt jemand, kann man hier eine Woche lang kochen.
Die Tüten vom Wochenmarkt sind schwer, ich warte auf den Bus und frage an der Haltestelle die Frauen, ob sie einen Fahrplan für den Stadtbus dabei haben. Haben sie nicht, aber sie werden mir helfen. Wohin ich denn wolle. Ich nenne die große Straße, in der ich eine Haltestelle weiß, unweit meiner Unterkunft, sie nicken, schubsen mich fast in den Bus. Es ist nicht die Linie, die ich kenne, aber ich vertraue den Frauen, die sofort beginnen, auf den Fahrer einzureden. Die Diskussion dauert an, ich schaue aus dem Fenster und verlasse mich darauf, dass ich schon erfahren werde, wo ich aussteigen soll. So kommt es auch und obwohl ich längst weiß, wo ich mich befinde und wie ich auf dem kürzesten Fußweg „nach Hause“ komme, lassen es sich die die Frauen nicht nehmen, extra auszusteigen, den Busfahrer anzuweisen, auf sie zu warten und auf jüngere Leute an der Haltestelle einzureden, damit diese mir den Weg auf Englisch erklären. Es ist einfach unglaublich und passiert mir doch immer wieder.
Nicht zu sehen von faulen Griechen
Noch ist die Saison nicht eröffnet, überall sind die Menschen damit beschäftigt, den Müll der letzten Saison und des Winters beiseite zu räumen, Wände zu verputzen, zu streichen, Zäune zu reparieren, Wege auszubessern. Obwohl ich zu verschiedenen Tageszeiten unterwegs bin, gelingt es mir nicht, den „faulen“ Griechen zu erblicken, der dieser Tage als Schreckgespenst durch einige deutsche Medien geistert. Vielleicht sitzen diese Menschen in den Amtsstuben, eventuell auch in der Regierung. Draußen jedenfalls sehe ich nur die, die immerfort werkeln. In und um die Gaststätten herum vom Chef bis zum letzten kleinen Angestellten, an den Häusern die Handwerker, in den Bergen Sprengkommandos, Arbeiter, LKW-Fahrer, die Stunde um Stunde Felsen brechen und nach Rhodos-Stadt transportieren, um den Hafen zu erweitern – nicht für Griechen, sondern für die Touristen, die in mehrstöckigen Kreuzfahrtschiffen anreisen, die Altstadt verstopfen und kaum einen Cent da lassen, weil sie „all inclusive“ gebucht haben. Währenddessen sitzen die besser ausgebildeten Griechen in den Cafés über Laptops gebeugt oder telefonieren permanent; lassen den Mokka kalt werden oder bestellen gleich Frappé oder Fredo – sie arbeiten draußen, welch ein Glück, beneidenswert! Aber deswegen nicht weniger intensiv. Auch bei den griechischen Männern graben sich Stress und Anstrengung als Falten ins Gesicht.
Immer wieder begegnen mir zwei Dinge: eine Verehrung für deutsche Autos und eine Traurigkeit über die Berichterstattung. Diese Traurigkeit existiert auch bezüglich der eigenen Regierung, doch nur diese Traurigkeit schlägt in den Diskussionen darüber um in Wut. Griechen wollen keine Schulden, sie wollen das, was sie haben, selbst erwirtschaften und selbst bezahlen. Sie leben in großen Familien eine Zusammengehörigkeit, die es in Deutschland eventuell vor hundert Jahren gab. Sie wollen den neuen Kredit nicht. Sie sind stolz – und werden doch nicht unfreundlich, wütend oder aggressiv den Deutschen gegenüber, wie ich es verstehen könnte, wenn sie zum Beispiel das Titelblatt des Focus sehen, auf dem eine griechische Frauenstatue die Hand aufhält. Sie wissen zu unterscheiden – nicht zuletzt deswegen, weil sehr viele von ihnen lange Zeit in Deutschland gelebt und gearbeitet haben.
Ist das uns tatsächlich so fremd?
Was also hat sich verändert? Die Preise sind in den letzten Tagen auf neue Rekorde geklettert, Benzin ist noch teurer als in Deutschland, es gibt Streiks, die die Wut der Griechen über das Unvermögen der Regierung zum Ausdruck bringen – das Unvermögen, ein Land ökonomisch zu leiten, ist den Bewohnern am wenigsten verständlich. Aber ist dies uns Deutschen tatsächlich so fremd? Fragen wir uns das nicht auch nach jeder Wahl, wenn die neue Regierung erschüttert und erschrocken die Bilanzen vorstellt? Kommen Vetternwirtschaft, Korruption, Käuflichkeit von Politikern tatsächlich nur in Griechenland vor? Oder zeigen sie den Deutschen, was schlimmstenfalls passieren könnte – und ängstigen uns deshalb? Und nicht zuletzt: Wem nützt es eigentlich, eine Schneise zu schlagen zwischen Griechen und Deutsche?
Rita König hat mit einem Stipendium ab Anfang März sieben Wochen im Schriftstellerzentrum IWTC Rhodos-Stadt verbracht und an Prosa-Texten gearbeitet. Anschließend machte sie noch einige Wochen Urlaub auf der Insel.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.