Widerstand gegen die Irak-Politik des Präsidenten gab es im US-Kongress bislang kaum. In der vergangenen Woche hat nun einer der prominentesten Senatoren die große Koalition des Schweigens verlassen. Ungewöhnlich offen attackierte Robert C. Byrd, 85 Jahre alt und seit 1958 als Vertreter West Virginias im Senat, seine Kollegen und George W. Bush. Wir dokumentieren Auszüge seiner Rede vom 12. Februar.
Wer einen Krieg erwägt, muss über eine der schrecklichsten menschlichen Erfahrungen nachdenken. An diesem Februartag, an dem die Nation einer kriegerischen Auseinandersetzung entgegen sieht, sollte jeder Amerikaner über die Schrecken eines Krieges nachdenken.
Dieser Senat allerdings schweigt. Es ist schon merkwürdig und bedrückend, dass die meisten Senatoren sich nicht äußern. Es gibt keine Debatte, es gibt keinen Versuch, vor der Nation die Vor- und Nachteile dieses besonderen Krieges darzulegen. Es gibt nichts.
Hier im Senat der Vereinigten Staaten bleiben wir passiv und stumm, paralysiert von unserer eigenen Unsicherheit, offenbar beeindruckt von der Flut der Ereignisse. Nur auf den Kommentarseiten unserer Zeitungen gibt es noch eine substanzielle Diskussion über die Weisheit beziehungsweise Dummheit, in diesen besonderen Krieg zu marschieren.
Hier geht es nicht um eine unbedeutende Angelegenheit. Hier geht es nicht um den Versuch, einen Schurken loszuwerden. Nein. Diese Schlacht, wenn sie denn kommt, repräsentiert einen Wendepunkt in der amerikanischen Außenpolitik und vielleicht sogar in der jüngeren Geschichte dieser Welt.
Diese Nation ist dabei, sich auf einen ersten Test einer revolutionären Doktrin einzulassen, die auf ungewöhnliche Weise und zu einem ungünstigen Zeitpunkt angewendet werden soll. Die Doktrin vorbeugender Kriegführung, diese Idee, dass die Vereinigten Staaten - oder irgendeine andere Nation - das Recht haben, einen Staat anzugreifen, der nicht unmittelbar eine Bedrohung darstellt, aber in der Zukunft bedrohlich sein könnte, ist eine radikale neue Wendung der traditionellen Idee der Selbstverteidigung. Diese Doktrin steht im Gegensatz zum Völkerrecht und zur Charta der Vereinten Nationen. Sie wird nun in einer Zeit des weltweiten Terrorismus getestet, und viele Länder dieser Erde fragen sich, ob sie bald auf unserer oder jemand anderes Hitliste stehen.
Vor kurzem haben sich hochrangige Regierungsvertreter geweigert, Nuklearwaffen von der Tagesordnung zu nehmen, als sie einen möglichen Angriff auf den Irak diskutierten. Was könnte destabilisierender und dümmer sein, als auf diese Weise Unsicherheit zu verbreiten, besonders in einer Welt, in der die Globalisierung dafür gesorgt hat, dass die vitalen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen vieler Nationen so eng miteinander verknüpft sind? Mittlerweile hat es in unseren langjährigen Allianzen erhebliche Brüche gegeben, und über die wahren Absichten der Vereinigten Staaten wird weltweit heftig spekuliert. Anti-Amerikanismus, der auf Misstrauen, falschen Informationen, Verdächtigungen und einer alarmierenden Rhetorik führender US-Politiker beruht, untergräbt die ehemals feste Allianz gegen den globalen Terrorismus, wie sie nach dem 11. September existierte.
Bei uns im Land werden die Menschen ohne irgendwelche detaillierte Informationen vor drohenden terroristischen Anschlägen gewarnt. Familienmitglieder werden zum Militärdienst herangezogen, ohne jeden Hinweis auf die Länge ihres Dienstes und auf die Schrecken, die sie zu erwarten haben. Mittlerweile gibt es Gemeinden, in denen Polizei und Feuerwehr nicht mehr hinreichend vertreten sind. Andere kommunale Dienste sind ebenfalls unterbesetzt. Die Stimmung der Nation ist düster. Die Wirtschaft stagniert. Die Benzinpreise steigen und steigen.
Diese Regierung, seit zwei Jahren im Amt, muss nach ihren Taten beurteilt werden. Ich glaube, dass ihre Bilanz sehr schlecht ausfällt. In zwei Jahren hat die Regierung einen für das kommende Jahrzehnt ursprünglich auf 5,6 Billionen Dollar bezifferten Haushaltsüberschuss in unabsehbare Defizite verwandelt. Die Haushaltspolitik dieser Administration hat die finanzielle Lage unserer Bundesstaaten erheblich verschlechtert und dazu geführt, dass wichtige Programme nicht mehr hinreichend finanziert werden können.
In der Außenpolitik hat diese Administration die geduldige Kunst der Diplomatie in eine reine Droh- und Verleumdungspolitik verwandelt, die Intelligenz und Rücksicht vermissen lässt und auf längere Sicht Folgen haben wird. Wenn die Führer anderer Nationen als Zwerge, wenn andere Länder insgesamt als böse und wenn mächtige europäische Verbündete als irrelevant bezeichnet werden, dann werden solche Rücksichtslosigkeiten für unsere große Nation nichts Gutes bedeuten.
In der kurzen Zeitspanne von nur zwei Jahren hat diese unverantwortliche und arrogante Administration eine langfristig verheerende Politik initiiert. Man kann die Wut und den Schock des Präsidenten nach dem 11. September verstehen. Man kann die Frustration nachvollziehen, die entsteht, wenn man nur einen Schatten, einen amorphen Feind verfolgen und kaum zur Verantwortung ziehen kann. Aber die eigene Frustration und Wut in dieses extrem destabilisierende und gefährliche Debakel der Außenpolitik zu verwandeln, dessen Zeuge die Welt gegenwärtig ist, das ist unentschuldbar für jede Regierung, die so viel Macht hat und die Verantwortung trägt für das Schicksal der größten Supermacht auf diesem Planeten. Offen gesagt, die Erklärungen dieser Administration sind abscheulich und schamlos. Es gibt keine anderen Worte.
Übersetzung aus dem Englischen: Hans Thie
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