Das Erbe der Expos

Stadtverbesserung In Shanghai ist die größte Weltaus­stellung aller Zeiten zu Ende gegangen. Wozu sie gut war, steht auf dem U-Bahn-Plan

Am Beispiel von Expos werden gerne normative Parabeln des „guten Lebens“ illustriert. Die nationalen und thematischen Präsentationen geben Antworten auf allgemeine Fragen nach Identität – danach, was Menschen (geworden) sind und gemacht haben. Seit Brüssel 1958 gehört die „Bilanz für eine menschlichere Welt“ zur Rhetorik von Weltausstellungen. Was heißt das für die gerade zu Ende gegangene Expo von Shanghai?

Die Ambitionen in Chinas größter Metropole waren von vornherein gigantisch. 5,28 Quadratkilometer maß das Ausstellungsareal – so groß wie keiner jemals zuvor. 97 Länder- und Themenpavillons wurden auf dem Gelände errichtet, deren größter und auffälligster der chinesische war. Mit 193 Teilnehmerländern waren fast alle Staaten der Welt vertreten, mit mehr als 70 Millionen Besuchern kamen so viele wie noch nie.

Ist das schon ein Erfolg? Und was bedeutet das, wenn man vermuten darf, dass die Expo ihren ursprünglichen Zweck – die Vermittlung des Fortschritts – nicht mehr erfüllen kann? Was in London und Paris Mitte des 19. Jahrhunderts noch galt, nämlich die Massen mit der Modernität zu konfrontieren, Technik und Fortschritt als Erlebnis zu inszenieren, ist längst obsolet geworden. Heute sind die Rollen vertauscht: Ausstellungen buhlen um Zuschauer, und Städte um Ausstellungen. Sah Walter Benjamin die magische Anziehungskraft der Expos noch in ihrer Eigenschaft als „Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware“, so treten an die Stelle der stolzen Leistungsschau nunmehr die Forderungen der Tourismusindustrie, des Stadtmarketings sowie diverse Infrastrukturbedürfnisse.

Seit jeher dient die Expo ökonomisch aufstrebenden Ländern als Entwicklungsschritt – am augenfälligsten in Osaka 1970, wo Japans fulminanter Durchbruch in die Spitze der Weltwirtschaft bildhaft demonstriert wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich bereits die USA, die kommerziell und kulturell den Anschluss an die „Alte Welt“ suchten, des Mediums Expo bedient. Chicago 1893 stellte zudem eine Art Wendepunkt dar, weil die Weltausstellung im außerhalb gelegenen Jackson Park stattfand. Mit einem Ehrenhof, axial aufeinander bezogenen Gebäuden und Freiräumen wurde hier der Prototyp der City-Beautiful-Bewegung geschaffen: die white city von Chicago, die den ideellen Gegensatz zur black city bildete – jener aufstrebenden Industrie- und Handelsstadt mit ihrer als commercial style verrufenen (Hochhaus-) Architektur. Zugleich nutzte man die Chance, durch die Weltausstellung Flächen zu akquirieren, die nach dem Abriss der Ausstellungsbauten als Parkanlagen und öffentlicher Erholungsraum der Bevölkerung der hochverdichteten Stadt zur Verfügung gestellt wurden.

Die steigenden Investitionen in das Unternehmen Weltausstellung (in Shanghai: 30 Milliarden Euro) führten Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem Umdenken: Das jeweilige Gelände sollte von dauerhaftem Nutzen für die Stadt sein. Vorbildfunktion hatte die Franco-British-Exhibition 1908 in London, deren Ausstellungsbauten anschließend zu Messehallen umgewidmet wurden.

Das Ufer des Huangpu

Im eigentlichen Sinne rentabel zu sein, hat allerdings keine Expo je geschafft. Schon gar nicht die jüngsten Veranstaltungen in Aichi (2005), Hannover (2000) und Lissabon (1998), die die Erwartungen an Publikumsakzeptanz und Wirtschaftlichkeit deutlich verfehlten. Besonders vernünftig ging es bei den Weltausstellungen ohnehin nie zu. Gab es, um nur ein Beispiel zu nennen, etwas Sinnloseres, als einer abendländischen Metropole ein 1.000 Fuß hohes Eisengestell einzupflanzen, wie Gustave Eiffel es 1889 in Paris tat?

Dennoch oder deshalb klammert sich jede veranstaltende Stadt unverdrossen an die Hoffnung, mittels Expo ihre Probleme zu lösen. Denn Großereignisse bieten anscheinend Möglichkeiten, sonst Unerreichbares zu verwirklichen. Sie helfen, Gelder zu mobilisieren, politischen Druck aufzubauen, Zeitvorgaben einzuhalten, Ressourcen zu bündeln und einen – wie auch immer gearteten – Stadtumbau durchzusetzen. „Festivalisierung der Stadtpolitik“ haben die Soziologen Häußermann/Siebel das einmal treffend genannt. Dafür krempelte man Shanghai um, so wie Peking anlässlich der Olympischen Spiele 2008 umgekrempelt wurde. Ohne viel Federlesens wurde ein funktionierendes, unweit des Zentrum gelegenes Industrieareal zum Expo-Gelände bestimmt, die sozialen Kosten nahm man kompromisslos in Kauf – rund 10.000 Familien mussten umziehen.

Auf der anderen Seite hat Shanghai die Expo als Katalysator genutzt. In der Stadt ist der rare öffentliche Raum gestärkt worden, sind Parkanlagen dort entstanden, wo der Bauboom nur den geringsten Platz gelassen hat. Das Ufer des Huangpu zeigt sich begrünt, zeitgenössische und traditionelle chinesische Landschaftsgestaltung verbinden sich auf vorbildliche Weise; der berühmte Bund reüssiert als riesige Flaniermeile mit Bäumen, die bereits Schatten spenden. Das U-Bahn-Netz, von 5 auf 14 Linien erweitert, gilt inzwischen als das längste weltweit. Auch wurden, in China ein Novum, große Industriebauten umgenutzt: Ein ehemaliges Stahlwerk mutierte zur offenen Bühne, drei alte Schiffbauhallen transformierte man zu Veranstaltungsorten. Was also soll man von der Expo 2010 halten? Einerseits gab es auch hier die übliche Sensationshascherei: dreidimensionale, auf Pavillonformat aufgeblasene Tourismusprospekte, penetrantes Firmenmarketing oder kitschige Verbrämungen vorgeblicher nationaler Identitäten. Andererseits mag die Weltausstellung eine Trendwende für China bedeutet haben, indem sie dem breiten Publikum demonstrierte, dass man bestehende Bausubstanz ressourcenschonend weiterverwenden und gleichzeitig etwas von der Identität des Ortes bewahren kann.

Vielleicht wird also das Motto „Better City, better Life“ doch mehr als eine bloße Behauptung sein.

Robert Kaltenbrunner ist Architekt, Stadtplaner und Publizist in Berlin und Bonn

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