Ohne Show geht nichts mehr. Neuerungen in jedem Bereich des täglichen Lebens werden heute grundsätzlich zum Event stilisiert und in der zeitgenössischen Architektur festgehalten. Die dramatische, expressive Überzeichnung aller Formen ist in der internationalen Liga der Stars - ob sie nun Norman Foster, Frank Gehry oder Daniel Liebeskind heißen - das Maß der Dinge. Und die mediale Ökonomie der Aufmerksamkeit entscheidet über Kursgewinne und -verluste. Es gilt, das Spektakuläre zur Ikone und seinen Ort zur weltweiten Attraktion zu machen. Beispielgebend ist der Formenrausch des Guggenheim-Museums in Bilbao (F. Gehry); vorexerziert aber war das bereits mit der kristallinen Pyramide des Louvre (I. M. Pei) oder dem technoiden Centre Pompidu (R. Piano
ano und R. Rogers) in Paris. Nach ähnlichem Strickmuster, wenn auch eine Nummer kleiner, läuft es auch hierzulande: Als neue Pinakothek in München (S. Braunfels), als gläserne Fabrik in Dresden (G. Henn) oder - jüngstes Beispiel - als gläserne Spirale des Deutschen Historischen Museums in Berlin (I. M. Pei).Fraglos ist Architektur, gezielt eingesetzt, in der heutigen Gesellschaft ein wichtiges Medium, sie formt und prägt Orte der (Hoch-)kultur. Reichstag und Sony-Center, das Bundeskanzleramt wie die Scharoun´sche Philharmonie werden mit "Baukultur" assoziiert; übrigens auch die Dresdner Frauenkirche und der Kölner Dom.Indes, den meisten dürfte es schwer fallen, den Begriff Kultur auf die Architektur im gelebten Alltag zu beziehen. Um nur ein Beispiel zu nennen: In den späten fünfziger Jahren wuchsen die Wohnbauprojekte in den USA, in England und in Frankreich in die Höhe. Die Bewohner in öffentlich geförderten Bauten wurden dem Experiment von kostengünstigen modernen Wohnbautürmen unterworfen, in dem es keineswegs jene Fahrstuhlführer, Pförtner und gemeinsamen Einrichtungen gab, die Le Corbusier bei den Entwürfen für seine Cité Radieuse noch als selbstverständlich vorausgesetzt hatte. Die vorgefertigten Bauteile und eine kostspielige Zentralheizung, die die Mieter nicht bezahlen konnten, verursachten Feuchtigkeit, und die Folgen von Konstruktionsfehlern mehrten sich. Die Siedlungen befanden sich weitab vom Stadtzentrum, in den Außenbezirken, und wurden weder durch Läden noch Transportmittel versorgt. Das klassenlose Utopia, von dem die Städtebauer geträumt hatten, hätte eine neue politische Ordnung vorausgesetzt. Und da es sie nicht gab, ersetzte die neue Architektur nur die alten, übervölkerten, aber lebendigen Quartiere der Industriestadt des 19. Jahrhunderts durch eine kalte, entfremdende Umgebung. Auch in Deutschland ist ein Unbehagen mit der gebauten Umwelt aus der Nachkriegszeit, gern als Bauwirtschafts-Funktionalismus tituliert, weit verbreitet. Triste Bürobauten, endlose Vorstädte, gewaltige Straßen, öde Großsiedlungen, karge Grünflächen, trostlose Brücken allerorten. Die Reaktion darauf besteht aber nun keineswegs in einem lautstarken Engagement für die Qualität einer neuen Architektur, sondern in zunehmender Rückwärtsgewandtheit und wachsender Zustimmung für Denkmalschutz und Landschaftsschutz. Deswegen fordert der streitbare Intellektuelle Karl Ganser, spiritus rector und Chef der IBA Emscher Park: "Baukultur muss in dieser Stimmung entgegenhalten, dass es ein Zurück nicht geben kann und jede Art von Rekonstruktion nur eine Täuschung ist. Es kann also nur einen Gestaltungswillen nach vorne geben. Der allerdings muss gesellschaftliche Grundwerte sorgsam respektieren: die Nachhaltigkeit, die Geschichtlichkeit, die Identität, die Regionalität und die Schönheit. Konsequente Folge der Respektierung dieser Grundwerte ist die Verpflichtung zum integrativen Planen und Bauen."Weitaus weniger anspruchsvoll - aber umso erfolgreicher - treten die Neotraditionalisten um den Briten Prinz Charles und den Luxemburger Leon Krier, der italienischen Citta Nuova-Bewegung oder auch der amerikanische New Urbanism auf: Sie alle demonstrieren keinerlei Scheu, ihre Architektur als Glücksversprechen anzupreisen und ein neues Gemeinwesen zu verheißen. Unverdrossen zimmern und verkaufen sie das Bild einer heilen Welt, vorzugsweise als idyllische Vorstadtsiedlungen mit walmbedachten Häusern oder als venezianisch angehauchte Shopping-Mall.Wie in vielen Ideologien und Populismen steckt auch hierin ein Körnchen Wahrheit. Wir reden heute nicht mehr gerne davon, dass das Bauen bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein eine gesellschaftliche Grundlage hatte, nämlich die der Konvention. Was bedeutet, dass Architektur nicht in großer Selbstverständlichkeit von Architekten geschaffen, sondern mit der damals vorhandenen Gesellschaft beredet wurde. Sie sorgte dafür, dass im Neuen das Vorherige wiedererkannt werden konnte, dass das Vertrautsein mit gebauter Form nicht unterbrochen wurde."Gute Architektur" ist unbedingt zu begrüßen - solange sie eine Ziellinie markiert, um das allgemeine Niveau zu heben. Insofern darf sie nicht normativ sein. Wenn Baukultur nur die meinungsbildenden und zahlungskräftigen Eliten bedient, geht sie fehl. Zwar kann die Aufgabe der Architektur nicht darin liegen, gesellschaftlich nicht vorhandene Leitbilder auf formalem Wege zu erzeugen. Aber sie muss sich nach wie vor - und immer wieder neu - mit dem auseinandersetzen, wie sie auf und in die Gesellschaft hinein wirkt. Wenn das "Kulturelle" im Bauen darin liegt, über das unmittelbar Notwendige hinauszugehen (ohne dies zu vernachlässigen), dann ist kein Platz mehr für die Eitelkeiten und Egoismen der Professionen, für bloß einzelfallbezogene Optimierungen. Denn Baukultur ist erstens eine Frage des Bewusstseins, zweitens eine Frage der Qualitätsmaßstäbe aller Beteiligten und drittens davon abhängig, wie groß der Stellenwert der gestalteten Umwelt in der Gesellschaft insgesamt ist. Zentrale Bedeutung kommt dem "Dazwischen" zu, weil die zentralen Herausforderungen heute (fast) immer in Grenzbereichen liegen, irgendwo zwischen den angestammten Disziplinen. Baukultur ist ferner die produktive Auseinandersetzung mit dem, was der modernen Architektur angekreidet wird: Der Verfall von Identitäten, die Zerstörung der Traditionen, der Verlust einer semantisch-semiotischen Kommunikationsfähigkeit und das Ausbleiben des Dialoges mit dem Nutzer. Ausschließlich den Gesetzen der Mode und des Marktes zu folgen: das gehört nicht dazu.
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