Ganz mein Paris

Architektur Politik und Wirtschaft suchen zunehmend die Nähe der großen Namen in der Architektur. Bildregie führen dann allzu oft die Investoren

Man muss gar nicht in die Ferne schweifen, seinen Blick auf den spektakulären CCTV-Turm von Rem Koolhaas in Peking lenken oder auf das brandneue, dynamische Musiktheater von Zaha Hadid in Guangzhou. Eine solche signature architecture gibt es auch hierzulande. Etwa die Autostadt in Wolfsburg. Deren Bauform fungiert als Katalysator, mit dem nicht nur der Status des Ortes erhöht, sondern ein Markenerlebnis erzeugt wird. Die BMW-Welt in München, entworfen von COOP Himmelb(l)au, das ikonografische Zentralgebäude für BMW in Leipzig von Zaha Hadid oder das Mercedesmuseum in Stuttgart von UN Studio sind Exempel, die verdeutlichen, wie Architektur als Medium zur Imagebildung dient. Offenbar haben das Branding und die Architektur über die letzten beiden Jahrzehnte hinweg eine Beziehung entwickelt, in der sie sich gegenseitig befruchten.

Das ist paradox, insofern die gebaute Umwelt ansonsten immer monotoner und austauschbarer wirkt. Was kein Wunder ist: Der Wohnungsbau fußt auf abgesicherten und tendenziell retroaktiven Vorstellungen von Behausung. Im Büro- und Verwaltungsbau, wo immer schnellere Nutzungszyklen die Ansprüche verändern, setzt man auf möglichst viel und flexibel gestaltbare Fläche; und drumherum meist die ewig gleiche Glas- und Stahlhülle. Jeder Immobilienentwickler will für eine anonyme Kundschaft präpariert sein. Das erzeugt viel „graue Masse“ in unseren Städten.

Vorgänger übertrumpfen

Sich davon abzuheben, scheint zur Aufgabe „richtiger Architektur“ geworden zu sein. Ob biomorph oder prismatisch, geschwungen oder schnittig – zeichenhafte Architektur ist dank des Bilbao-Effekts von Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum auf dem Vormarsch. Diese medien- und marktgerechte Architekturplastik löste jenen Impuls aus, der sich nun als Dominoeffekt fortsetzt. Der schwappte erst von Metropole zu Metropole, um sich dann in kleineren Städten zu verlieren, bis nach Herford oder Weil am Rhein. Neben ihrem dreidimensionalen Alltag als Museum, Bibliothek, Bürohaus oder Einkaufszentrum führen diese Bauten eine zweite Existenz als Markenzeichen und Ikonen.

Was das über unsere Gesellschaft aussagt? Dazu ließen sich gewiss stichhaltige Theorien formulieren, gleichwohl geht es nicht bloß um strukturelle Entwicklungen, vielmehr stehen dahinter handelnde Personen. Und die haben nicht nur unmittelbar ökonomische Interessen, auch ein bestimmter Anspruch und Typus von Politik mischt bei dem Spiel munter mit.

So ist bekannt, dass in Paris, nicht erst seit Mitterrand, eine Architektur der großen Gesten und Namen zelebriert wird. Louvre-Umbau (I.M. Pei), Institut du Monde Arabe (Jean Nouvel) oder Bibliothèque National de France (Dominique Perrault) sprechen eine deutliche Sprache. Letztlich geht das ganze Büroviertel La Défense mit seiner Grande Arche auf präsidiale Weichenstellungen zurück.

Vom Musée d‘Orsay bis zum Musée National des Techniques, von La Villette bis zur Cité de la Musique: Nicht umsonst werden diese Unternehmungen Staatsgroßprojekte genannt. Nun soll aus Paris die Weltmetropole „Grand Paris“ werden, und kein anderer als Nicolas Sarkozy engagiert sich dafür. Seine Vision ist auf Übertrumpfung des Amtsvorgängers angelegt, der sich mit Aplomb in die Architekturgeschichte von Paris eingeschrieben hat. Unlängst ließ Sarkozy eine prominent besetzte, internationale Ideenwerkstatt abhalten. Dabei geht es um nichts Geringeres als den Umbau der gesamten Zentralregion – die, so Sarkozy, „größte Herausforderung der Politik des 21. Jahrhunderts“.

Freilich gibt es auch andernorts solche Tendenzen, nur verschämter. Dass Architektur und Politik einander – mal misstrauisch, mal euphorisch – umgarnen, ist immer häufiger zu beobachten. Architektur scheint mitunter Treibstoff und Transmissionsriemen in einem zu sein, um gesellschaftliche Prozesse zu befördern. Leider geht es ihr wie den übrigen Künsten: anything goes ist die Folge von everything was. Klar ist lediglich, dass zwar Geld knapp und öffentliche Bauaufträge rar geworden, die Selbstdarstellungsbedürfnisse oder wenigstens die Abhängigkeiten von medialer Zuwendung aber gewachsen sind.

Letzteres dürfte heute das entscheidende Stichwort sein. Bei allen relevanten Architektur- und Städtebauprojekten führen heutzutage Investoren die Bildregie, in einem wie auch immer gearteten Verbund mit der Politik. Sie setzen auf eine Form des Brandings, die den Kontext unberücksichtigt lässt. Und sie benötigen Stararchitekten, um eben dieses Defizit auszugleichen. Darüber hinaus gibt es bei Politikern, gleich welcher Couleur, eine Anfälligkeit für die big names der Szene. Dergleichen vollzieht sich zwar nicht verstohlen, wird aber selten thematisiert.

Umgebung missachten

Dabei genießt kaum ein künstlerischer Beruf so hohes Ansehen wie der des Architekten. In Anbetracht der Wirtschaftslage nimmt es nicht Wunder, wenn sie nach jedem Auftrag greifen, sich den ökonomischen Mechanismen des Systems stellen. Wer viel Wirbel macht, bekommt viel Aufmerksamkeit, avanciert womöglich zum Star. Um große Aufträge zu ergattern, treten Architekten mit ausufernden und abstrusen Entwürfen an die Öffentlichkeit. Da die Politiker davon in der Regel eher weniger verstehen, intuitiv jedoch das Spektakuläre, Aufsehenerregende und die damit einhergehende Publizität erfassen, stellen sie sich gern vor solche Modelle.

Ähnlich verhält es sich mit Vorständen von Banken und Wirtschaftsunternehmen. Auch sie scheinen bereitwillig an die Selbstzuschreibungen der Baumeister – als Schöpfer, genialer Interpret, unbestechlicher Tatmensch – zu glauben. Politiker wie Konzernlenker entwickeln eine Affinität für den namhaften Architekten, weil sie damit eine „mutige“ Entscheidung treffen können, die keine harten Einschnitte bei ihrer Klientel bedeutet. Hier werden nicht Staatstheater geschlossen oder Arbeitsplätze wegrationalisiert. Hier wird vielmehr dinglich – und hoffentlich ästhetisch – ein Projekt hergestellt. Eine Entscheidung, die, so gesehen, wenig kostet und kein Risiko birgt. Voraussetzung ist nur, dass die Kür eines bestimmten Entwurfs und ihres Architekten von Entschlussfreude zeugt, tatkräftig wirkt und ein mediales Echo erwarten lässt.

Für das Spektakuläre müssen die Architekten sorgen. Der amerikanische Großmeister Philip Johnson hat einmal freimütig eingeräumt: „Ich würde auch für den Teufel persönlich bauen. Wer mich beauftragt, kauft mich. Ich bin käuflich. Ich bin eine Hure. Ich bin ein Künstler.“ Die Architekten als Handlanger ihrer jeweiligen (Bau)Herren?

Damit ist letztlich die Frage nach ihrer kulturellen Bedeutung aufgeworfen. Tatsächlich ist diese Rolle ziemlich unbestimmt. Nicht umsonst wurde die Architektur vom Kammergericht Berlin im Jahre 1912 als „ein Gewerbe betrachtet, ohne dass dabei an eine hohe baukünstlerische Vorbildung oder eine besondere künstlerische Befähigung gedacht wird.“ Ist der Architekt nicht, schon von Berufs wegen, zu stark dem Positivismus verpflichtet, den harten Fakten und der „guten Lösung“, um kulturelle und gesellschaftsbeeinflussende Impulse zu produzieren?

Keineswegs, meinte Le Corbusier: „Die Kunst unserer Zeit ist am richtigen Platz, wenn sie sich an die Elite wendet.“ Nun, wer wollte nicht die zahlungskräftigen und meinungsbildenden Eliten bedienen, sich in ihren Kreisen bewegen? Gleichwohl ist es gefährlich, sich vom Anspruch zu verabschieden, mit einer „besseren“ Architektur auf eine „bessere“ Gesellschaft hinzuarbeiten. Die Avantgarde der zwanziger Jahre gab hierzu die größten Impulse. Es war ihre epochale Leistung, Modelle zu entwickeln, in denen der Anspruch auf eine Demokratisierung des Ästhetischen am Leben mehr ist als der bloße Reflex ökonomischer Interessen. Gerade die fortschrittlichen Architekten wollten damals die Welt, so wie sie ist, zunächst ungeschminkt zur Kenntnis nehmen, sich auf sie einlassen, um sie letztlich zu verändern.

Davon hat sich bis heute wenig bewahrt. Wir sind von einem Artenreichtum der Stile und Formen umgeben, der ausschließlich den Gesetzen der Mode folgt: heute in, morgen out. Von sinnstiftender Ganzheit durch gelungene Architektur kann die Rede nicht mehr sein. Die Wirklichkeit wird in eine Zeichenwelt umgearbeitet, was den Ansprüchen von Politikern und Architekten gerecht zu werden scheint.

Da nützt es wenig – wie es die Kultursoziologen Lucius Burckhardt und Walter Förderer bereits vor geraumer Zeit taten –, darauf hinzuweisen, „dass die gewohnten Entscheidungen des Architekten auf scharfen Reduktionen des Problems beruhen. Indem er das vom Politiker schon isolierte Thema noch auf eine Lösung hin verengt, verliert er große Teile der wirklichen Zusammenhänge aus dem Gesichtsfeld.“ Vereinfachung in Verbindung mit bildhafter Überhöhung – davon lebt Politik als mediales Verfahren. Schön soll’s sein, beeindruckend und groß natürlich. Mit Kleinoden lässt sich kein Staat machen.

Robert Kaltenbrunner ist beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung tätig

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