Gespenster an der Wiege

SPD-Arbeitnehmerkongress Zwischen Kritik und Parteidisziplin

Eine linke "Wahlalternative.de", seit Anfang des Monats angedroht von Gewerkschaftern, ATTAC-Aktiven und anderen, war bei den Beratungen des Bundeskongresses der SPD-Arbeitnehmerschaft in Erfurt allgegenwärtig. Die da ein Wochenende lang ihren Vorstand wieder wählten und Anträge berieten, waren selbst zumeist Gewerkschafter. Dennoch: Die Idee einer neuen Linkspartei stieß auf breite Ablehnung. Da waren sich Basis und Parteivordere einig. Aber die auffällige Ausdrücklichkeit, mit der eine Vielzahl der Redner den Gedanken ablehnte, machte die Kalamität deutlich: Tausende Parteiaustritte landesweit und trübe Wahlprognosen auf der einen, innerparteiliche Ohnmacht gegenüber der Politik der Parteispitze auf der anderen Seite. Der geschichtsträchtige Kaisersaal, einst Wiege des Erfurter Programms von 1891, als Tagungsort half wenig.

Wenn Prominenz auftrat, kam Leben ins historische Gemäuer. Friedhelm Hengsbach hatte mit seinem Vortrag am Freitagabend den Reigen kritischer Betrachtung unsolidarischer und unsozialer Politik der SPD-geführten Bundesregierung eröffnet. Er hinterließ Franz Müntefering keine leichte Aufgabe, er musste am Tag darauf die Unzufriedenheit im Saal beschwichtigen. Der designierte Vorsitzende zeigte unmissverständlich, was er unter Parteiführung versteht. Doch sein demagogischer Exkurs über unabwendbare Zwänge von Globalisierung, Europäisierung und demographischer Entwicklung bis hin zu Staatsverschuldung und Schwarzarbeit verfehlte die Herzen und Köpfe seiner Zuhörer. Unruhe und empörte Zwischenrufe begleiteten seine Ausführungen. Da half dann nur noch Arroganz. "Ja, nun reg´ Dich mal nicht auf!" war noch das Mildeste, womit er die eigenen Leute vor den Kopf stieß. Seine These von der angeblichen Alternativlosigkeit des gegenwärtigen Kurses und deren Begründungen hatten eine Essenz: "Wir werden die Agenda 2010 weiterführen." Die Aufforderung "Wählt mich!" hörten einige Delegierte nicht mehr. Mit der Frage "Wer hat uns denn den geschickt?" hatten sie sich in die Cafeteria verabschiedet.

Im Saal diskutierten die Delegierten. Über Münteferings "soziale Gerechtigkeit auf hohem Niveau" konnte man nur noch grimmig lachen und sein Weiterso wollten viele nicht akzeptieren: "Politik ist nicht alternativlos!", "Ich bin in der falschen Partei" und "die Genossen im Vorstand sind so weit weg von den Menschen", "Willensbildung erfolgt von unten nach oben". So oder ähnlich widersprachen sie der selbstzufriedenen Sturheit des verschlossen zuhörenden Müntefering. Wenn "ein Edmund Stoiber sich links von der SPD wiederfindet", meinten einige der Delegierten, "wollen wir unsere SPD wieder haben!". Auch die bildhafte Mahnung eines Thüringers, dass den Wählern die SPD nicht schmackhaft zu machen sei, weil diese im Unterschied zur CDU "nur ein Bein amputiere", prallte am nordrhein-westfälischen Parteimeister, der offenbar nur vorgehabt hatte, Kritiker auf Linie zu bringen, ab ...

Kräftiges Buhen, kritische Zwischenrufe und hitzige Erwiderungen begegneten am Sonntag auch dem ehemals zum Super-Minister stilisierten Wolfgang Clement. Seine Rechtfertigungen der gegenwärtigen Politik als "notwendige Reformen" und das bedingungslose Festhalten am SPD-Kurs gegen jede "Rolle rückwärts" stießen auf das gleiche Unverständnis und die Gegenargumentationen des Vortags. Bei beiden Rednern hatte zumindest der ostdeutsche Zuhörer immer das Gefühl, gleich kommt der wohlbekannte, alles klärende und entscheidende Satz: "Was die Partei beschließt, wird sein!"

Und immer wieder waren in eher trägen Antragsberatungen ebenso wie in hitzigen Debatten jene reflexartigen Äußerungen zur angestrebten linken Wahlalternative zu hören. Der sonst gescholtene Müntefering erhielt Beifall für seine Ankündigung, jeder sozialdemokratische Initiator "scheidet aus der SPD aus". Die Gefahr der Spaltung machte Angst.

Das Dilemma der SPD aber brach sich in allen Äußerungen ausdrücklich oder stillschweigend Bahn. Der künftig höchste Funktionär war zwar der Meinung, "Opposition können die Anderen machen", doch Mitglieder verweigerten scharenweise die Genossenschaft. Die nächsten Wahlen versprechen ein Debakel. Aber mehr als Herrschaftswechsel Richtung CDU ohne Politikwechsel und ein Aufstocken des Nichtwählerpotenzials ist wohl nicht zu erwarten.

Die Antwort der SPD-Führung ist Selbstgefälligkeit: "nur die SPD steht für soziale Gerechtigkeit". Dass Mitglieder wie Wähler davon kaum etwas merken, spricht nicht unbedingt gegen diese beiden Gruppen. Die hinlänglich bekannte Aussichtslosigkeit, Parteien von innen zu erneuern, betrifft allerdings auch nicht nur die alte Tante SPD, das etwas linkere Pendent PDS hat auf diesem Gebiet auch genügend Probleme. Dennoch: Von einer Partei daneben versprechen sich die Wähler auch nichts mehr. Der Irrglaube von der Zukunftsträchtigkeit einer inzwischen parteizentrierten Politik, die das Wohl der Partei selbst zum wichtigsten Programmpunkt erhoben hat, ist mehr als ein Vermittlungsproblem. Antworten auf die Fragen der Zeit liegen aber nicht in der Selbstsucht der Parteien, sondern in deren Orientierung an gesellschaftlichen Entwicklungen und auf sie reagierenden sozialen Bewegungen. Parteiegoistische Selbstreinigungen und sektiererische Neugründungen jedenfalls bringen nichts, jedenfalls nicht den Menschen, die zu Recht Demokratie mit sozialer Gerechtigkeit identifizieren.


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