Es kommt drauf an, was man draus macht

Brotjob Anmerkungen zur "digitalen Bohème" von Sascha Lobo und Holm Friebe

La bohème, la bohème
Ça voulait dire tu es jolie
La bohème, la bohème
Et nous avions tous du génie
(Charles Aznavour)

Die letzte Diskurs-Sau, die kurz vor Wintereinbruch noch schnell durch die Berliner Kastanienallee getrieben wurde, hörte auf den Namen "digitale Bohème". Das sei, war dort zu hören, im neuen Buch von Sascha Lobo und Holm Friebe jetzt der Name für Leute wie "uns". So ein schönes, einschließendes "wir" passt gerade recht, wenn´s draußen kalt wird. Man ist dann empfänglicher. Und so kommt es, ließe sich in Althusser´scher Telefonmetaphorik weiterführen, dass sich das Subjekt im Café jetzt anrufen lässt vom Heyne-Verlag, auf dass es sich wieder erkenne in der Bewegung derer "ohne". Was nicht mehr im französischen Sinne von sans zu verstehen ist, also nicht ohne Papiere, ohne Wohnung und ohne Arbeit, sondern eher meint, ohne Boss, ohne Kabel am Mac und ohne Stock im Kreuz.

Es gilt an dieser Stelle womöglich ein allzu schnelles Urteil zu unterbinden: Wir nennen es Arbeit ist kein Bobo-Pamphlet, das Kulturproduzenten souverän übergehen können. Die Auseinandersetzung mit den Thesen von Lobo und Friebe, übrigens zwei bloggende Post-Dotcom-Bricoleure Anfang dreißig, lohnt nicht zuletzt deshalb, weil ein Akteur skizziert wird, der so fremd nicht ist: kulturbesessen, diplomiert, staatsfern, ohne große Lust auf das Joch des Normalarbeitsverhältnisses, diskontinuierlich alimentiert von digitaler Medienproduktion im weitesten Sinne. "Sobald ... die Tinte unter dem Festanstellungsvertrag getrocknet ist, beginnt ein schleichender Prozess der strukturellen Verblödung". Bravo! Gelingt es den beiden Autoren mithin, nicht mehr nur "über" zu sprechen, sondern Lebenswirklichkeiten und Sehnsüchte junger Kulturproduzenten in ihrem Buch zusammenzuführen? Das leider nicht.

Lobo und Friebe sind nicht die ersten, die sich an einem Innenblick auf ihr Milieu versuchen, in der Literatur etwa haben Kathrin Röggla, Bernd Cailloux und andere längst damit begonnen, die Frage nach der autonomen Lebensführung heute zu stellen. Die Volte der digitalen Bohème liegt jedoch darin, die postpolitische Kreativbiografie kurzerhand zum Prototypen des persönlich erfüllenden und ökonomisch rentablen guten Lebens zu stilisieren. Gleichsam als der deformierte Wiedergänger einer "Kunst des Handeln" wird in Wir nennen es Arbeit argumentiert, das Leben in der digitalen Bohème erlaube nicht nur, um den faden Arbeitsalltag herum gekonnt einen Haken zu schlagen, sondern davon auch noch ganz gut leben zu können.

Als Beweis führen die beiden Autoren zahlreiche künstlerisch-kreative Mikroökonomien an, in denen angeblich so gearbeitet wird, wie man leben will. Im Grenzfall könne man Brotjobs annehmen oder taktische Allianzen mit der Industrie eingehen. Das liest sich dann so: "Wie bei Beton, so gilt auch für die Zusammenarbeit mit Konzernen: Es kommt darauf an, was man daraus macht".

Wir halten fest: Im digitalen Bohemien taucht jene Avantgardefigur wieder auf, die, souverän mit den Mächten spielend, hier und dort was herausschlägt, um es ins Eigene umzulenken. Nur ist es diesmal ein kreatives Massenexperiment: Selbständigkeit als Subversion.

Wie es sich damit lebt? Der Alltag von Lobo und Friebe, steht zu vermuten, ist durchzogen von Respektbekundungen und Freundschaftsdiensten unter Lebenskünstlern. In ihm ist das protestantisch-kapitalistische Dogma, nach dem jeder seines Glückes Schmied ist, glücklich vereint mit der rheinischen Ökonomie des wechselseitigen Händewaschens. Der natürliche Feind ist ihnen das kleinbürgerlich-linke Dreigestirn aus Planstelle, Ruhe und Ordnung, dessen Destruktion die Autoren en passant erledigen und dabei mutig lauter offene Türen eintreten. Doch wie weit reicht der antibürgerliche Impuls einer solchen Avantgarde, die, nach eigenem Urteil, keine politische mehr sein will?

Wer unterstützt von großen Publikumsverlagen und Feuilletons, Milieu-Manifeste lanciert, sollte sich sicher sein, dabei nicht unter der Hand zum Hansel einer neoliberalen Vergesellschaftungsform zu werden, die im anarchischen Kreativunternehmer längst ihr role model gefunden hat. Der Begriff der "digitalen Bohème" geht wohl auch deshalb fehl, weil der Bohemien in Zeiten strenger Fabrikdisziplin ein gesellschaftlicher Antitypus war, was wir von "uns" nun wirklich nicht mehr behaupten können. Längst wird nicht mehr nur von Oberschicht und Künstlern verlangt, Subjektivität und Wissen in den Arbeitsprozess einzubringen, kreativ produktiv zu sein, für sich selbst zu sorgen. Lobo und Friebe erwischen von diesem Prozess immer nur das glückliche Ende. Das ist schade, denn in der konservativen Linken erscheint oft nur die andere Seite und noch dazu im Modus der Nostalgie.

Gerade ein "Milieu-Manifest" hätte sich mit der Überlagerung von Selbstverwirklichung, Selbstausbeutung, Selbstzweifel auseinanderzusetzen, und könnte das wohl auch. Dazu allerdings müssten nicht die neuen Produktionstechnologien im Vordergrund stehen, sondern die Arten und Weisen einer gebrochenen Subjektbildung. Es wäre dann sicherlich auch von Prekarität zu reden - von den etwas Älteren, die vom Jahresdurchschnittsverdienst der KSK-Versicherten von knapp 11.000 Euro leben, und von den Jüngeren, die vom massiven Transfervolumen einer relativ wohlhabenden Elterngeneration im Ruhestand abhängig sind.

Was der Begriff der digitalen Bohème abblendet, ist glücklicherweise andernorts zum Thema geworden: in den künstlerischen und theoretischen Arbeiten der Gruppe "kleines postfordistisches Drama" (kpD) zum Beispiel: Ihre Videointerviews von 2004 zeigen, dass der Riss mitten durch die Gruppe der Kulturproduzenten hindurch geht. Zum fragilen Gut wird Solidarität spätestens dann, wenn´s eng wird. Denn Geld ist gerade in der Kunst- und Theorieproduktion äußerst ungleich verteilt und wird es bleiben, solange von den Protagonisten prometheische Mythen vom Unternehmenskünstler fortgeschrieben werden.

Die Stilisierung eines coolen Lebens in der digitalen Bohème nervt, weil sie gesellschaftliche Allianzen verbaut, die der Kampf für ein "gutes Leben" dringend benötigt. So richtig Lobos und Friebes Idee ist, dass im Postfordismus die Voraussetzungen gegeben sein könnten, um die ewige Alternative von Lohnarbeit oder Prekarisierung zu durchkreuzen, so richtig bleibt, dass sich derlei schlecht in der künstlerischen Ich-AG herbeibloggen lässt.

Statt einmal mehr den von Freud analysierten "Narzissmus der kleinen Differenz" zu kultivieren, wäre Schwäche zu zeigen. Eine selbstbewusste Schwäche, die sich vor politischen Bündnissen nicht scheut. Impulse dafür könnten die Euro-Mayday-Initiativen geben, die ihren Anhängern mit "St. Precario" den Schutzheiligen gleich mitliefern. Oder, vielleicht näher am Kunstbetrieb, die Bündnisse französischer Kulturarbeiter/innen, die 2003 den Schulterschluss mit Initiativen von Prekarisierten gesucht hatten, um sich für Erhalt und Ausweitung des Entschädigungsmodells bei diskontinuierlicher Arbeit ("statut d´intermittent") einzusetzen. Intermittence, mon amour titelte damals die interdisziplinäre Theater- und Kunstzeitschrift mouvements und forderte dazu auf, sich offensiv in die Diskussion um eine würdige Grundsicherung einzumischen. Nicht nur, aber auch für Kulturproduzenten ohne Frage die angstfreiere Option.

Die digitale Bohème und das gute Leben? Jetzt im Winter, wenn sich kein Schwein mehr in der Kastanienallee blicken lässt, lebt es sich besser, wenn man sich nichts vormacht. Genau die richtige Jahreszeit, um sich am schwierigen Handwerk der Autodemontage zu versuchen. Falls zwischendurch der Heyne-Verlag anruft: einfach klingeln lassen.

Roman Schmidt, geboren 1980, studierte im Hauptquartier der digitalen Bohème an der Universität der Künste, Berlin. Er schreibt antizyklisch an einer Diplomarbeit über internationale Zeitschriften.


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