Mittlerweile ist der Einfluss des Hongkong-Films in Hollywood nicht mehr zu übersehen. Nicht nur, dass sich amerikanische Regisseure bei der fernöstlichen Choreographie von Action- und Gewaltsequenzen bedienen, - es machen auch Stars des Hongkong-Films in Hollywood Karriere: etwa der Schauspieler Chow Yun Fat oder John Woo, der mit M:I-2 schon seinen sechsten Film in Amerika gedreht hat. Fragt man nach den Voraussetzungen und historischen Referenzen, stößt man auf einen komplex gelagerten filmischen Kulturtransport. Eine zentrale Position nimmt dabei der Italowestern der sechziger und frühen siebziger Jahre ein. Diese europäische Variante eines uramerikanischen Genres ist wiederum ohne das asiatische Kino undenkbar. Denn Sergio Leone hat von Akira Kurosawas Sa
Kurosawas Samuraifilmen mindestens ebenso viel gelernt wie John Woo später von Leone und Sergio Corbucci. Die Italowestern befördern einen neuen europäisch-asiatisch Heldentypus nach Amerika - besonders prägnant mit SoleilRouge (»Rivalen unter roter Sonne«) von 1971, in dem Toshiro Mifune explizit als Samurai im Wilden Westen auftritt. Von nun an ist auch der amerikanische Western nicht mehr derselbe. In den Filmen von Peckinpah, Siegel oder Penn waltet eine Coolness, die die moralischen Epen im Stile John Fords nicht gekannt hatten. Der Vietnamkrieg sabotierte das Ideal des patriotischen Soldaten und vermittelte zugleich das Bild eines brutalen und psychologisch unergründlichen asiatischen Kriegers. Unter diesen Bedingungen brach der Geschichtsmythos des gerechten Frontierkampfes, in dessen Geist der amerikanische Western angetreten war, in sich zusammen.Nachdem am 27. August 1964 in einem heruntergekommenen Vorstadtkino in Florenz Per un pugno di Dollari (»Für eine Handvoll Dollar«) uraufgeführt wurde, bewerteten die Cahiers du Cinema dieses Datum nicht nur als die Geburtsstunde des Italowesterns, sondern auch als Todesstunde des amerikanischen Traums. Diesem Umstand trägt ein jüngst vom Bochumer Studienkreis Film herausgegebener Sammelband Rechnung. Im Anschluss an einen wegweisenden Vortrag von Hans-Christoph Blumenberg aus dem Jahre 1969 liefern Georg Seeßlen, Lars Henrik Gass, Drehli Robnik und andere Autoren präzise Filmanalysen und geben der polemischen Einschätzung in den Cahiers nachträglich Recht.Während der amerikanische Western bis in die sechziger Jahre weitgehend im Dienste einer nationalen Mythenbildung steht, die sich um die nachträgliche Verklärung der gewaltsamen Landnahme im Westen bemüht, richtet der Italowestern ein »moralisches Chaos« (Blumenberg) an. Während also Gary Cooper in High Noon (»Zwölf Uhr Mittags«) als braver Sheriff Will Kane für Recht und Gesetz eintritt, indem er sich aufopferungsbereit den Gesetzlosen entgegenstellt, sind die Grenzen zwischen Gut und Böse im Italowestern gründlich verwischt. Kein Film zeigt dies so deutlich wie Sergio Corbuccis Il grande silenzio (»Leichen pflastern seinen Weg«). Der moralische Wert der Gesetzestreue wird konsequent ad absurdum geführt, denn obwohl ständig und mit großer Brutalität getötet wird, geschieht im ganzen Film kein einziger Mord. Geschossen wird grundsätzlich nur auf steckbrieflich Gesuchte oder aus Notwehr. Wenn Klaus Kinski, alias Loco, zum Ende des Films ein Blutbad im Saloon anrichtet, indem er mehrere an die Bar gefesselte wehrlose Farmer einfach exekutiert, ist er durch den Steckbrief, der diese Leute für vogelfrei erklärt, rechtlich legitimiert - Loco verdient seinen Lebensunterhalt als Kopfgeldjäger. High Noon entlohnt den moralischen Mehrwert Will Kanes lediglich mit der Liebe einer Frau. Il grande silenzio ist da präziser: eine Prämie für jeden Kopf. Das Recht geht in der Rechnung auf, die Moral wird ausgezählt.Dieses Moment der Quantifizierbarkeit produziert eine Abstraktion, die sich auch auf ästhetischer und formaler Ebene niederschlägt und die Linearität des amerikanischen Westerns durchbricht: der Epik John Fords, der die Weite der Landschaft monumental ins Bild setzt, begegnen Corbucci und Leone durch extreme Close-Ups. Über die ganze Breite einer Cinemascope-Leinwand ist nunmehr lediglich ein einziges Augenpaar zu sehen.Die Häufigkeit, mit der körperliche Verstümmelungen in Szene gesetzt werden, entspricht dem dominanten Einsatz des Zooms, der eine Verstümmelung des Bildes und eine Herauslösung von Gegenständen und Bewegungen aus der Szenerie produziert. Der Blick der Kamera fungiert dann analog der Mündung jenes Revolvers, mit dem der von Woody Strode gespielte namenlose Killer in der berühmten Eingangssequenz von C'era unavolta il west eine lästige Fliege einfängt. Gefangen im Lauf des Revolvers ist sie aus dem Bild geschnitten und als Summen auf die Tonspur verbannt. Dementsprechend funktioniert der Soundtrack Ennio Morricones, der - mit Michel Chion gesprochen - akusmatische Töne in die Musik integriert, also Geräusche und Stimmen, deren Quellen im Bild nicht auszumachen sind. Morricones Geräuschmusik unterläuft das Feld des Sichtbaren und verweist als »Staubkorn im Auge« auf die Wüste als dem Topos einer endgültigen Verwischung von Kontur, Sinn und moralisierender Narration. Morton, der Eisenbahnunternehmer in C'era una volta il west, träumt vom Pazifischen Ozean, seine Bahnstrecke ist allerdings inmitten der Wüste Nevadas steckengeblieben. Bevor er in einer kleinen Pfütze stirbt, hört er aus dem Off die Brandung der See. »Wo sich Musik und Aktion im Kreis drehen, verläuft der Zeitpfeil von Fortschritt, Landgewinnung und Durchstaatlichung im Sand.« (Drehli Robnik) Der Fokus dieser Bewegung ist das im Sand versickernde Trinkwasser in Il buono, il brutto, il cattivo (»Zwei glorreiche Halunken«) und in Il grandesilenzio das brechende Eis, das den Sheriff verschluckt und Loco eine Kugel erspart. Dem entsprechen die stereotypen Physiognomien der Helden, gleichgültig ob sie von Clint Eastwood, Franco Nero oder Jean-Luis Trintignant verkörpert werden. Ihre Augen bilden blaue Seen in der Wüste sonnengegerbter Gesichter. Hinter diesen Masken gibt es entweder heißen Sand oder eisiges Wasser. Sie signalisieren eine Coolness, die Sergio Leone den Samuraifilmen Kurosawas abgeschaut hat: Eastwoods Zigarrenstummel löst Toshiro Mifunes obligatorischen Zahnstocher ab.In Django sieht sich der Protagonist einer deutlichen Übermacht von maskierten Ku Klux Klan-Anhängern gegenüber. »Wie in einem Videospiel« (Lars Henrik Gass) durchlöchert er sie mit einem Maschinengewehr, das er in einem Sarg aufbewahrt. Später wird er denselben Sarg mit Golddollars füllen. Nicht nur die Filmtitel von Sergio Leones Dollar-Trilogie zeigen, dass die Motivation im Italowestern quantifizierbar geworden ist. Während amerikanische Filmcowboys für Recht und Gesetz kämpfen, wird hier nur noch gerechnet.Der Vietnamkrieg kann als erste historische Zäsur in diesem filmischen Kulturtransport gelten. Die Möglichkeit der digitalen Bilderstellung durch die von George Lucas gegründete Produktionsfirma Industrial Light Magic ist die zweite. Denn mit ILM hat auch der Hollywoodfilm das Rechnen gelernt, wie nicht zuletzt das computergenerierte Szenario von Matrix beweist: die »Realität« der Bilder, die hier aus Einsen und Nullen zusammengesetzt sind und als Code über den Computerbildschirm rauschen, zeugt von jenem Staubkorn im Auge, das der amerikanische Film von den Abstraktionstechniken der sechziger Jahre zurückbehalten hat. Sie zeugt zugleich vom Rücktransport einer beinahe vergessenen Filmästhetik. Die Wüste des Italowesterns geht auf in der Rechenwüste unserer virtuellen amerikanischen Film oberflächen.Studienkreis Film (Hg.): Um sie weht der Hauch des Todes. Der Italowestern - die Geschichte eines Genres. Essays, Interviews und Register. Bochum, 1999, 144 S.Stefan Hammond / Mike Wilkins: Sex und Zen und eineKugel in den Kopf. Der Hongkong-Film. München, 1999, 352 S.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.