Zeitgeschichte Der DDR-Theaterverband beklagt ein Defizit an Gegenwartsdramatik. Es werden kaum noch neue Stücke gespielt. Diesen Zustand will ein „Theater der Autoren“ beenden
Von besonderem Gewicht für die Erhöhung der Wirksamkeit des Theaters ist die Arbeit mit dem Nachwuchs. Auch hier bleibt als zukünftige Aufgabe, Initiativen junger Künstler in den Theatern und zwischen ihnen zu entwickeln“, resümierte einst Klaus Pfützner, Erster Sekretär des Verbandes der DDR-Theaterschaffenden. Viele Wortmeldungen zu dessen V. Kongress stießen vor drei Jahrzehnten in das gleiche Horn. Es fehlten neue, gegenwartsbezogene Stoffe für die Bühnen der DDR. Die Theater lieferten Neuinterpretationen des klassischen Repertoires, junge Autoren jedoch kamen nicht zum Zug.
Tatsächlich konnte der Verband nicht sonderlich viel tun für das schwindsüchtige Genre einer zeitkritischen Dramatik. 1966 im Nachgang zum ber
zum berühmt-berüchtigten Kahlschlag-Plenum des SED-Zentralkomitees vom Dezember 1965 als Berufsverband gegründet, konnte der Verband wenig dagegen tun, dass dem Gegenwartsdrama der Weg zum Publikum verwehrt blieb. Das lag weniger an seit den 70er Jahren anschwellenden Animositäten zwischen Regisseuren und Autoren als am System der Theaterzensur.Seit 1978 mussten Text und Konzeption einer Uraufführung dem Kulturministerium vorgelegt und vom Minister persönlich genehmigt werden. In der Regel wurde zudem Rücksprache mit der Kulturabteilung im ZK der SED gehalten. Da die meisten Theater lokalen oder regionalen Behörden unterstellt waren, durften auch diese mitreden. Sie wollten Repertoire und Spielplan absegnen dürfen. Zuweilen torpedierten die SED-Bezirkssekretäre bereits höheren Orts genehmigte Inszenierungen nach Gusto. Selbst loyale Autoren wie Rudi Strahl, als Verfasser von Lustspielen erfolgreichster Bühnenautor der DDR überhaupt, oder Rainer Kerndl, langjähriger Theaterkritiker der Zeitung Neues Deutschland, gerieten in die Mühlen der Zensur. Strahls Komödie Das Blaue vom Himmel missfiel 1984 dem Verteidigungsministerium; man sah die Rolle der NVA missverständlich dargestellt. Im gleichen Jahr wurde auch Kerndls Stück Der Georgsberg nach wenigen Vorstellungen abgesetzt. Und das, obwohl der Autor manches umgeschrieben hatte. In diesem Fall intervenierte das Kulturministerium. Dass man – wie bei Kerndl vorgeführt – in der DDR mit Westgeld fast alles kaufen konnte, sollte nicht von der Bühne herab verkündet werden.Heiner Müller, Mitte der 80er Jahre sicherlich der bekannteste Dramatiker der DDR, schlug wegen der latenten Zensurprobleme vor, man solle Dramatiker künftig in die Debatte einbeziehen, die der Genehmigung oder Ablehnung von Stücktexten vorausgehe. Offenbar schwebte Müller eine Lösung wie in der CSSR vor, wo die Zensur weniger anonym geübt wurde und der Zensor sozusagen mit am Tisch saß. Weitaus radikalere Schlussfolgerungen aus dem Niedergang des Gegenwartsdramas zogen junge Autoren, die eine unabhängige Initiative starteten. Warum gründete man nicht einfach ein eigenes Haus?„Who is who“ der DDR-DramatikDie Idee für ein Autorentheater ging auf Schriftstellerin Irina Liebmann zurück. Im März 1987 verschickte sie einen „Diskussionsvorschlag zur Gründung eines Theaters der Autoren“, der von den Dramatikern Peter Brasch, Werner Buhss, Uwe Saeger, Georg Seidel, Holger Teschke und Albert Wendt sowie Georg Edelmann, Dramaturg des HenschelVerlags, unterschrieben war. Der Vorstoß hatte es in sich. Vorgesehen war die Gründung eines Theaters, „in dem vorrangig die Interessen von Autoren vertreten werden“, sowie der Verzicht auf das Genehmigungsverfahren. Ein „Rat von Dramatikern“ – zusammengesetzt aus Autoren, deren Stücke in der DDR bisher aus vielerlei Gründen nicht zur Aufführung gekommen waren – sollte kollektiv über den Spielplan entscheiden. Dem Vorschlag beigefügt war eine Liste dieser Stücke. Sie liest sich wie ein „Who is who“ der DDR-Dramatik. Natürlich enthielt das Register etliche Arbeiten, die Tabuthemen behandelten, wie sie für jede DDR-Bühne ein Wagnis darstellten.Liebmanns Intentionen wurden zunächst 42 Dramatikern übermittelt. Die Reaktionen waren zumeist positiv, auch wenn einige, wie Peter Hacks, davor warnten, einen Sektentempel zu gründen, statt „um die bestehenden Häuser zu kämpfen“. Im Mai informierte die Gruppe um Liebmann mit einem Konzept das Kulturministerium sowie den Verband der Theaterschaffenden und den Schriftstellerverband. Man hoffte, diese Institute würden Mittel und Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Zu den Zielstellungen des Autorentheaters hieß es in jenem Papier, man wolle „die Möglichkeit der Selbstverständigung und gegenseitigen Kritik bieten“ und ein „öffentliches Zentrum der DDR-Dramatik werden“. Fast schon keck ist davon die Rede, der Kulturpolitik dabei zu helfen, „Erfahrungen mit einer öffentlichen Institution zu machen, die nicht mehr nur administrativ geleitet wird“.Bei den Verantwortlichen klangen die „Spinnereien der jungen Leute“ – so die Einschätzung der Abteilung Kultur beim ZK, die sofort unterrichtet wurde - nicht zu Unrecht nach Perestroika und später Sowjetunion. Der Schriftstellerverband winkte ab. Der Verband der Theaterschaffenden verweigerte sich ebenfalls, man sei gar nicht zuständig. Im Kulturministerium agierte man klüger und verstand sich auf Hinhaltetaktik: Sollten die „jungen Leute“ doch erst einmal machen. Im Juni 1987 lud das Ministerium zu einem Treffen mit dem stellvertretenden Minister Martin Meyer ein. Geladen waren Autoren, Intendanten und Funktionäre, unter ihnen Heiner Müller und Rudi Strahl, dazu Dieter Mann, Intendant des Deutschen Theaters, sowie der Vizepräsident des Theaterverbandes Gerhard Wolfram. Die Diskussion verlief kontrovers. Als ein Funktionär ausführte, das Genehmigungsverfahren sei eigentlich zum Schutz der Autoren vorgesehen, gab es Gelächter. Nach allgemeiner Debatte schlug Martin Meyer die Einrichtung eines dem Ministerium angegliederten „Beirats für Dramatik“ vor, in dem die Vorschläge für ein Autorentheater weiter besprochen werden könnten.Irina Liebmann und ihre Mitstreiter fassten das als positives Zeichen auf. Man beriet Personalvorschläge. Mitte Juli 1987 bat Liebmann in einem Rundschreiben um Kurzstücke von 20 Minuten Länge, um möglichst viele unterschiedliche Dramatiker präsentieren zu können. Als Spielort des Autorentheaters war eine alte Fabrikhalle vorgesehen. Aber die Pläne versandeten. Anfang September hieß es aus dem Ministerium, dass kein Geld zur Verfügung stehe. Die Initiative für ein Autorentheater war zu diesem Zeitpunkt längst gespalten. Während es ein Teil mit dem „Beirat für Dramatik“ versuchen wollte, sahen Irina Liebmann und der Dramatiker Georg Seidel ihren Traum von einem anderen Theater in der DDR zwischen Bürokratie und politischem Egoismus erstickt. Georg Seidel resümierte: „Wir Autoren haben uns jetzt als schlechte Funktionäre erwiesen.“Im November 1987 polemisierte Liebmann auf dem X. Schriftstellerkongress noch einmal gegen die „bürgerliche Einrichtung“ des DDR-Theaters und forderte mehr Raum für neue Stücke. Kurz darauf verließ sie die DDR. Wer weiter zur Autoreninitiative stand, bemühte sich bis ins Jahr 1988 hinein um einen Konsens mit dem Kulturministerium – und blieb erfolglos. Auch wenn tatsächlich während der Spielzeit 1987/88 mehr Gegenwartsdramatik an den DDR-Theatern gespielt wurde, so gab es doch an unabhängigen Bühnen ohne jegliche Zensur kein Interesse.Die Einrichtung eines freien Autorentheaters gelang erst 1989 mit dem von Hans-Joachim Frank initiierten „theater 89“. Als sich dessen Ensemble im Februar 1990 mit Georg Büchners Woyzeck erstmals der Öffentlichkeit präsentierte, war die DDR freilich längst in Auflösung begriffen – ebenso wie der Verband der Theaterschaffenden, dessen Präsidium bereits wenige Tage nach dem Mauerfall am 9. November 1989 zurückgetreten war.Placeholder authorbio-1
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