Die Globalisierung trägt schwarze Herrensocken, vertreibt "Monster"-Kinderbücher und füttert mit allerlei Billigtand für "99Cent" die Schnäppchen-Mentalität. Man hatte es ja schon geahnt und wurde manches Mal in den einschlägigen Sendungen wie Auslandsjournal auch darauf hingewiesen, dass es aus ist mit Made in Germany, alles aus einer Hand in einem Land. Aber 3Sat geht mit seiner Dokumentation Die Weltfabrik - Wo Kinderbücher und Herrensocken entstehen über die Vorstellungskraft des gewöhnlichen Fernsehkonsumenten weit hinaus und kommt zu dem Fazit: Es läuft in der globalen Kapitalismuskralle alles noch viel irrsinniger als gedacht.
Die Sache mit der "feinen Herrensocke" sieht so aus: Die Baumwolle wird in Benin, Schwarzafrika, von Hand geerntet, in Nordindien gesäubert und gesponnen, in Marokko, Nordafrika, von Supermaschinen aus Deutschland gestrickt und in Deutschland, wo die vollautomatische Logistik sitzt, in Dosen mit Schottenmuster aus Italien chic verpackt und an den Einzelhandel, zum Beispiel in Immenstadt im Allgäu, verschickt. Ein Paar Socken bester Qualität der Firma Burlington oder Kunert enthält Baumwolle im Einkaufswert von fünf Cent. Verkauft wird es auf Deutschlands Ladentischen für gerade mal 15 Euro.
Ähnlich ergeht es dem in Millionenauflage zwischen Japan und Brasilien erfolgreichen Kinderbuch Grüffelo, das inklusive Puzzle sein absolut kinderfreundliches Papier ("ess-bar", weil so rein!) aus dem finnischen Wald bezieht, dort in einer 65-Millionen-Euro-Supermaschine aus Deutschland in Sekundenschnelle zu Papier wird, von einer schottischen Autorin getextet, in London von einem deutschen Graphiker gezeichnet, in China gedruckt und von Hand gebunden und in Hongkong gelagert und vertrieben wird. Nur die Preisgestaltung fehlte in diesem Beispiel.
Im Preis getoppt wird der Produktionsreisewahnsinn am Beispiel des Handels mit Weihnachtskugeln und Werbekram aus der VR China, mit dem ein Bonner Importeur offensichtlich viel Geld verdient. Je mehr Handarbeit, berichtet der deutsche Kaufmann selbstkritisch, desto billiger sei der Artikel, und in China gibt es ein unerschöpfliches Heer an emsigen Billigstarbeitskräften. In zwei Stunden bemalen Chinesinnen eine Dekorationskugel, wofür sie 50 Cent Lohn erhalten. Er kauft sie inklusive Verpackung und Porto für 1,55 Euro vom chinesischen Unternehmer ein, während sie hernach in Deutschland das Zehnfache kostet.
Frei nach dem Prinzip der Sendung mit der Maus, in der komplizierte Zusammenhänge auf schlicht nachvollziehbare Art sichtbar gemacht werden, haben sich die Autoren Dara Hassanzadeh und Philipp Müller auf die weiten Wege gemacht, die vielfältigen, multikulturellen, im Geschäftsleben ach so toleranten Produktions- und Handelsmechanismen an drei prägnanten Beispielen offen zu legen. Sie haben den Akteuren Namen gegeben und die Lebensverhältnisse umrissen. Die Filmaufnahmen zeigen überall auf der Welt Protagonisten, die trotz Armut oder Reichtum menschlich - herzlich und lächelnd, betroffen und nachdenklich - reagieren. Die Welt, so kann man daraus schließen, ist kunterbunt, aber doch Eine Welt.
Und das nicht nur, weil noch "im entlegensten Winkel der Welt" dieselben T-Shirts mit denselben Werbe-Emblemen getragen werden wie im Zentrum der Globalisierungsstrategen. Es wird auch klar, dass das politische Gerede bei uns von der Schaffung von Arbeitsplätzen und Sicherung von Wohlstand durch die globalisierte Arbeitswelt ein dem Kapitalismus systemimmanenter Zynismus ist. Da, wo der Bauer in Benin 30 Cent pro Kilo für seine handgepflückte Baumwolle erhält und sich mit 20 Euro für die importierten Pestizide für seine Ich-AG in der Lehmhütte hoch verschulden muss, ist Verelendung angesagt. In den Ländern, in denen sich Investoren die deutschen Maschinen leisten und international abschreiben können, werden in der Regel ungelernte, weibliche Arbeitskräfte "frei gesetzt" und chancenlos sich selbst überlassen. Und in China, wo Menschen nur noch als Hand-Kraft eingesetzt werden, explodieren zwar die Mieten für fensterlose Büros, aber wegen mangelnden Arbeitsschutzes und aus Sicherheitsgründen gibt es keine Drehgenehmigung. Alles für den Konsum bei uns. Man sieht: die Welt ist verrückt und ungerecht. So direkt aber wollten es die Filmemacher dann doch nicht sagen. Also reden sie von Indien als "einem Land im Aufschwung", ergötzen sich an dem üppigen Geschäftsessen des deutschen Kaufmanns mit seinem chinesischen Partner und lassen die Antwort offen, warum es bei dieser Weltwirtschaftsordnung, die eigentlich ziemlich viel Unordnung bringt, unbedingt bleiben muss.
Trotzdem ist diese Reportage natürlich unbedingt zu empfehlen, so politisch korrekt und lernwillig der bundesdeutsche Zuschauer auch sei. Am besten aufgezeichnet auf Video oder gleich digital über den ZDFdokukanal, wo die drei Themen Socke, Buch und "Geschenkescout" in einzelne Elf-Minuten-Stücke aufgeteilt sind und zusätzlich Parfum- und Schokolade-Produktionswege zeigen. Vergeblich sucht man im Programm nach einem regelmäßigen Sendeplatz für Die Weltfabrik, was sich angesichts der vielen Möglichkeiten über die vielen Produkte in unseren Geschäften eigentlich wie von selbst ergeben müsste. Aber nein, soviel Globalisierungskritik darf wohl im G-8-Gipfel-Gastgeberland nicht sein. Stattdessen glaubt man sich auf einer Jet-Set-Tour, die einen schon schnitttechnisch ganz kirre macht und deren weibliche Off-Stimme schrill aus dem Flughafen-Lautsprecher zu kommen scheint. Schließlich rast der 30-minütige Film auf 3Sat wie gepitcht über den Schirm, gerade so, als ob man die Zielgruppe von MTV im Visier hatte. Das wird, pädagogisch gesagt, dem Thema nicht gerecht und unterläuft die gute Absicht. Irgendwie auch nichts Neues, dass Sendezeit und -ort ohne weiteres auf das Haben-wir-doch-gebracht-können-wir-abhaken-Abnicken der Programmverantwortlichen schließen lässt. Es hängt doch alles mit allem zusammen.
Die Weltfabrik - Wo Kinderbücher und Herrensocken entstehen; 3Sat, Sonntag
10. Juni 2007, 18.00 Uhr
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