Denken ist Voraussetzung

Medientagebuch Die Rückkehr des politischen Kabaretts: "Neues aus der Anstalt" zum Zweiten

Deutschland ist komisch, und das nun schon seit Jahren. Egal, ob Öffentlich-Rechtlich, kommerziell oder bei den Dritten: es wird gequietscht, bis die Blase platzt. "Comedy" nennt sich diese Form der Fernsehunterhaltung und es handelt sich dabei um Albernheit in Serie. Das Humorverständnis ist in etwa das gleiche wie im Karneval. Oder im Kegelklub. Oft plump, meistens seicht, immer ganz doll spaßig und manchmal echt komisch. Nur nicht politisch. Statt Geistesblitzen gibt es Augenrollen. Statt Wortgefechten wird der Lachsack eingeblendet. Das entspricht unserer Fun-Community, deren Abbild die Fernsehprogramme sind. Auch in diesem Genre gibt es Stars und Sternchen. Der letzte Garant für politisches Bewusstsein, der Scheibenwischer in der ARD, zehrt nach dem Weggang von Georg Schramm, diesem Hacken schlagenden Offizier in Uniform mit seiner schnörkellosen Direktansprache, nur noch mit halbgarer Verkniffenheit vom früheren Image.

Und jetzt sowas! Ausgerechnet der Friede-Freude-Eierkuchensender ZDF hat sich getraut und die Sperre für seine Politsatire aufgehoben, die immerhin 28 lange Jahre währte. Das hing wiederum mit der ebenso lange dauernden Amtszeit des Intendanten Stolte zusammen, der damals dem politischen Kabarett mit Dieter Hildebrandts Notizen aus der Provinz eine "Denkpause" verordnet hatte. Aber irgendwann musste auch dieser Intendant in Rente gehen, und jetzt gilt: neuer Intendant, neues Glück, Neues aus der Anstalt. Die "Anstalt" ist Programm: Verrückt ist der, der den Durchblick hat und das offen ausspricht. Man reibt sich die Augen und traut seinen Ohren kaum: 45 Minuten am Stück unverfrorene Pointen. Die Kulisse der "Anstalt" mit diversen innenarchitektonischen Scheußlichkeiten aus den achtziger Jahren - Fototapete - soll wohl die Tradition nahtlos weiterführen. Auch die "Staffel-Übergabe" von Dieter Hildebrandt ("28 Jahre kabarettfreies ZDF - ich gratuliere!") an die zwei neuen "Hausherren" Urban Priol und den in seiner gewohnten (Uni)Form wieder auferstandenen Georg Schramm versprach inhaltliche Kontinuität. Was in der ersten Sendung am 23. Januar zu sehen war, übertraf indes die Erwartungen und lässt gespannt auf gleichbleibende Qualität für die nächsten sechs geplanten monatlichen Folgen hoffen.

Klar, die angesprochenen Themen überraschten nicht gerade; sie kamen aus den aktuellen Schlagzeilen. Zum Beispiel die Lachnummer CSU, diese "christ-sozialen Gartenzwerge" oder die ungeliebte Gesundheitsreform, das Rauchverbot und natürlich unser Bremer Türke in Guantanamo. Dankbare Objekte für reißerische Gedanken sind stets auch: die Umwelt, das Klima, die Angela. Nicht das Was, sondern das Wie macht dann allerdings den entscheidenden Unterschied zum Herkömmlichen. Während zum Beispiel der Scheibenwischer in einer Art Nummernrevue abgewickelt wird, bietet die Anstalt einen Rahmen für den Irrsinn unserer Welt, den die Anstaltsinsassen nach Kräften entlarven. Humor ist hier Erkenntnisgewinn, der in scharfzüngigem Kabarett-Ton wie ein Blitzgewitter auf das staunende Publikum niedergeht. Gallig präsentiert von Georg Schramm als ewig nörgelndem, besserwisserischem "Oberstleutnant von Sanftleben", der keinen Spaß versteht. Stets weiß er mit dem verweis auf das große Ganze des Kleinkarierten zu nerven und betreibt dazu exzessive Aufklärung nach dem Motto: die Wahrheit bis zur Schmerzgrenze treiben. Chilischarf in der Wortwahl und akkurat reaktionär bis an die Haarspitzen des vermeintlichen Anstands bildet Schramm nicht nur äußerlich das Gegenstück zu dem herumwuselnden "Anstaltsdirektor" Priol. Der sieht zwar mit seinem bunten Hemd und den abstehenden Haaren aus wie Pumuckl, ist nach eigener Angabe aber ein "Randbayer mit fränkischem Migrationshintergrund" und damit prädestiniert für den Dauer-Clinch mit dem s-tocksteifen "Bundeswehr-Offizier". Der Witz besteht ja darin, dass auseinander dividierte Sachverhalte wieder in den ursprünglichen Sinnzusammenhang gebracht werden. Wie war das nochmal mit demselben Steuersatz für Wurst und Rennpferd, dem Priol auf die Schliche kommen wollte? Eben.

Das Hauser des verbalen Schlagabtauschs trägt den Wahnsinnsparcours durch die Politik, bei dem "Gäste" für weitere Abwechslung sorgen. Jeder frönt seinem "Tick", mitunter mit Musikeinlage und parodistischen Zügen. So ist das in einer "psychiatrischen Tagesklinik". Diese Typen führen ihre Wortgefechte allerdings für einen guten Zweck, sie wollen nämlich die "Petrischale für den intellektuellen Widerstand" gegen das einlullende Wohlfühlpolitainment füllen. Beispielhaft wütete Dieter Hildebrandt durch die Geschichte des medialen Machtmissbrauchs um den vermeintlichen Saubermann Joachim Fest, die er brillant in tatsächlich einem fünf-Minuten-Marathon-Satz zusammenfasste ("ich will nur noch einen Satz sagen!").

Einmal in der Irren-Anstalt, kann man sich schließlich alles erlauben. Das ist das Konzept, dem nach der ersten Sendung fast vier Millionen Zuschauer mit einem Marktanteil von über sechzehn Prozent Quotenstärke bescheinigten. Dabei gibt es hier weder Klamauk noch Gejohle, sondern Moral, Parteilichkeit und einen geradezu missionarischen Wahrheitseifer. Wenig zimperlich werden die Messer gewetzt gegen bildungs-bürgerliche Verlogenheit, kollegialen Opportunismus und schleichende Entpolitisierung. Schocktherapie mit Hilfe von sprachlichem Feuerwerk und ganz ohne herumturnenden Körpereinsatz oder schlüpfrige Kalauer. Die sind auch überflüssig, wenn das Denken Voraussetzung ist.

Neues aus der Anstalt am 27.2. um 22.15 im ZDF


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