Die Arbeit des Goldsuchers

Nonkonformismus Der amerikanische Journalist Studs Terkel macht immer noch Hoffnung auf das andere Amerika

Amerika? Klarer Fall. So tief wie die USA ist kaum ein Land im weltweiten Ansehen gesunken. Bush, Cheney, Rumsfeld, Wolfowitz und Konsorten, die die "Achse des Bösen" kreiiert haben, die Unruhestifterin CIA, die Öl-Beute-Connection, die USA als Besatzungsmacht im Irak, und das amerikanische Volk, das empirischen Untersuchungen nach zu dick, zu dumm, zu gewalttätig und fundamentalistisch-chauvinistisch verblendet ist, das alles ist nicht dazu angetan, von den Amerikanern noch etwas Positives zu erwarten.

Selbst, wenn man die Popidole und die Stars aus der Filmbranche hinzunimmt, die mit ihren Anti-Bush-pro-Kerry-Kampagnen die gegenwärtige Regierung gern abgewählt sähen, ist das auch nur die andere Seite desselben Klischees. Die derzeitige US-Politik als solche wird davon nicht wirklich in Frage gestellt. Gibt es dennoch - allen Umfragemehrheiten und Klischeebildern zum Trotz - ein differenziert denkendes und demokratisch handelndes Amerika?

Man wird ja mal fragen dürfen, wird sich Studs Terkel gedacht haben. Unbefangene Neugier gehört zum journalistischen Handwerk, und wer wie Studs Terkel es auch mit 92 Jahren noch so versteht, sollte wohl angesichts des offiziellen Eindrucks von den USA Erstaunliches zu Tage fördern. Der amerikanische Journalist, Moderator und Buchautor hat in einem Alter, da andere schon längst mit ihrem Leben abgeschlossen haben, ein neues Buch mit dem programmatischen Titel Die Hoffnung stirbt zuletzt - Politisches Engagement in schwieriger Zeit geschrieben.

Der bekennende Linke gilt als "der Mann, der Amerika interviewte" und hat damit die Tradition der oral history mitgeprägt. Seine eigene, turbulente Biografie mag ihn für unangepasste Charaktere, die gegen den Strom schwimmen, sensibilisiert haben. Geboren wurde er in der New Yorker Bronx, aufgewachsen ist er in "kleinen Verhältnissen" in Chicago, wo er auch sein Jurastudium absolviert hat und heute immer noch wohnt. Es folgten Theater-Schauspielerei, Hörspielsprecher, DJ, Gastgeber einer TV-Talkshow. Ab 1958 moderierte er, auch in Chicago, über 40 Jahre täglich eine einstündige Radiosendung. Diese vielfältigen Interview- und Moderationserfahrungen hat er sich in seinem Blick auf die "Geschichte von unten" zunutze gemacht.

Seit mehr als 30 Jahren ist Terkel mit seinem Tonbandgerät durch die Vereinigten Staaten gereist und hat vor allem mit dem bodenständigen Querschnitt der Bevölkerung über ihr Leben und ihre politischen und sozialen Erfahrungen in und mit ihrem Land gesprochen. "Meine Arbeit ist die eines Goldsuchers, eines Gehirnchirurgen und eine Regisseurs", hat er seine Arbeitsweise in einem Interview erklärt. "Ich höre von einer Person und beginne zu graben. Heraus kommt viel Erz, etwa 30 Seiten. Aber wie komme ich ans Gold? Ich siebe, das ist das Redigieren - die Arbeit des Gehirnchirurgen. Danach muss ich die Teile zu einem Buch zusammenfügen und wie ein Regisseur Dinge weglassen, um das Wesentliche darzustellen."

Zwölf Bücher sind bisher in dieser Interviewform erschienen, über die Große Depression (Hard Times, 1970), den Arbeitsalltag (Working,1974) bis zu seinen auch in Deutschland sehr erfolgreichen Gesprächen über Leben und Tod (2001). Der Journalist Terkel hat dabei nicht nur ein Gespür für Themen bewiesen, sondern konnte sie auch preiswürdig umsetzen. Für The Good War, Interviews zum Zweiten Weltkrieg, erhielt er 1985 den Pulitzer-Preis, 1997 wurde er von Präsident Bill Clinton mit dem Nationalen Humanitätsorden ausgezeichnet. Sein jüngstes Buch könnte den biografischen Abschluss über ein knappes Jahrhundert amerikanischer Geschichte bilden. Es scheint wie ein Rückblick auf ein anderes und zeigt die Perspektiven für ein besseres Amerika. Gewerkschafter, Friedensaktivistinnen, Lehrer, Immigranten, Sportler, Kongressabgeordnete und Anti-Establishment-Figuren wie Pete Seeger und Arlo Guthrie erzählen in Ich-Form über ihre Herkunft, den politischen Werdegang, ihre Kämpfe, ihr Resumee.

Aufschlussreich sind Parallelen, wie sie zum Beispiel der Wirtschaftswissenschaftler John Kenneth Galbraith zwischen der Wirtschaftskrise 1929 und dem Zusammenbruch des Energiekonzerns Enron und anderer Multi-Unternehmen zieht. Allerdings äußern sich nicht alle der 40 Interviewten so kapitalismuskritisch. Sie orientieren sich auch nicht alle politisch links und sind damit häufig gesellschaftliche Außenseiter. Wenige Frauen kommen in der Auswahl der Nonkonformisten, Rebellen und Idealisten vor. Vielleicht ist es aber kennzeichnend, dass nur Frauen in der unspezifischen Rubrik "Junge Menschen" zu Wort kommen, und dass das letzte Kapitel der Friedens-"Pilgerin" Kathy Kelly gewidmet ist, die für das Anpflanzen von Getreide auf einer unterirdischen Raketenstartrampe (!) in Kansas City zu neun Monaten Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis verurteilt wurde.

Vielleicht ist es auch nicht überraschend, dass der General, der die Atombombe über Hiroshima abwarf und zur Zeit des Interviews auch längst wie der Interviewer Studs Terkel ein "Opa" ist, immer noch erschreckend nüchtern und technokratisch auftritt. Das Prinzip Hoffnung bleibt trotzdem allen Geschichten. "Bei uns meinen viele, man brauche Millionen Menschen, um wirklich etwas zu ändern. Ich weiß, dass eine kleine Gruppe in der Lage ist, spürbare Veränderungen für alle zu bewirken", erklärt eine Aktivistin. Das entspricht durchaus dem individualistischen Denken, der "Macher"-Ideologie und dem unverwüstlichen Optimismus, der Amerikanern nachgesagt wird. Ihre Geschichten, die Studs Terkel so authentisch wiedergibt, sind indes keine Klischees, sondern dazu angetan, jedes Vorurteil gegen den Strich zu bürsten. Schließlich gehören auch sie zum historischen Vermächtnis Amerikas: dem Ideal von persönlicher Freiheit, Zivilcourage und politischer Konsequenz. Spannend zu lesen, verbreiten sie ein klein wenig Hoffnung gegen das düstere Bild vom finalen Amoklauf einer Weltmacht ohne Konkurrenz.

Studs Terkel: Die Hoffnung stirbt zuletzt - Politisches Engagement in schwieriger Zeit. Aus dem Englischen von Michael Schulte. Antje Kunstmann, München 2004, 312 S.,
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