Okay, okay. Wir haben, Hartz-Kommission, Ostüberflutung, Kanzlerduell und ähnlicher Katastrophen sei Dank!, kein "Sommerloch" in den Medien, sondern satt zu sehen. Aber allen Sensationen zum Trotz sind wir auch dankbar für ein paar ruhige Stunden. Dann, wenn wir es uns richtig nett machen wollen, erinnerungsmilde gestimmt, von Einfalt befangen und von Anspruchslosigkeit geprägt, schalten wir um, vorzugsweise auf die Dritten Programme von BR, WDR, NDR und MDR, manchmal auch auf ARD und ZDF, meistens nachmittags, am Wochenende, aber durchaus auch zur besten Abendsendezeit. Und plötzlich fühlen wir uns wieder wie 20: "Ich bin verliebt in die Liiiebe!" Rudi Carell, noch in vollem Saft und mit braunem Schopf, wahlweise im knallbuntem, roséfarbenen oder Rü
52;schen-Hemd und ausnahmslos stocknüchtern, bestimmt neben dem ebenso glatten Milchbubengesicht Chris Roberts (? ach ja, der Schlagerjunge: "Ich bin so happy mit dir, happy mit dir") den Gang der Klamotte Rudi, benimm dich! aus dem Jahr 1973. Die fünfziger, sechziger und siebziger Jahre sind offenbar ein Fundus für öffentlich-rechtliche Entspannung. Da wurden Standards gesetzt, die die Welt zum Stehen bringen wie das Ohnsorg-Theater, das heute noch auf denselben Brettern voranstolpert wie ehedem. Da "rauschen die Wälder" (1956) und "glüh´n die Rosen"(1956), dass man sich verzagt fragt, ob sich denn gar nichts geändert hat und immer alles so bleiben wird.Komik à la Heinz Ehrhardt, der Kampf mit dem Liegestuhl, dem Zelt oder dem Nebenbuhler. Energisch-verbiesterte Ehefrauen, vertrottelte Ehemänner, allerliebste Flirt-Aspirantinnen, die allerdings zeittypische Namen wie "Anita", "Andrea" und "Doris" oder "Fräulein Margret" tragen, verhuschte Annäherungsversuche und eine eiserne Moral: "Wenn man etwas verkorkst hat, muss man auch dazu stehen!" Ganz abgesehen von solchen Sätzen in rückwärts gewandtem Deutsch: "Gott erhalte dir deinen Optimismus, Rudi!" Oder: "Die Sache ist von größter Wichtigkeit!" "Die Sache" ist mehr als banal, egal, ob die Filmtitel Crazy, total verrückt (1973), Mit Gefühl und Wellenschlag (1979), Der tolle Bomberg (1957) oder Kauf dir einen bunten Luftballon (1960) über den Bildschirm flimmern. Immer endet alles richtig, stimmt die ausgewogene Moral, präsentiert man eine heile Welt der Förmlichkeiten, deren äußere Erkennungszeichen toupiertes Blondhaar, gestärkte Blusen- und Krawatten-Outfits, steril aufgeräumte Wohnungen und steife Bewegungen markieren. Verklemmt, nichts weiter. Der Inhalt, der immergleiche, besteht darin, die Nierentisch-Ordnung etwas durcheinander zu stellen, um sie mit Hilfe der Tugenden Anstand und Sitte durch ständig fuchtelnde Schauspieler, für deren ausufernde Gestik jedes Studio, ja, selbst das beliebte Motiv der kernigen Natur zu eng ist, wieder zurechtzurücken. Und warum sehen sich die Zuschauer das an? Es muss die Liebe sein, die wie ein grünes Band der Sympathie die Spielfilme deutscher Machart über das ganze Fernsehzeitalter hinweg zusammenhält, kitschig wie je, leidenschaftslos und so unecht wie manche "Holz"-Vertäfelung im Studio-Ambiente, auch wenn die Kulisse inzwischen verchromt und der wörtliche Schlagabtausch aus anglisierten Sprachfetzen besteht. Nur die Cellulites sind heute alte Kamellen, und Rudi - ach, Schwamm drüber!Musik dräut, wenn Worte versagen. Meistens wird sie vom Regisseur eingesetzt, wenn die Liebe nicht mehr weiter weiß. Auch bei schnöden Dokumentationen wird Musik gern als dramatische Steigerung benutzt. Paukenschläge übertönen so schwächelnde Worte! Das macht im ZDF Guido Knopp vor, und Peter Kloeppel bei RTL nun nach. Kanzler, Krisen, Koalitionen heißt die vierteilige Reihe, die anhand ausgesuchter Kanzler die Geschichte der BRD erzählen will. Man weiß zur Genüge, was bei Guido Knopp an Geschichtspatchwork herauskommt, und nun weiß man es auch von Peter Kloeppel, der ein Aufschwung-orientiertes Deutschland an der Grenze zur Demagogie im putzigen Schnellwaschgang beschreibt. Die "Geburt der BRD"? Auferstanden aus Ruinen. Zu Archiv-Filmaufnahmen bombastische Akkorde, "die Stimmung steigt mit dem wirtschaftlichen Aufschwung", und die Musik auch. Boogie, Rock´n´Roll, süßliche Schlager - wir sind wieder wer! Aber wie! Geschichte in Jahreszahlen und Jubiläendaten abgehakt, mit Satzverstücken aus den Mündern berühmter und berüchtigter Polit-Prominenz von Egon Bahr bis Helmut Kohl (zum Fußballweltmeistertitel gegen Ungarn 1954 sagt H. Kohl selbstgefällig: "Das war eine Stimmung - wissen Sie - wir haben es geschafft!"), mit allzu hektischen Schnitten, verkürzten Themenanrissen (Werbung, Wochenschau-Sequenzen, Archiv-Material), die gespickt voll waren mit Schlagworten, abgedroschenen Phrasen (zu den US-Soldaten mit Zigaretten und Schokolade: "Hier wächst menschlich zusammen, was später politisch zusammengehört"), unsäglichen Klischees ("die Nachkriegsfrauen können sich wieder Schönheit und Eleganz leisten, zum Beispiel halterlose Strümpfe") und einer unerträglichen Personalisierung und Privatisierung von Politik, die Guido Knopps Historien-Vertrieb weit in den Schatten stellt. Adenauer "schreibt fleißig an der deutschen Verfassung mit" und in der 2. Folge: "Willy Brandt wollte nicht länger Außenminister sein, sondern Bundeskanzler werden". "Der charmante Familienvater ... lässt sich von den technischen Errungenschaften der Zeit inspirieren" - wozu auch immer. Eine weichgespülte BRD, die eine einzige Erfolgsstory darstellt. Fußball-WM, ein Werbespot von Persil, die Hitparade mit Dieter Thomas Heck, die "Fitness-Welle", Abba, Arbeitslosigkeit, "Helmut Schmidt versucht eisern, den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen", seine Wiederwahl und "Kampf gegen die RAF-Terroristen", "1. Anschlag, 2. Anschlag, 3. Anschlag" - "Hot Pants", Abtreibungsdemos, und, siehe da, Rudi Carell singend im Werbespot für VW. Da schließt sich der Kreis auf geradezu unheimliche Weise zwischen gestern und heute, Fiktion und Reaktion, Alpenglühn und Staatsmacht. Der Manipulation, ob der Liebe oder des politischen Bewusstseins, sind keine zeitlichen Grenzen gesetzt. Nett ist das nicht mehr, wenn die Ansprüche so verloren gehen.
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