Ein involvierender Beobachter

Medientagebuch Eine Frage der Distanz: In "Speer und Er" gehen die Autoren ihrem Protagonisten auf den Leim

Es geht wieder mal ums Ganze. Wieder mal hat sich das Massenmedium Fernsehen daran versucht zu erklären, wie "der Führer" und einer seiner hauptverantwortlichen Mitführer, neudeutsch gesprochen, "getickt" haben. Speer und Er klingt ja wie Kaffee-und-Kuchen oder Ein-Herz-und-eine-Seele. Waren sie das? Und wenn, wie kamen der großbürgerliche "Gentleman", der "Künstlertyp", der Individualist Speer und der kleinbürgerliche, ungebildete Massenhypnotiseur zusammen aus? Erstaunlich gut, wie der ausgreifende Dreiteiler des Doku-Erfolgsgespanns Heinrich Breloer und Horst Königstein zeigt. Beide verstanden sich im Monumentalen, beide hielten von Gefühlen überhaupt nichts, und beide schienen sich in ihren Gegensätzen ideal zu ergänzen.

"Der Führer" war der "GRÖFAZ" und sein Hausarchitekt der Welt größter Baumeister, kurz: der prädestinierte "Weltbaumeister". Weil´s so gut passte, wurde der dann auch noch Rüstungs- und Kriegsproduktionsminister und schickte sich an, größenwahnsinnige Bauten für ein "1000-jähriges Reich" zu planen und dazu durch Europa und den osteuropäischen bis vorderasiatischen Raum stechen zu wollen, zumindest auf der Landkarte. Ein Multitalent, der seine Fähigkeiten räumlich zu denken, logistisch zu planen und seine Meinung überzeugend durchzusetzen, karrierebewusst einsetzt und den "Führer" damit enorm beeindruckt, der seinerseits zwar davon schwadroniert, aber sich darauf nicht versteht. Das wird sichtbar und in den drei historisch logischen Teilen über den Wahn, die Welt zu betonieren, den Prozess vor den Alliierten in Nürnberg und die Strafe im Spandauer Gefängnis in aller Ausführlichkeit porträtiert.

Albert Speer stand Adolf Hitler so nahe, dass der ihn nach der Fertigstellung der selbstredend monumentalen, neuen Reichskanzlei ergriffen lobt: "Sie verstehen mich bis ins Innerste. Sie sind ein Genie." Eine Schlüsselszene im ersten Teil des ausladenden Dokumentarspielfilms, der mit Sebastian Koch als Speer und Tobias Moretti als Er in den nachgestellten Szenen kongenial besetzt ist. Der eine ein gut aussehender Bonvivant, intelligent und souverän, der von Haus aus weiß, wie man sich zu benehmen hat. Der andere spielt den Popanz und am Ende eine jämmerliche Figur, die eher Erbarmen als Wut oder Abscheu auslöst. Moretti verkörpert diesen Hitler perfekt als typischen Aufsteiger, der viel zu unsicher ist, um sich in seiner Position wohl zu fühlen. Arroganz ist dem bürgerlichen Ästheten Speer vorbehalten, der sich insgeheim über die spießige Einrichtung in Hitlers Wohnung mokiert.

Fragwürdig bleibt allerdings, warum Speer nicht nur in der Nachkriegsöffentlichkeit, sondern auch bei Autor und Regisseur dieses Films als Maßstab des "normalen Deutschen" gilt. Warum Albert Speer nicht nur mit einer Haftstrafe davonkommt, sondern danach nahtlos seinen internationalen Ruhm als biographischer Autor anschließen kann, warum er auch von diesem Film so respektabel behandelt wird, dass er am Ende eher ein Sympathieträger denn ein, wie es in der Nürnberger Anklage stand, Verbrecher gegen die Menschlichkeit erscheint. Fragen, die der Film aufwirft statt zu beantworten.

Dabei hat der Regisseur nicht nur viel Sendezeit in Anspruch genommen (dreimal 90 Minuten), sondern darin auch überquellendes Material, viele Interviewpartner und kritische Fakten untergebracht, um die Doppelbödigkeit des "Professor Speer" auszuleuchten. Archivbilder aus Wochenschauen und vom Nürnberger Prozess, Originalschauplätze wie die alpenländische Märchenkulisse auf dem Obersalzberg, Interviews mit drei seiner sechs Kinder, einigen Zeitzeugen und Experten, die manche Aussagen widerlegen, viele nachgestellte Szenen, filmisch authentisch in Archiv- und Spielszenen wechselnd, Briefe und Kassiber aus dem Spandauer Gefängnis wirken aber insgesamt in der schnellen Schnittfolge zur oft gegenseitigen Kontrastierung manchmal zu oberflächlich oder für den, der ohne Geschichtskenntnisse vor dem Fernseher sitzt, verwirrend. Über die Mühe, das viele Material in den Griff zu bekommen, geht der rote Faden verloren, und am Schluss fragt man sich, worum es denn eigentlich gehen soll. Um den "Menschen" Albert Speer? Um den begabten Architekten? Um den Kriegsverbrecher? Vieles wird nur angerissen, wo hartnäckiges Nachfragen vielleicht eher dazu beigetragen hätte, in Machtstruktur und Cliquenwirtschaft der Nazis Einblick zu gewinnen. Breloers Idee zum Beispiel, wie schon bei seinem Dokuspiel über Thomas Mann die Kinder seiner Filmgrößen zu fragen, ist zwar auch bei Speer interessant, aber spannender als das Nachhaken über den "nicht vorhandenen Vater" wäre es gewesen, wie Speers Kinder als Erwachsene mit seinem Erbe umgehen und warum gerade die eine Tochter sich so für die Freilassung ihres Vaters aus dem Spandauer Gefängnis eingesetzt hat. Und vor allem, bei wem sie dafür Gehör findet.

Auch von "Künstlerkollegin" Leni Riefenstahl hätte man gern mehr über die Art ihrer Beziehung zu Speer erfahren. Oder von FAZ-Herausgeber und Speer-Biograph Joachim Fest, was ihn denn so besonders an der Person des Albert Speer fasziniert hat. Und überhaupt, war Familie Speers soziales und politisches Umfeld angesichts der "Spendenkasse" von Stararchitekten und Industriellen je gefährdet? Speer hat sich selbst als "involvierter Beobachter" des so genannten "Dritten Reichs" bezeichnet. Er hat, so sagen es seine Kinder und seine Zeitzeugen, verdrängt. Er hat, so zeigt es der Film, sich blendend verkauft, intelligent taktiert, und das alles mit der Lockerheit eines Tweedträgers. Auch der Regisseur hat im Laufe des Dreiteilers immer mehr die Distanz zu seinem Objekt verloren. Verstärkt wird dies durch die aufdringliche Musik. Die emotionalisiert und dramatisiert dermaßen unangenehm, dass man sich gut vorstellen kann, warum alle auf den Habitus des Albert Speer reinfallen: So will der deutsche Mann sein, wenn er denn schon so sein soll, nämlich Haltung bewahren in jeder Lebenslage. Wenn das die Lehre aus der Geschichte ist!

Speer und Er; am 9., 11. und 12. Mai um 20.15 Uhr in der ARD


12 Monate für € 126 statt € 168

zum Geburtstag von F+

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden