Zugegeben, es ist schon ein Kreuz mit der Religion. Von wegen "Privatsache". Auch die oft beschworene Trennung von Staat und Kirche als Folge von Aufklärung und Demokratie stimmt in Ländern wie Deutschland immer noch nicht ganz, wobei gerade die Deutschen im Blick auf Kirchenmitgliedschaft und Glaubensinhalten in rasantem Tempo dabei sind, ein Volk von Ungläubigen zu werden. Kurz und schlecht, sie haben, empirisch nachgewiesen, kaum noch Ahnung von Religion und Kirche, weshalb es für die offiziell anerkannten Religionsgemeinschaften gut ist, dass es überall in den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten Kirchenfunk-Redaktionen gibt, die zwar mit regelmäßigen Sendeplätzen ins Programmschema eingebunden sind, aber ansonsten völlig losgelöst vom Quotendruck Programm machen dürfen. Denn, so wird die fehlende Legitimation dieses Privilegs einer Minderheit aufgewertet, wer, wenn nicht sie? Ist der Bedarf an Information nicht gewaltig? Es geht also ums große Ganze, da wird dann schon mal der Rahmen sehr weit gesteckt wie zum Beispiel vor sieben Jahren mit der Reihe "2.000 Jahre Christentum". Jetzt blickt man ebenso monumental auf 3.000 Jahre Judentum zurück und fragt sich, "wie es den Juden gelingt, in all diesen Zeiten ihre Identität zu wahren".
Wenn es um etwas so Großes gehen soll, lässt sich die ARD nicht lumpen. Fünf ein-schlägige Redaktionen (WDR, BR, NDR, RBB, SWR) haben zusammen mit dem "Kultur-Kanal ARTE" rund eineinhalb Millionen Euro in die Dokumentation über Die Juden - Geschichte eines Volkes investiert. Immer schön der Bibel nach, vom Exodus aus Ägypten bis ins Gelobte Land wird jüdische Geschichte auf sechs Sendeplätze der christlichen Kirchen in der ARD am Sonntagnachmittag erzählt. Eine Geschichte "voller Glanz und Elend, Hoffnung und Verzweiflung", die durch Pogrome, Vertreibung und Vernichtung einerseits, "blühenden, kulturellen Austausch" und "goldene Zeitalter" in den aufgeklärten Zentren Europas andererseits gekennzeichnet wird.
Fünf Jahre haben sie mit der Kölner Produktionsfirma Gruppe 5 an diesem Projekt gearbeitet. In Marokko (wegen der Kriegslage an den Originalschauplätzen), Tschechien und Deutschland wurden in sonnenbestrahlten Spielszenen "wichtige historische Ereignisse" als auch der religiöse Alltag von gläubigen Juden heute nachgestellt. Durch "Computer-Generated-Imaging der jüngsten Generation" (so steht es tatsächlich im "Editorial" des Programmheftes), also digitale Computeranimationen, ließ man antike Gebäude und Städte wie Babylon oder den Tempel Salomons wiederauferstehen.
Zwischen den antiken Gebäuden laufen ständig viele Menschen in sauberen Kostümen aus angeblich jenen Zeiten herum. Wie im Stummfilm gestikulieren und grimassieren sie. Massen, die "durch die Wüste" übers Geröll wandern ("600.000, so heißt es, ihr Ziel ist die Freiheit, ein Leben ohne Sklaverei"), einzelne Gruppen wie die in einer späteren Folge über die Juden in Osteuropa, die beim "Kidnapping" für die Armee im russischen Zarenreich einen jüdischen Jungen seinen Eltern entreißen. Dass es dem Zaren um "15-Jährige" für den Kriegsdienst geht, der Junge im Bild aber höchstens sieben Jahre alt ist, kommt in dieser Diskrepanz zwischen Behauptung und Anschauung oder wissenschaftlichen Nachweisen häufiger vor.
Auch hier verläuft die Aktion selber stumm, mit einem Text aus dem Off voller Plattitüden und einer Musikschleife unterlegt, die in dieser plakativen Märchenversion noch den gutwilligsten Zuschauer nerven dürfte. Überhaupt sind viele Szenen durchaus grenzwertig. Oder muss man um der schönen neuen Technik willen die Geschichte vom "brennenden Dornbusch, in dem sich Gott Moses offenbart" und "einen Auftrag erhalten" haben soll, so darstellen, dass ein mit einem Kapuzenumhang unkenntlich verhüllter "Hirte" in eine karge Landschaft mit einem Gestrüpp hineindigitalisiert wird, dieses als "Dornbusch" Feuer fängt, und Gott, der Herr sich aus dem Off! dazuschaltet: "Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen. Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten hinaus."? Schauspieler brauchte man dafür nicht. Es genügten die Bewohner vor Ort als Statisten für ein üppig illustriertes Textbuch, das im Off von einem Sprecher verlesen wird.
Ab und an kommt auch mal ein Rabbi vor, oder ein Archäologe, oder ein Judaistik-Professor, die vor der Kamera die Thora, die Tempelanlage, die "Rüstung" der Chassidim und anderes erklärten. Wie in der Schule, wo zur Auflockerung des Unterrichts Zeitzeugen auftauchen, oder der Lehrer durch ein persönliches Wort zwischen-zeitliches Interesse im didaktisch einlullenden Film wachruft. So sehr sich, bis auf den mit der schon beschriebenen Musik unterlegten Märchenonkelton des Sprechers, alle ihre teilweise doch aufrüttelnden Erläuterungen in beiläufig nüchternem Tonfall mitteilen, macht sich beim Zuschauer Ratlosigkeit breit. Oder sollten solche sichtbar "schmerzhaften" Ereignisse wie die "Entfernung der Vorhaut beim männlichen Säugling als Zeichen für den Bund mit Gott" besser nicht hinterfragt werden? Welchen Grund gibt es für diesen "brutalen Eingriff"? Spielen im Judentum wirklich nur Männer eine Rolle? Ist die jüdische Religion also eine Macho-Religion? "Geschichte"? Eine schöne Geschichte, die vorgibt, "neueste Erkenntnisse zu präsentieren", aber den neuesten wissenschaftlichen Stand ignoriert und sich stattdessen mit, nun ja, naiv aufbereiteten Geschichten zufrieden gibt, die zu offensichtlich in pädagogischer Absicht daherkommen und darin auch noch unvollkommen sind.
Als hätte man es geahnt, ist dieser Mehrteiler tatsächlich auch für den Unterricht in Schulen geplant und auf einen öffentlich-rechtlichen Erfolg nicht angewiesen. So oder so, gut gemeint ist nicht gut gemacht.
Sonntags (11.3., 18.3., 25.3., 1.4., 8.4., 15.4.), jeweils 17.30 Uhr in der ARD
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