Horde heißt Gruppe

Pax Mongolica Die Ausstellung "Dschingis Khan und seine Erben" in München

Am Anfang ist das Vorurteil. War er nicht ein furchterregender Krieger, der mit seinen blutrünstigen Horden die Völker der Steppen Eurasiens in Angst und Schrecken versetzte? Fremd in seiner Nomaden-Kleidung auf dem struppigen Pferd. Verdächtig mit den schütteren, langen Spitzbarthaaren und dem Ohrgehänge. Schlitzäugig! Und dann diese Brutalität. Seine Barbaren machten alles einen Kopf kürzer, was ihnen in den Weg kam. Mit Pfeil und Bogen attackierten und mit ihren Reiterhorden trampelten sie die unschuldigen Chinesen, Russen und Europäer nieder. Man stellt sich das ja immer wie ein Sturm vor, der über die braven Völker hinwegfegte: der Mongolensturm. Der Mythos der Grausamkeit rankt sich um Dschingis Khan, der 1206 das Weltreich der Mongolen gegründet hat, das größte in der Menschheitsgeschichte überhaupt, bis heute. Zeit wird es, das Bild zurecht zu rücken, das die Europäer sich machen. Denn dieses Bild ist immer ein abendländisches gewesen, an dem die besiegten Europäer gestrickt haben.

Vor 15 Jahren löste sich die Mongolei von der Sowjetunion. Dort wurde jegliches Gedenken an ihren herausragenden Staatsgründer unterdrückt. Jetzt möchte die Mongolei dessen Identität stiftende Autorität wieder nützen, und nebenbei, aber nicht ganz uneigennützig, ihren zivilisatorischen Beitrag für Europa in Erinnerung rufen. Die Mongolen wussten ja schon immer, dass Dschingis Khan, der über ein Gebiet vom Pazifischen Ozean bis nach Mitteleuropa und zum Mittelmeer herrschte und deshalb auch "Ozeangleicher Herrscher" tituliert wird, ein weitsichtiger Staatsmann, ein weiser Führer und besonders kluger Militärstratege war.

Da fügte es sich, dass seit vier Jahren Archäologen der Universität Bonn und des Deutschen Archäologischen Instituts die berühmte Hauptstadt der damaligen Glanzzeit, Karakorum, ausgraben. Sie bestätigen diesen Eindruck. Genau wie französische und türkische Archäologen, die die Nekropolen der Vorläufer des Mongolenreichs freilegen, die der Xiongnu (4. Jh. v. - 2. Jh. n. u. Z.) und die der Türken (6.-8. Jh. n. u. Z.), die übrigens, ihrer engen blutsverwandten Abstammung entsprechend, über das größte Botschaftsgebäude in Ulan Bator verfügen und nicht wie sonst überall auf der Welt die Amerikaner.

Die neuesten archäologischen Funde in Europa bringen das Bild der mongolischen Glanzzeit auf den aktuellen Stand, und das korrigiert im Vorgriff auf die 800-Jahr-Gründungsfeier mit einer in Europa bisher einmaligen Ausstellung die Dämonisierung des Dschingis Khan und seiner Erben. In über 500 Exponaten dieser zusammen mit der Bonner Bundeskunsthalle konzipierten Schau zeigt sie Das Weltreich der Mongolen. 40 Museen zählen zu den Leihgebern, die meisten aus der Mongolei, Japan, Taiwan, Russland, Frankreich, dem Iran und Deutschland. Diese geografische Streuung weist bereits auf die multikulturelle Vielfalt in dem mongolischen Großreich hin. Dschingis Khan, als Temüjin wahrscheinlich 1162 geboren und 1227 auf einem Feldzug im chinesischen Grenzgebiet umgekommen, vereinte nicht nur die nomadischen Stämme seiner Region, sondern hat mit der Eroberung anderer Völker den Handel und kulturellen Austausch fördern wollen.

Klar, Krieg geht nie unblutig aus, auch bei den Mongolen war die Eroberung keine "freundliche Übernahme". Wer sich wehrte und so groß war, dass er nicht mehr nach dem "Achsenstifturteil" durch eine Radnabe passte, wurde geköpft, tatsächlich. Dass die Nomaden den sesshaften Völkern militärisch haushoch überlegen waren, lag an ihrer Taktik. Sie beschwerten sich nicht mit starrer Rüstung und unhandlichen Waffen, sondern nutzten ihre Fähigkeiten als exzellente, reaktionsschnelle Reiter, womit sie ihre Gegner militärisch verwirrten. Dass zwei Millionen Mongolen noch über 150 Jahre über den Tod Dschingis Khans hinaus zwei- bis dreihundert Millionen sesshafte Völker souverän unter Kontrolle halten konnten, war nicht nur dem offensichtlichen Charisma des Groß Khans zu verdanken, sondern genauso seinem genialem Organisationstalent und politischem Instinkt.

Dschingis Khan verstand es, durch eine intelligente Verwaltungsstruktur und ein modernes Kurierwesen loyale Bündnisse zu schaffen, die einen reibungslosen Ablauf des Handels zwischen Peking und Konstantinopel garantierten, denn, so wusste der weise Führer, Handel schafft Vertrauen, Krieg zerstört. Führungspositionen wurden allein nach Leistung vergeben, nicht mehr nach sozialem Rang. Mit der Einführung einer einheitlichen Währung und der Erfindung des Reisepasses sowie einer Art Esperanto-Schrift aus den unterschiedlichen Hauptsprachen erwies sich der Nomadenführer einmal mehr als weitsichtiger Politiker.

Er nutzte die Fähigkeiten von Spezialisten, Wissenschaftlern und Handwerkern der eroberten Völker, um auf dieser Basis die kulturelle Entwicklung aller Beteiligten in seinem Weltreich zu forcieren. Religiöse Toleranz galt absolut. Schamanismus, Buddhismus, Christentum und Islam konnten ungehindert ausgeübt werden. Alles zusammen bildete das Fundament für die Pax Mongolica, die bis ins 16. Jahrhundert hinein einen blühenden Austausch nicht nur von Waren, sondern auch von Ideen und Erfindungen zwischen Asien und Europa erwirkte.

Nun haben sich die Ausstellungsmacher nicht für eine sinnliche Erfahrung auf der legendären "Seidenstraße" entschieden, sondern sind dem traditionellen, musealen Gang gefolgt. Das heißt für die Besucher: Vitrinen, Landkarten, Wandtexte, Skulpturen: Akademisches Wissen also, anschaulich aufgestellt. Auf zwei Stockwerken macht man sich auf den Weg der Aufklärung. Von den vormongolischen Nomadenreichen der Xiongnu und der Alttürken zur Glanzzeit des Mongolenreichs mit der Hauptstadt Karakorum, deren jüngste Ausgrabungen ein Stadtzentrum und den mit Statuen, Reliefschmuck und Malereien reich ausgestatteten buddhistischen Tempel zutage förderten. In Karakorum lebten damals schätzungsweise 100.000 Menschen aus allen Teilen des Weltreichs. Münzen und Keramiken chinesischer Handwerker, Fliesen mit ornamentalem Muster, Buchmalerei und Baudekor persischer, Goldbecher und -schalen mit Drachenköpfen und Sattelbeschläge türkischer, Goldschmiedekunst russischer, buddhistische Malereien tibetischer Künstler - von solchen Ausmaßen multikultureller Zivilisation kann man heute nur noch träumen.

Die Ausstellung endet in zwei kleinen, schmucklosen Räumen, die das letzte Jahrhundert bebildern. Porträts und Fotos der unter Stalins Russland beeinflussten Politfunktionäre und seiner typischen Errungenschaften hängen hier: Rauchende Industrieschlote und die Plattenbau-Moderne Ulaanbaatars. Symbolisch drückt das Politbüro-Ambiente aus, welch geringen Wert die Mongolen dieser Zeit beimessen, und als Besucher drängt es einen zurück in die reichen, kultivierten Zeiträume der Vergangenheit. Denn was ist dieses letzte, karge Jahrhundert schon gegen "die Verdienste von Cinggis Khan, die im Herzen aller Mongolen ihren ewigen Platz haben", wie Chuluun Dalai von der Akademie der Wissenschaften der Mongolei im Ausstellungskatalog schreibt. Ein Vorbild. Bis heute. Übrigens: "Horde" heißt übersetzt: Gruppe. So einfach sind Mythen zu entzaubern.

Dschingis Khan und seine Erben. Museum für Völkerkunde, München, noch bis zum
29. Januar, Katalog, Verlag Hirmer, München 2005


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