Wer kennt sie nicht: die knallgelbe Sonne, die auf rotem Grund über der riesengroßen Ziffer "35" Optimismus ausstrahlt? Das Signet, ursprünglich nur als Transparent auf einer Demonstration hochgehalten, wurde berühmt und machte schnell allerorten als Plakat und Aufkleber für die gewerkschaftliche Forderung nach der 35-Stunden-Woche mobil. Seinem Schöpfer Wilhelm Zimmermann, der die legendäre gewerkschaftliche Forderung nach weniger Wochenarbeitszeit so ostentativ bildhaft vermittelte, ist die Sonderausstellung mit dem beziehungsreichen Titel Anschläge - 30 Jahre politische Plakate im Hamburger Museum der Arbeit gewidmet.
Der heute vielfach mit Preisen geehrte 66-jährige gelernte Schriftsetzer und Absolvent der Werkkunstschule Köln und der Kunstakademie Düsseldorf gehört zu jenem auslaufenden Gesellschaftsmodell, bei dem politisches, gewerkschaftliches und künstlerisches Engagement eins sind. Seit 1971 hat er über ein Tausend Titelbilder für Gewerkschaftszeitungen und mehr als 100 Plakate, überwiegend für die IG Metall, entworfen. 30 Jahre politische Zeitgeschichte, von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus bis zum Kampf gegen Sozialabbau und Umweltvergiftung reicht das Spektrum der 80 ausgestellten Exponate. "Hinter solchen Plakaten stehen immer auch Geschichten, die im Gedächtnis bleiben, auch wenn die Plakate selber schon längst nicht mehr hängen", betonte Frank Teichmüller von der Gewerkschaft IG Metall bei der Ausstellungs-Eröffnung.
Tatsächlich entwickelte sich das Plakat seit dem 15.Jahrhundert als plakatives Mittel, um politische, kommerzielle, kulturelle oder einfach amtliche Botschaften auf Mauern, Tafeln und Litfasssäulen der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Plakate bedeuteten nicht nur, dass sie buchstäblich mit Nägeln "angeschlagen" wurden, sondern häufig auch im übertragenen Sinn "Anschläge" gegen Obrigkeiten, überkommene Vorstellungen oder herrschende Ideologien. Das berühmteste und älteste Beispiel dafür dürften die Anschläge Martin Luthers an das Portal der Schlosskirche zu Wittenberg gewesen sein. Plakate erregen also nicht nur öffentliche Aufmerksamkeit, sondern können auch - mindestens im Kopf - Revolutionen auslösen, politisches Bewusstsein schulen und Geschichte reflektieren. Insofern lässt sich am Beispiel der Hamburger Ausstellung der Satz des Gewerkschaftssekretärs fortführen: Wenn die Plakate wieder aufgehängt werden, holen sie die Erinnerung zurück.
Und da kommt Erstaunliches zu Tage. Politiker lassen sich in Geldscheine einwickeln, "Flicks Wickelkinder - Konzerne kauften die Macht", Korruption 1984. Oder der Arbeiter, der bereits zur Hälfte durch Maschinenteile ersetzt ist, Stichwort: "Humanisierung der Arbeit", 1983. Oder das Auto, das im Wald steht, der wiederum wie ein Gefängnisgitter aus toten Bäumen fotografiert ist, Auto und Umwelt 1990. Oder "Gegen die Anmache in Büro und Betrieb", 1986, die Männerhand, die sich am Frauenbein vergreift. Oder die blühenden Landschaften - Ost, wo ein lachender Helmut Kohl mit einer Spankiste voller Margeriten auf einer schäbigen Parkbank sitzt, im Hintergrund Schotterwüste und Abrisshäuser der wiedervereinigten DDR: "Verkohlte Landschaften",1994. Oder die Soldaten, die aus dem Fernsehapparat heraus unter Rauchbomben-Bildern auf den Perserteppich treten, der "saubere" Golfkrieg (1991) in unseren Wohnzimmern: "Wir sitzen alle in der ersten Reihe."
Nein, das ist alles längst nicht abgehakt und "Geschichte", sondern höchst aktuell. "Eigentlich können wir diese Plakate heute immer noch verwenden", gibt Bezirksleiter Frank Teichmüller zu. Und tatsächlich nimmt das Erstaunen beim Rundgang durch die Etage der zum "Museum der Arbeit" umgewandelten Fabrik zu, dass sich kein einziges Thema erledigt hat, beziehungsweise politisch gelöst wurde. Im Gegenteil, die Probleme von Globalisierung, Weltfrieden, Abrüstung, Hunger in der Dritten und Überfluss in der so genannten Ersten Welt sind wie Sozialabbau, Lohndumping, Arbeitslosigkeit und Grundrechte immer größer geworden und haben sich immer stärker zugespitzt. "Leitkultur: Ein Wort wie ein Baseballschläger", steht auf einem schwarzgrundigen Blatt, auf dem eine schreiende Skinhead-Fresse und ein aufgepflanzter Baseball-Schläger zu sehen sind. Typisch für Zimmermanns Arbeitsweise die Fotomontage, die in der simplifizierten Umsetzung eines emotionalisierten Begriffs den ganzen Sprengsatz eines Themas, einer Aussage, manchmal auch komplexer Sachverhalte wie "Lohnfortzahlung im Krankheitsfall", optisch auf eine Kernaussage komprimieren, so dass es dazu eigentlich keinerlei Erklärungen mehr bedarf.
Dementsprechend hat man sich im Museum entschlossen, den ausgestellten Plakaten statt doppelt plakativer Textzeilen "Saal-Zettel" beizugeben, auf denen Hintergründe und Dokumente zusammengefasst sind. Sie ergänzen in komprimierter Form die plakative Umsetzung der politischen Themen der vergangenen 30 Jahre. Apropos, das Plakat gegen Rechts, wofür der Skinhead mit dem Baseballschläger steht, ist im März 2001 nur ein "Entwurf" gewesen. Heute ist man in der Gewerkschaftsleitung nicht mehr so mutig, sich politisch zu exponieren, bedauert Wilhelm Zimmermann. Es ginge nicht mehr um Inhalte, sondern um "die richtige Farbe" und ums Design. Heute will man "allen gefallen" und "nicht mehr anecken", meint der Graphikkünstler, insofern glichen sich nicht nur die Krawatten einzelner Politiker, sondern auch die politischen Positionen. Weil die inhaltliche Aussage fehle, gebe es heute auch keinen Unterschied mehr zwischen einem Werbe- und einem politischen Plakat. Resignation auch bei Frank Teichmüller, der feststellt, dass die Gewerkschaft den Kontakt zur Kunst und zu den Künstlern, die sich gewerkschaftlich engagieren, verloren hat. Also doch ein abgeschlossenes Kapitel, das die Ausstellung politischer Plakate umfasst und die man allein schon aus diesem Grund nicht versäumen sollte.
Anschläge. 30 Jahre Jahre politische Titel-Bilder-Plakate des Graphikers Wilhelm Zimmermann. Museum der Arbeit, Wiesendamm, Hamburg-Barmbek. Noch bis zum 1.Dezember 2002. Katalog im anabas verlag, 24 EUR
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