Es gibt sie noch, die Sendung, in der grammatikalisch richtiges Deutsch mit ganzen Sätzen inklusive Nebensätzen gesprochen wird. In der leichte Unterhaltung en passant Bildung vermittelt. Die ganz ohne modernistischen Kleinkram wie Jingles und Live-Duzereien wie "High Lothar! Wass machst´n grade so?!" auskommt. Wo Worte und Begriffe auftauchen, die man vor lauter "supertoll", "echt stark" oder betont Dialektgefärbtem "Serrvus!" in der akustischen Brandung der Happy-Häppchen-Rundfunklandschaft schon beinahe vergessen hätte. In der die Melodien bis zur letzten Note ausgespielt werden, ohne dass jemand den Regler vorzeitig hochzieht. In der der Moderator einen Vor- und einen Familiennamen hat und mit sonorer Funk-Stimme durch die Sendung führt ohne zu albern. Auf gut journalistisch gesagt: ein Moderator, der durchs Mikrophon zu den Hörerinnen und Hörern spricht und es ernst meint mit dieser ach so harmlosen Sendung.
"Viele waren sich nicht so sicher, wie ich gelesen habe, aber er war´s: Harald Juhnke.- Es ging um eine Country and Western-Band.Von Ihnen wollte ich wissen, wie sie heißt." Die Sendung ist personenbezogen, und er kommt bei den Leuten einfach besonders gut an. Er ist je nach Situation der nette Onkel, der verständnisvolle Therapeut, der charmante Conferencier. Er schafft es sogar, seine Hörer miteinander diskutieren zu lassen, zum Beispiel auf der Funkausstellung, wenn er sie ermuntert, gegensätzliche Meinungen auszutragen. Damit alle dazulernen. Und doch grassiert kein Promi-Starkult, weil ihm die Sendung wichtiger zu sein scheint als sein Name. Eine Quiz-Sendung, in deren Verlauf man ein Wort mit sechs Buchstaben raten und per Post, Fax oder E-Mail an die Redaktion im DeutschlandRadio Berlin schicken soll, aber dabei nichts, absolut nichts gewinnt. Keinen Euro, kein Werbegeschenk, kein abgestaubtes Buch, nichts! Und erst vierzehn Tage später, wenn die Auflösung bekannt gegeben wird, hat man die Beruhigung, "mit seiner Antwort richtig gelegen zu haben".
"Haben Sie es erraten?" würde Christian Bienert an dieser Stelle mit seiner alles und jeden verstehenden Stimmlage sanft fragen. Und gleich versichern: " Ich geb´s zu, es ist nicht ganz einfach." Und die, nein, seine Zuhörer trösten: "Vielleicht warten Sie erst einmal den nächsten Buchstaben ab." Die nächste Prüfung folgt sogleich:" Glauben Sie nicht, Fragespiele seien (!) eine Erfindung der Neuzeit. Weit gefehlt. Vor vielen, vielen Jahren gab es im fernen Peking eine schöne Kaiserstochter ..." Wir enden in der Oper Turandot, und Herr Bienerts Ton wird etwas streng: "Welcher Komponist? Dritter Buchstabe!" Schlager, Chansons, Arien, Volksweisen, Operetten, Dixieland-Jazz, Pop-Songs, "ein weitgespannter musikalischer Bogen", nicht zu schwer, nicht zu leicht, irgendwie gefällig und nicht zu lang, "eine 4.50-Minuten Cool-Jazz-Nummer würde ich nicht nehmen". Sechs Melodien, sechs Fragen, sechs Buchstaben, die das Lösungswort ergeben. "Reisen" zum Beispiel, oder "Gockel", oder "Finale". Letzteres war ein "Knaller".
Wie überhaupt diese Sendung ein einziger Knaller ist. Hoffnungslos altmodisch in Form und Machart. Manchmal betulich, aber eigentlich kommunikativ, weil mit den Hörern im Gespräch. Immer mit Herrn Bienert. Immer nach demselben Schema: Auflösung des alten Rätsels mit Kurzanspielungen der einzelnen Melodien, neues Rätsel mit ausgespielten Musiken und kleinen Geschichtchen um die Hinweise herum:" Hier haben Sie die Wahl: zweiter oder dritter Buchstabe - Na? Nach wem klingt die Musik? Sein Familienname ist dreisilbig. Ein Kölner." Da es reinster Hörfunk ist, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, sich die ratenden Zuhörer zur Sendung vorzustellen. Eifrig. "Erhard und Else aus Lausnitz" mit Notizblock und Lexika und rotem Kopf vor lauter Denken am Frühstückstisch, "fünf voll geschriebene Notizbücher vor sich". Sinnierend auf der Landstraße, "Familie J. aus Zittau" dem Urlaub entgegen und in der Entscheidung zwischen Schwierigkeitsgrad der Straße und der Frage nach der Umdrehungszahl ("zehnter Buchstabe") der Schellackplatten. Oder die im Schrebergarten, die Biedermänner, die Bildungsbürger. Idylle, Nischendasein? Die Zielgruppe, die sonst nirgendwo mehr Zielgruppe ist, die über 49-Jährigen also, eigentlich die über 60-Jährigen. Alles möglich und alles falsch.
Von 17 bis unendlich reicht die Spannbreite, neulich hat sogar "Katja, elf Jahre" geschrieben. Es ist unglaublich, aber wahr. Die Sendung erhält jede Woche zwischen ein und zwei Tausend Zuschriften, nicht nur solche mit dem Lösungswort, sondern mit Kommentaren, Fragen, Anregungen. Im September 1989 erhielt die Redaktion rund zwölf Tausend Zuschriften, davon fünfhundert aus der DDR. So lief das prozentual seit 1965, als Hans Rosenthal die Sendung ins Leben rief, die nur einige Wochen ausloten sollte, ob und wie der RIAS, der "Westsender", in der DDR gehört wurde. Entgegen allen Erwartungen wurde das klingende Rätsel sofort ein "Hörerpostrenner" und lief und lief und lief. Höhepunkt war der März 1990 mit 355.000 Briefen und Karten, davon 330.000 aus der DDR. Dazu Dresdner Stollen, Schokolade und Blumen.
Eine gesamtdeutsche Sendung also, wie Herr Bienert unumwunden zugibt, völlig harmlos und unpolitisch, in deren Hörerpost sich das "tastende Umgehen mit den politischen Verhältnissen" widerspiegelte. Es gab zu DDR-Zeiten eine Deckadresse im Westen für die Schüchternen, und jetzt läuft noch bis zum 1. September im Museum für Kommunikation in Berlin die Ausstellung Ein offenes Geheimnis. Post- und Telefonkontrolle in der DDR, in der die von der Stasi abgefangene Hörerpost präsentiert wird ("Lösungswort Dusche - Wir haben Zweifel, ob unsere Zuschrift Sie erreicht. Haben wir doch schon so oft an dieser wunderschönen Sendung teilgenommen!"). Der eine weiß da mehr, der andere dort. So läuft das jeden Sonntag vormittag, zehn Uhr fünfzehn, Deutschlandradio, Woche für Woche. Für die 90-Jährigen ist es Tradition. Für die 19-Jährigen Kult. Das - wissen Sie nun Bescheid? - SonntagsRätsel.
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