Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, jeder Tag ein Talk-Tag. Beckmann!, Biolek!, Friedman!, Gauck!, Kerner! Sie nennen es Talk-Show und die, die sie befragen, "Gäste". Sie nennen sich kaum noch, wie einst, "Talk-Master", und das ist auch gut so. Denn immer weniger erweisen sie sich als Meister des Gesprächs und noch viel weniger behaupten sie sich - auch das eine fast vergessene Fernsehtradition - als Journalisten.
Nach einer Woche "Talk" muss man sich angestrengt in Erinnerung rufen, warum man diese Sendungen immer wieder einschaltet: Sie könnten ja vielleicht Interessantes an Menschen offenbaren. Sie könnten Denkanstöße geben, um das eigene Gesichtsfeld im Lichte anderer Milieus und Lebenshaltungen zu erweitern. Sie könnten vom Privaten des Gesprächspartners auf strukturelle Zusammenhänge mit dem Gesellschaftlichen und Politischen führen. Und dabei könnten sie durchaus unterhaltsam sein, weil es spannend wäre, das zu erfahren, was man ohne die Fragenden nie erfahren würde.
"Mmm-mmh-mmmmm-mh." So klingt es, wenn Herr Beckmann zuhört, zum Beispiel Peter Boehnisch, dem Bravo-Erfinder, Chefredakteur von Bild während ihrer hetzerischsten, reaktionärsten Zeiten, jetzt "Kanzlerberater" und "junger Vater". Stoff genug. Was passiert? Beckmann hakt Fragen ab, versucht menschliche Nähe zu imitieren in der ach so persönlichen, "ich-frag-das-deshalb"-Manier. Und lässt sich mit plumpen Antworten abfertigen: "Ich beschäftige mich lieber mit positiven Dingen." Er hofiert seinen Gast ("der sehr tolerante, altersmilde Boehnisch"), Boehnisch dankt mit unreflektierten Floskeln, die allerdings bei näherem Hinhören den wahren Reaktionär verraten und zum Nachfragen geradezu herausfordern. Beckmann nippt nur an Themen und Personen, so, wie er mit gespreizten Fingern an seinem Wasserglas nippt.
"Gast" zu sein in diesen "Talk"-Sendungen ist gewiss nicht einfach. Zumal, wenn er oder sie auf dem roten, mäanderförmigen Sofa in erzwungener Ying-Yang-Haltung dem Rechtsanwalt und CDU-Präsidiumsmitglied Michel Friedman Rede und Antwort stehen muss. Friedman! ist ein eloquenter, rhetorisch geschliffener, unglaublich reaktionsschneller, zügig argumentierender Advocatus Diaboli. Und so blendend durchgestylt wie das sichtbar unbequeme Sofa, auf dem er sich regelmäßig mit seinem "Gast" verbal ineinander keilt. Er jagt sein Gegenüber, lässt ihm keine Zeit zum Nachdenken, keine Pause, keine Chance für Inhalte. Denn Michel Friedman agiert wie in amerikanischen Krimis vor Gericht: ein gnadenloser Jurist, der seine Fragen, die er in seinem Sinne beantwortet haben will, regelrecht durchpeitscht. Er haut seinem erklärten Gegner Zitate und Zahlen um die Ohren, drischt scharfzüngig auf ihn ein und gibt vor, damit das Gute, Wahre und Gerechte zu verkörpern. Klar, dass es immer nur einen Sieger gibt, und der heißt "Friedman!" Selbst einem alten Polit-Hasen wie Franz Müntefering flackerten vor Anspannung die Augenlider, während Claudia Roth von den Grünen hysterisch fast die Tränen kamen. Soweit zum undankbaren Ergebnis dieses halbstündigen Martyriums.
Gauck bildet hier den nur scheinbar erholsamen Gegenpol. Wo Friedman zu schnell über den anderen hinweg redet, braucht Gauck für Fragen, die sich sowieso von selbst erledigen, mindestens drei umständliche Schachtelsätze. Auch er weiß vorher, was sein Gast antworten soll. Frei von Souveränität quält er sich und seine Gesprächspartner durch die 30 Sendeminuten, die sich so langatmig dahinschleppen wie manche Predigt vor leeren Kirchenbänken. Erschreckend unprofessionell und bar jeglichen journalistischen Anspruchs erscheinen diese Selbstinszenierungen, in denen die "Gäste" lediglich als Staffage und Rechtfertigung für das Auftreten der Moderatoren ins Studio gesetzt werden.
Nostalgie kommt auf beim Revival aus Zehn Jahre Bio´s Boulevard, das in Bioleks Sommerpause gesendet wird. So war er: interessiert, authentisch, locker, lebendig, witzig. Er "führte" Gespräche, ohne jemanden vorzuführen oder sich selbst als Zirkusdirektor aufzuspielen. Das "öffnete" innerhalb von zehn Minuten den Namenlosen ebenso wie den Prominenten. Und heute? Nicht alles bleibt, wie es einmal war. Woche für Woche und das über Jahre, ist aus seinem "Salon" (bei dem das Publikum ausnahmslos nicht störte) der Besuch beim lieben alten Onkel Alfons geworden.
Hauptsache, die Quote flutscht? 3,6 Millionen ZuschauerInnen!, jubelte das ZDF nach der bizarren Veranstaltung mit Verona Feldbusch und Alice Schwarzer bei Johannes B. Kerner. Peinlich war nicht so sehr die busenpralle Werbepuppe Verona mit ihrem naiven Schmähmundwerk, viel peinlicher war der verstummte Kerner. Er repräsentierte den komplett hilflosen Mann - oder amüsierte er sich nur? Frei nach dem Motto: Lasst die Hennen sich bekriegen, mich geht das alles nichts an! In dieser ungleichgewichtigen "Show", in der Verona F. sich nach allen Regeln des Show-Gewerbes optisch die Punkte holte, versagte der "Talk"-Moderator in allen Punkten des professionellen Grundlagenkatalogs, indem er die beiden Kontrahentinnen ohne einzugreifen aufeinander losgehen ließ.
Vielleicht ist das ja der neue Stil, denn Kerner macht sich selbst da, wo er spricht, überflüssig. Sein "mh-mm-mmh", das spitze Mündchen, das Reiben des Kinns und Zusammenziehen der Brauen kennt man nun schon von Beckmann. Wie kaum jemand anders ist er auf die kommunikative Kompetenz der Gäste angewiesen - das kann gut gehen wie bei Heide Simonis oder in Wahlkampf-Small-Talk münden wie bei Angela Merkel. Johannes B. Kerner bündelt gewissermaßen die Unzulänglichkeiten aller Spät-Talker in einer Person.
Gab es nicht einmal einen kritischen, unterhaltsamen, richtig journalistischen und sogar noch politischen Fragesteller im öffentlich-rechtlichen Programm? Wo ist eigentlich Friedrich Küppersbusch?
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