Die Meisten sehen fern; die Wenigsten lesen ein gutes Buch. Was also liegt näher, als das Buch, das gute, ins Fernsehen zu bringen? So oder ähnlich müssen die Kulturredakteure gedacht haben, denn - siehe da - es gibt wieder mehr Büchersendungen in den Öffentlich-Rechtlichen Bildungsanstalten, von Druckfrisch in der ARD über LeseZeichen im BFS bis zu bücherTalk im SWR/3sat und, ganz neu, Lesen! im ZDF. Nur: wie bringen sie das zusammen, was sich eigentlich ausschließt? Man versucht, "dieses Format stärker zu personalisieren".
"Das ist´n Typ", beschwichtigt die WDR-Redakteurin. "Eine authentische Figur"? Telegen ist er nicht, aber immer im Bild. Er schwafelt, er grinst, und dabei geht es immer um "ichichich". Das macht ihm und den vier beteili
h". Das macht ihm und den vier beteiligten Redaktionen von NDR, HR, BR und WDR aber überhaupt nichts aus, und so eiert der große, beleibte, bebrillte Denis Scheck schon im ausgedehnten Trailer wie eine Comic-Figur über den Bildschirm, und weiter über Rolltreppen rauf und runter, über Rollfelder hin und her, durchs Rush-Hour-Gewühle auf die Kamera zu, vom Boule-Spiel mit Mario Adorf in Saint Tropez nach München in die "freundliche, kleine Buchhandlung" (Straßenname, Hausnummer und "ich verrate Ihnen, welche Sachbücher auf der Spiegel-Bestenliste wirklich was taugen"), vom Blick auf die Dachterrasse des Robert G. ("Herr Gernhardt, bitteschön, die Nation wartet") ins dunkle, einsame Fernsehstudio mit Alexander Kluge ("Alexander Kluge besitzt die Macht, Fabeln zu denken"). Einmal im Monat darf der Selbstverliebte seine vergagten Plattitüden und geschraubten Klischees Druckfrisch vor der Kamera verbreiten: "Kluge nimmt seine Leser mit auf Expeditionen ins unkartographierte Gebiet auf einen Wettlauf an den Polen unserer Existenz." Was nach der Sendung bleibt, ist der nachhaltige Eindruck, dass Denis Sch. eifrig bemüht ist, es zum Krawattenmann des Jahres zu bringen, und dass die ARD trotz schlechter Prognosen über einen verdammt dicken Reiseetat verfügt.Auch anderswo wird zum Abschalten verleitet. Die von der Kritikerin programmatisch eingeschlagene Verirrung in Richtung Unterricht endet mit einer Realsatire. Steifes Frage-und-Antwort-Geben vor unruhiger, bunter Studiokulisse im Telekolleg Deutsch (Bildungs-Redaktion des BFS). Es geht um die Literatur der Neuzeit, und schon ist man mit den Ursachen des Bildungsnotstands konfrontiert. Hier steht das Buch an erster Stelle, hier also, denkt man, wird alles gut sein. Es ist eine zutiefst peinliche Veranstaltung, in der nicht nur zwei verklemmte Männer, der eine als "Experte" apostrophiert, blühenden Unsinn über Autoren verbreiten, sondern faustdicke reaktionäre Ideologie aus den Mündern plumpst. Das endet mit Verurteilungen banalster Unart (Bernhard Schlinks Der Vorleser wird zu einer "Geschichte einer irre geleiteten Liebe" herabgewürdigt) und Versatz-Stücken, wie sie kein bayrischer Kabarettist besser hätte formulieren können: "Ich hoffe, dass Sie eine unbändige Leselust gepackt hat, die Sie auch unter www... befriedigen können!"Als Zwitterwesen entpuppt sich das LeseZeichen der Kulturredaktion des BFS. Je nachdem, wer die Redaktion verantwortet, fällt das sonntägliche Magazin souverän oder anbiedernd aus. Inhaltlich ein Potpourri aus allen möglich (und unmöglichen) Buchtiteln, gibt es gelungene Beiträge in einer ausgewogenen Mischung aus Information und Animation, leicht, aber nicht seicht aufbereitet, flott geschrieben, stimmig bebildert, kurz: einer bekömmlichen Rezensionstradition verpflichtet. Und dann gibt es den Redaktionsleiter Armin Kratzert. Wahrscheinlich möchte er gern populär sein, weshalb er Autoren wie Stefan Effenberg ins Programm nimmt, oder "Bayerns berühmtesten Heimatdichter" Harald Grill, dem er - wie sinnig - auf einer Brücke in Regensburg das Mikrophon hinhält. A propos, Armin Kratzert scheint genauso gern zu reisen wie Denis Scheck und führt in ähnlicher Weise originelle Interviews. Ungefähr so: "Als Sie das Buch angefangen haben zu schreiben, wussten Sie da schon, wie das ausgeht?"!Eigentlich bräuchte man darauf einen Schnaps. Aber Rotwein passt zu Dirk Schümer besser. Wieder "so´n Typ", Bourgeois und blass genug, um durch solch ein Accessoire im Studio vor dunkelroter Wand und grünem Blattwerk auffallen zu müssen. Auch Schümer reist gern, auch bei ihm erschließt sich die Notwendigkeit nicht ohne weiteres (er hat sich "auf die Spuren des katholischen Dichters R.A. Schröder begeben" und legt Rosen auf dessen Grab). Auch er ist von Haus aus kein Fernsehmensch, sondern FAZ-Korrespondent in Venedig, ("mein geliebter Wohnort"). Aber der bücherTalk im SWR hat einen ganz entscheidenden Vorteil gegenüber dem Insider-Clübchen der geschwätzigen Gleichartigkeit. Dirk Schümer zur Seite sitzt Thea Dorn: von jugendlicher Intelligenz, erfrischend frei in ihrem Urteil, durchaus subjektiv, immer authentisch. Sie kommt einfach telegener rüber als er, weshalb die eigentlich konstruktive Idee, ein Paar sich über Bücher unterhalten zu lassen, manchmal wie ein Ehegeplänkel wirkt. Sind Frauen doch die besseren?Die einzige, die auf einer Bühne und vor applaudierendem Publikum sitzt, aber beides am wenigsten braucht, ist Elke Heidenreich. Sie hatte einen fulminanten Start mit ihrer Appetit anregenden Sendung Lesen! im ZDF, die nicht umsonst mit einem Ausrufezeichen versehen ist. Sie weiß, was sie sagt. Sie bringt Leben und Lesen zusammen. Sie redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, und das druckfrisch und hörtauglich. Die Sendung ist auf sie zugeschnitten, aber ihre Person tritt vollkommen hinter die von ihr gepriesenen Bücher zurück, die wie andernorts kein Abbild des marktgängigen Warenangebots sind, sondern einzig und allein ihrer Lese-Lust genügen. Einen literarisch interessierten und interessanten Gast wie Harald Schmidt bräuchte sie nicht, er schadet der Sendung aber auch nicht, weil sie weiß, wie man das Niveau hält. Lesen als sinnliches Vergnügen und nicht als akademische Wissensvermehrung oder Vorwand für die Selbstdarstellung; hier - im ZDF - ist endlich ein authentischer Mensch, die mit Büchern lebt und die das mitreißend vermittelt. Chapeau!ARD, Druckfrisch (nach der Sommerpause wieder ab 7.September, 23.30); BFS, LeseZeichen (sonntags, 11.45 Uhr); SWR (Wdh. 3sat) bücherTalk (vierzehntäglich, freitags 00.00 Uhr); ZDF Lesen! (nächste Sendung 10.Juni, 22.15 Uhr)
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