Am 5. Mai werden die Franzosen in Massen gegen Le Pen stimmen. Doch sie können nicht mehr für eine Alternative zu dem votieren, womit sie bisher unzufrieden waren. Eine Wiederwahl Chiracs läuft auf eine Wiederwahl der Cohabitation von rechts und links - von Präsident und Premier - hinaus. Sollte die zersplittere Linke nach dem Desaster vom 21. April für die Parlamentswahlen im Juni wieder zueinander finden, ist sie nicht aussichtslos und darf auf einen erneuten Regierungsauftrag hoffen.
Es sollte doch nur ein Denkzettel sein, hört man allenthalben Franzosen jammern - im ersten Wahlgang erlaube man sich gern den Spaß, die Politiker durch ein "Protestvotum" zu schrecken. Unfassbar vielleicht für Wähler mit anderem Temperament, aber in Frankreich ist das nun einmal so. Dafür nehmen die "Citoyens" dann zwischen den Wahlen soviel Obrigkeit hin, wie es anderswo mit anderem Demokratieverständnis ebenfalls unfassbar ist. Ein Spiel, bei dem auf adäquate Reaktionen der Gegenseite Verlass sein muss, damit es funktioniert - am 21. April hat es nicht funktioniert.
Es mag nicht zuletzt an der Spielfreude der breit gefächerten linken Parteien, Gruppen und Grüppchen gelegen haben, die eben alle mitspielen wollten, aber nie eine reelle Chance besaßen - ob es sich um die Damen und Herren der drei trotzkistischen Parteien handelte oder um den Chef der Kommunistischen Partei oder die Matadore grüner Schattierungen. Aber sie alle haben eifrig mitgepokert, mitgespielt und für ein verheerendes Ergebnis gesorgt. Die Kommunisten sind jetzt pleite und müssen bei den Banken um einen Kredit betteln, weil ihr Kandidat Robert Hue sogar noch unter dem für die Erstattung der Wahlkampfkosten nötigen Limit von fünf Prozent blieb. Was ihn besonders schmerzen dürfte: Eine Trotzkistin, die ansonsten vom Establishment belächelte Arlette Laguiller, lag mit 5,7 Prozent deutlich vor ihm. Zusammen kamen die drei Trotzkisten auf zehn Prozent (s. Übersicht), und dem Sozialisten Lionel Jospin fehlten am Ende ganze 194.559 Stimmen gegen Le Pen.
"Also wieder einmal diese verhängnisvolle Spaltung", mag manch Kenner linker Historie urteilen. Dem scheint zumindest die erste Schlussfolgerung Recht zu geben, zu der sich die Partner des noch regierenden rot-rot-grünen Kabinetts durchgerungen haben. Schon zwei Tage nach dem Schock wurde entschieden, bei den Parlamentswahlen in allen "unsicheren" Wahlkreisen schon für die erste Runde am 9. Juni gemeinsame Kandidaten aufzustellen.
Mitterrands Erbe
Doch käme es einer groben Vereinfachung gleich, wollte man die vielen "Kleinkandidaten" für das linke Debakel am 21. April verantwortlich machen. Die Ursachen reichen weiter zurück und sind zum Teil noch aus der Ära Mitterrand ererbt. Der große politische (Ver-) Zauberer mit dem Beinamen le dieu (Gott) hatte sich 1986 einen, wie er meinte, besonders eleganten Schachzug ausgedacht, um einen Erfolg des rechtsbürgerlichen Lagers zu verhindern. Für dieses eine Votum wurde das Mehrheits- zugunsten des Verhältniswahlrechts geändert, mit dem Effekt, dass Le Pens rechtsextremer Front National (FN) den Sprung in die Nationalversammlung schaffte. Dessen 35 Abgeordnete flogen dann zwar bei der nächsten Wahl nach altem Muster wieder heraus - aber seither war Le Pen hoffähig.
Und noch etwas aus dem Nachlass des zuweilen monarchisch herrschenden Mitterrand hängt den Sozialisten an. Mit seinem Regierungsstil hat er die "kleinen" Leuten in dem Gefühl bestärkt, auch unter den Linken verlaufe ein tiefer Graben zwischen "denen da oben" und "jenen hier unten". Den hat auch ein, alles andere als arrogant auftretender Lionel Jospin nicht zuschütten können. Ihm fehlte die Gabe zum Bad in der Menge, er warb stattdessen mit dem spröden Charisma des glanzlos fleißigen Arbeiters, dessen Leistung in der Politik nur allzu häufig übersehen wird, er blieb stets "Macher" - zum "Verkäufer" avancierte er nicht.
So erklärt sich, dass eine Mehrheit der Franzosen eigentlich mit Jospins Amtsführung ganz zufrieden war, deren Erfolge jedoch eher beiläufig hinnahm und nur bei den vom politischen Gegner ins Scheinwerferlicht gerückten Misserfolgen aufmerksam hinschaute. (Eine Million weniger Arbeitslose in fünf Jahren - was würde ein Kanzler Schröder da für einen Rummel veranstalten!) Jospin glaubte, dank seiner Arbeitsmarktpolitik die Kriminalität nach der Formel eindämmen zu können: Weniger Leute auf der Straße haben weniger Zeit und Grund zu stehlen oder zu randalieren. Nur so einfach ging es nicht, zumal noch immer reichlich frustrierte Jugendliche in den "Problemzonen" übrig blieben, die Gewalt als einzig wirksames Mittel betrachten, sich Respekt zu verschaffen. Angesichts der geballten Hoffnungslosigkeit in den Cités, vor allem den HLM-Siedlungen (Kürzel für sozialen Wohnungsbau), hatte Jospin begonnen, über Konzepte nachzudenken, wie man diese explosiven Zentren zugunsten einer gemischten Nachbarschaft auflösen könnte. Aber über den symbolischen Abriss einiger weniger HLM-Wohnmaschinen mit üblem Ruf kam er nicht hinaus.
Strauss-Kahns Visionen
Von alldem abgesehen, hat das Desaster vom 21. April den Sozialisten unbarmherzig vor Augen geführt, dass sie sich noch immer oder jetzt erst recht mit einer Identitätskrise konfrontiert sehen. Später und deutlich zögerlicher als die Sozialdemokraten in Großbritannien, Deutschland oder Italien segelte der Parti Socialiste (PS) gen Neuer Mitte, doch war und ist in Frankreich dem Wähler offenbar nur schwer zu vermitteln, warum ausgerechnet die Sozialisten bessere Zentristen und Wirtschaftsliberale stellen sollen als die Gaullisten, die das Segment traditionell besetzen. So erschien eine ehemals klar positionierte Partei der alten Klientel nicht mehr so recht kalkulierbar und einer neuen zu wenig reizvoll. Dazu gesellte sich das Gefühl vieler Franzosen, ihre Regierenden hätten den Blick für die Realitäten verloren. Das von einem deutschen Politiker geprägte Wort von "den Menschen draußen im Lande" eignet sich vorzüglich, diesen Abstand zu beschreiben. Zwar hat Jospin die Jugendarbeitslosigkeit mit einem staatlich-alimentierten Programm für spezielle Jugendjobs gesenkt - in der Statistik sieht das wunderbar aus -, doch gehört es eben zu den wundersamen Eigenheiten dieses Weges, dass er oft von einer Sackgasse in die andere führt. Die französische Spielart von ABM bietet zwar wie in Deutschland befristet Beschäftigung, doch bezahlt wird stets nur der Mindestlohn.
Vieles deutet darauf, dass der sozialistische Ex-Wirtschaftsminister Dominiqiue Strauss-Kahn nun wieder in den Vordergrund treten wird. Er war derjenige, der bislang bei den Sozialisten die weitreichendsten Reformideen vorzulegen vermochte. Während einer politischen Zwangspause - ausgelöst durch eine gerichtliche Untersuchung - hat er in seinem Buch Die Flamme und die Asche für eine VI. Republik plädiert, die durch ein geändertes Verhältnis zwischen dem Präsidenten und der Regierung geprägt sein sollte. Deren Doppelherrschaft habe, so Strauss-Kahn, in den vergangenen Jahren viele Reformansätze blockiert. Doch es ist nicht auszuschließen, dass die vom Erfolg des Front National aufgeschreckten Franzosen bei der Parlamentswahl im Juni das Pendel wieder kräftig nach links ausschlagen lassen und Frankreich erneut eine Cohabitation bescheren.
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