Jose Manuel hat sich einen guten Platz ausgesucht. Mit seiner russischen Beiwagenmaschine der Marke Jupiter wartet er ein paar Meter vom „El Floridita“ entfernt. Das ist das berühmteste Restaurant in Havanna, und hier geben sich die Touristen die Klinke in die Hand, denn alle wollen die Bar sehen, in der der berühmte Schriftsteller Ernest Hemingway in den 1930er Jahren seinen Daiquiri-Cocktail trank. Und auf Touristen hat es Jose abgesehen, denn vorne auf seinem Beiwagen prangt das selbstgeschriebene Schild „Taxi“, das heißt, Jose fährt Touristen in seinem Beiwagen spazieren. Das ist zwar illegal, aber solange die Polizei nichts sagt, probiert er es.
Es gibt wohl kein anderes Land neben Kuba, in dem derzeit so viele Motorrad-Gespanne unterwegs sind wie auf Kuba. Wer auf dem internationalen Flughafen von Havanna landet und in die Stadt fährt, erhält einen Eindruck von der kubanischen Gespann-Dichte: Alle fünf Minuten rattert eine Seitenwagen-Maschine vorbei. Es sind vor allem die Marken aus den ehemals sozialistischen Bruderländern: Aus der DDR die MZ, aus der Sowjetunion Ural und Dnjepr, aber auch weniger bekannte wie die Jupiter. Und dann gibt es noch die Seitenwagen-Javas aus der ehemaligen CSSR. Wenn man neben einem Gespann an der Ampel steht und das Zweitakter-Gemisch riecht, wähnt man sich im alten Ostberlin.
Lektion in Entschleunigung
Dass hier auf Kuba noch jede Menge dieser Gefährte unterwegs sind, die in Westeuropa nur noch Liebhaber-Status haben, hat mit der aktuellen Verkehrssituation auf der Zuckerrohrinsel zu tun. Das Land hat seit dem Zusammenbruch des Ostblocks bekanntlich mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, und eines davon ist das öffentliche Verkehrswesen. Fährt man in Kuba über Land, sieht man in den Zentren der Kleinstädte und Dörfer überall lange Schlangen wartender Menschen. Sie hoffen darauf, dass sie von einem LKW oder einem Firmenwagen mitgenommen werden. Die Überland-Busverbindungen sind miserabel, oft fährt nur ein Bus pro Tag, wenn überhaupt. Das Eisenbahnnetz ist ebenfalls marode, die Zugverbindungen nicht verbindlich. Um also irgendwie voranzukommen, greifen die Kubaner auf Räder, Pferde, Pferdekutschen, Mopeds – und eben Motorrad-Gespanne zurück. Für den Reisenden bedeutet dies die Abkehr von der gewohnten europäischen Effizienz. Sich in Kuba fortzubewegen, ist immer auch eine Lektion in Sachen Entschleunigung . Man muss Zeit und Muße mitbringen.
Nicht zu vergessen sind in diesem Szenario natürlich die „alten Damen“, die amerikanischen Straßenkreuzer aus den 1950er Jahren. Ihr Bild gehört mittlerweile zum Klischee eines jeden Reiseführers. Seit die USA 1961 ein Wirtschaftsembargo gegen Kuba verhängt haben, kommen keine Ersatzteile mehr ins Land, und neue Autos aus Japan oder China können sich nur staatliche Firmen leisten. So gleicht der Straßenverkehr in Kuba oft einem Freiluftmuseum für Oldtimer: Die farbenprächtigen und noch immer chromglitzernden Chevrolets, Cadillacs oder Studebakers sind keine Ausnahmen, sondern die Regel im Straßenverkehr. Und auch für sie gilt: Wegen fehlender Ersatzteile wird improvisiert, umgebaut, geschweißt, geschraubt und lackiert.
Die meisten Gespanne wurden vom Staat als Belohnung für besonders wertvolle Arbeit vergeben. Auch unser Taxifahrer Jose Manuel hat seine 29 Jahre alte Maschine angeblich vom jetzigen Staatschef Raul Castro erhalten – wegen Verdiensten, die er sich beim Militär erworben habe, sagt der 59-Jährige. Nun versucht Jose mit dem Gespann Geld zu verdienen. Keine schlechte Idee, denn Havanna aus der Beiwagen-Sicht zu erleben, ist allemal ein Erlebnis. Havannas Altstadt ist ein Schatz kolonialer Architektur aus mehreren Jahrhunderten, mit gewaltigen Kathedralen, prachtvollen Palacios und schattigen Arkadengängen.
Seit die UNESCO die Stadt in den achtziger Jahren zum Weltkulturerbe erklärt hat, wurde viel restauriert, doch noch immer nagen Wind, Sonne, Salzwasser und Sozialismus an vielen Fassaden. So sind die Nebenstraßen von den Anzeichen des Verfalls geprägt, wobei der Putz der Wände zerbröckelt und manchmal nur ein Stockwerk der ehemals prachtvollen Häuser bewohnbar ist. Doch sehen wir uns ein paar markante Gebäude dieser lebenslustigen und geschichtsträchtigen Stadt an. Das Capitolio zum Beispiel. Der mächtige Bau im Stadtzentrum ist größer als das amerikanische Original in Washington, wurde 1929 eingeweiht und diente bis 1959 als Regierungssitz. Heute ist hier das Wissenschaftsministerium untergebracht. Interessanter als das historische Gebäude selbst aber ist der Trubel darum herum.
Dampfloks rosten vor sich hin
Rechter Hand warten die „alten Damen“ auf Kundschaft, farbenprächtige Oldtimer aus den fünfziger Jahren. Altertümlich mutet auch die dreibeinige Kamera des Fotografen vor den Stufen des Kapitols an: Die Linse ist mit Klebeband fixiert, ein Polaroid-Portrait kostet umgerechnet gerade mal einen Euro. Eher ungewöhnlich auch der Parkplatz eine Straße hinter dem Kapitol, wo nicht nur Autos abgestellt sind, sondern auch fast ein Dutzend alte Dampflokomotiven, die hier vor sich hinrosten. Sie dienen als Ersatzteillager für eine Lokomotive, die gerade fürs Museum hergerichtet wird.
Doch zurück zum Havanna der einfachen Leute, der Lebenslust und der Cocktails. Seit acht Jahren schüttelt Decho Gonzales schon im Hotel Ambos Mundos den Shaker. „Am meisten verlangt wird der Mojito“, sagt der 37-Jährige, ein Mix aus weißem Zucker, Limette, Minze und weißem Rum. Das Hotel liegt inmitten der Altstadt und von seiner Dachterrasse im sechsten Stock hat man einen wundervollen Ausblick über die Dächer von „Habana Vieja“.
Das wusste auch schon Ernest Hemingway, der hier zwischen 1932 und 1939 oft logierte. Im fünften Stock kann man sein Zimmer besichtigen, in dem er an seinem berühmten Roman Wem die Stunde schlägt schrieb. Zu sehen sind unter anderem seine Schuhe (Größe 46) und eine Fotografie, die den viermal verheirateten Frauenhelden mit einer seiner Geliebten zeigt: beim Daiquiri-Trinken im "El Floridita".
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